Glarean Magazin

Das Zitat der Woche

Posted in Essays & Aufsätze, Philosophie, Sören Kierkegaard, Theologie, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 18. August 2008

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Vom Unglück der Christenheit

Sören Kierkegaard

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Das ist eben das Unglück und ist durch lange, lange Zeiten das Unglück gewesen in der Christenheit, daß Christus da weder eins ist noch das andre, weder der er in seinem Erdenleben gewesen, noch auch (welches denn man glauben muß) der er sein wird bei seinem Wiederkommen, sondern einer, über den man auf unerlaubte Weise von der Geschichte etwas zu wissen bekommen, daß er etwan so ein großes Etwas gewesen sei. Man ist auf unerlaubte und ungesetzliche Weise wissend geworden über Christus – denn das Erlaubte ist gläubig zu werden. Man hat sich gegenseitig darin bestärkt, daß man mit Hilfe des Erfolgs von Christi Leben und der achtzehnhundert Jahre, der Folgen, das Schlußergebnis zu wissen bekommen hat. Nach und nach dieweil dies zu einem Weistum ward, ward dem Christentum all Saft und Kraft entzogen; das Paradox ward entspannt, man war Christ ohne es zu merken, und ohne das Mindeste zu merken von des Ärgernisses Möglichkeit. Man nahm Christi Lehre hin, wandte und schrappte sie, er selbst bürgte nun ohne weiteres für die Wahrheit – ein Mann, dessen Leben derartige Folgen in der Geschichte gehabt hatte. So paßte alles gut zueinander wie das Bein in den Strumpf natürlich, denn auf die Weise ist das Christentum Heidentum worden.

Sören Kierkegaard

Es ist da in der Christenheit ein ewiges Sonntags-Geklapper wegen der herrlichen und unschätzbaren Wahrheiten des Christentums, wegen seines milden Trostes, aber freilich man merkt es, daß es achtzehnhundert Jahre her ist, daß Christus gelebt hat; das Zeichen des Ärgernisses und der Gegenstand des Glaubens ist geworden die abenteuerlichste von allen Märchengestalten: ein göttlicher dummer Hans. Was sich ärgern heißt, weiß man nicht, noch minder was anbeten heißt. Was man an Christus besonders preist ist eben das, darüber man sich am meisten erbittern würde, wenn man damit gleichzeitig wäre, indessen man nun gut aufgehoben ist im Vertrauen auf das, was dabei herausgekommen ist, und, im Vertrauen darauf, die Geschichte habe es gewiß gemacht, daß er ein Großes gewesen, nun den Schluß zieht: also ist es das Richtige. Das will heißen: es ist das Richtige, das Edle, das Erhabene, das Wahre – wenn er es ist, der es tut; das will heißen, im tieferen Sinne schert man sich eigentlich nicht darum, zu wissen zu bekommen, was es ist das er tut, noch weniger darum, mit Gottes Hilfe, gemäß schwachen Kräften, ihm gleich zu werden im Tun des Richtigen, des Edlen, des Erhabnen, des Wahren. Denn was es ist, bekommt man eigentlich nicht zu wissen, und kann deshalb gerade entgegengesetzt urteilen in der Lage der Gleichzeitigkeit; man begnügt sich mit dem Bewundern und Preisen und ist (wie man es von einem Übersetzer gesagt, der ängstlich worttreu, darum auch sinnlos, einen Schriftsteller übersetzt hatte) “zu gewissenhaft”, vielleicht auch zu feige und jämmerlich, um recht verstehen zu wollen.
Die Christenheit hat das Christentum abgeschafft, ohne es selber richtig zu merken; folglich muß man, wenn man etwas ausrichten will, versuchen, das Christentum wieder in die Christenheit einzuführen. ♦

Aus Sören Kierkegaard, Einübung im Christentum, Kopenhagen 1850

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