Das Zitat der Woche
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Über die Form in der Literatur
Karlheinz Deschner
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Was den Stoff betrifft, geht es in der Kunst primär niemals um das Was, sondern immer um das Wie. Nicht was dargestellt ist, entscheidet über Wert oder Unwert eines Kunstwerks, sondern wie dargestellt ist. Diese These, die nicht das geringste mit L’art-pour-L’art zu tun hat, nicht im geringsten modern ist – «das Wichtige, das Ausschlaggebende», betont Jakob Burckhardt, «so hielt es schon die alte Kunst, ist das ewig neue Wie» -, diese These ist unumstößlich und so evident, daß man sich wundert, wie hartnäckig, ja fanatisch oft das Gegenteil behauptet wird.
Wenn ein schlechter Maler ein welterschütterndes Ereignis festhält, sagen wir: eine Kreuzigungsgruppe, entsteht entweder Kitsch oder ein herkömmliches Bild, der Abklatsch eines großen. Malt aber ein Genie wie Van Gogh ein Kornfeld, eine Wiese, einen alten Lehnstuhl, dann entsteht ein Kunstwerk.
In der Literatur ist es nicht anders. Schreibt ein kleiner Literat die Geschichte eines ganzen Volkes, Felix Dahn etwa in seinem «Kampf um Rom», ergibt das ein Opus, das man mit fünfzehn vielleicht verschlingt, doch keine Dichtung. Erzählt ein großer Autor, wie etwas Wind weht, der Mond scheint und man den Wald durchwandert, wie Stifter im «Hochwald», entsteht ein Kunstwerk. Nicht die Bedeutung des Vorwurfs also, sondern die Art der Ausführung entscheidet, nicht das Thema, sondern seine Darstellung.Man wird einwenden, daß das Stilistische, Technische, bloß die Voraussetzung eines Schriftstellers sei, das Wesentliche dagegen die menschliche Substanz. Es ist umgekehrt. Die menschliche Substanz – ein schwer definierbarer, die seelischen Energien unserer Natur umfassender Begriff – ist die Voraussetzung. Doch was dieser Substanz Ausdruck verleiht, ästhetische Realität gibt, was aus einem Stimmungsmoment, einer Gemütsspannung, einer bestimmten individuellen Seelendisposition überhaupt erst Kunst, ein hinterlassungsfähiges Gebilde macht, ist das formale Können, ist, mit Gottfried Benn zu sprechen, das Gesetz der Form. Die Substanz entscheidet kaum im schöpferischen Prozeß, sondern das Verströmen der Substanz in die Gestaltung, die Überführung von Seele in Struktur. Ja, ich behaupte, man kann, nein, muß als musischer Durchschnittsmensch mit einer ganz ähnlichen, nur im Volumen geringeren, nur an Intensität schwächeren, aber nicht wesentlich verschiedenen Substanz ausgestattet sein wie das Genie. Sonst wäre es doch nicht möglich, daß wir die Werke des Genies nacherleben, seine Empfindungen nachvollziehen könnten.
Die Substanz also ist kein Unterscheidungsmerkmal zwischen rezeptivem und produktivem Menschentyp. Was der Dichter dem Nichtdichter voraushat, ist vielmehr die Fähigkeit des Ausdrucks. Bloße Eindrücke, Erlebnisse, seien sie noch so sensibel, grandios oder fürchterlich, bleiben literarisch wertlos, ja außerhalb des ästhetischen Bereichs, führen sie nicht zu einer entsprechenden Reproduktion. Schön nennt R.W. Emerson den Dichter den unbeschränkten Mann, «der das sieht und übt, wovon andere nur träumen, der die ganze Skala der Erfahrungen durchmacht und den Menschen repräsentiert vermöge seiner unendlichen Kraft, zu empfangen und mitzuteilen».
Selbstverständlich: was uns entscheidend beeinflußt, ist der Gehalt, ist die Substanz. Doch diese Substanz vermag eben nur durch die Form zu wirken, und ihre Wirkung ist um so intensiver, je vollkommener die Form ist, in der sie erscheint. »In einem wahrhaft schönen Kunstwerk«, schreibt deshalb Schiller, »soll der Inhalt nichts, die Form aber alles tun; denn durch die Form allein wird auf das Ganze des Menschen, durch den Inhalt hingegen nur auf einzelne Kräfte gewirkt.« Sieht Schiller doch »das eigentliche Kunstgeheimnis des Meisters« geradezu darin, «daß er den Stoff durch die Form vertilgt». Dasselbe meint Hebbel: «Die Form ist der höchste Inhalt»; oder Schopenhauer, der das Meritum eines Schriftstellers um so größer nennt, «je weniger es dem Stoffe verdankt», ja, der die Absicht, durch den Stoff zu wirken, als «absolut verwerflich» disqualifiziert «in Fächern, wo das Verdienst ausdrücklich in der Form liegen soll – also in den poetischen».
Der Primat der Form aber war der Masse wohl immer unbegreiflich und wird ihr vermutlich immer unbegreiflich sein. ♦Aus: Karlheinz Deschner, Kitsch, Konvention und Kunst, Eine literarische Streitschrift, Ullstein Verlag 1980
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