Das Zitat der Woche
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Über den Bücherwurm
Otto Jägersberg
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Man denke nicht, die Bibliophilie sei eine harmlose Liebhaberei, sie gerät gern in Leidenschaft und wächst sich zur Bibliomanie aus. Was unter ihrem Banner an Merkwürdigkeiten, Tollhäusereien und Kleptomanien begangen wird, gibt auch schon wieder ein fabelhaftes Sammelgebiet. Jüngst überführte ein Fensterputzer in Karlsruhe einen solchen Bücherfreund. Der Fensterputzer sah von seinem Hochhaus-Arbeitsplatz in ein beinah bis zur Decke mit Büchern gefülltes Zimmer. Auf den Büchern, direkt unter der Zimmerdecke, lag ein schlafender Mann, um dessen knappe Atemluft sich der Fensterputzer Sorgen machte, und die Polizei rief. Die Polizei entlarvte den Schläfer als Bücherdieb. Er hatte alle Möbel aus der Wohnung entfernt, um genügend Platz für seine überall zusammengeklauten Bücher zu haben.Er brauche kein Bett, sagte der Mann, er habe ja Bücher. Weil er in Büchern lebe, könne ihn auch das Gefängnis nicht schrecken. Er habe genügend Bücher im Kopf, er könne sich an so viele Bücher erinnern, dass ihm die Zeit auch im Gefängnis nicht lang werde. Solche verirrten Bibliomanen sind natürlich ein Segen für die Justiz, endlich haben sie jemand, der ihnen die Gefängnisbücherei auf Vordermann bringt.
Wir können vergessen, wir dürfen vergessen, weil wir die Bücher haben. Hätten wir die Bücher nicht, wir würden verrückt. So gehen wir herum, sehen dem Treiben der Menschen zu, trinken unsern Wein und können versäumen und vergessen nach Herzenslust – zu Hause warten die Bücher.
Die Gefahr besteht, dass ihrer zu viel werden. Die Quantität springt nicht unbedingt in Qualität um…Aus Otto Jägersberg, Das zweite Leben der Bücher, in: Lesen Sie auch nie? – Tintenfass Nr. 26, Diogenes Verlag 2002
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