Hans-Joachim Hessler: «Spiegel im Spiegel»
.
Improvisatorische Musik: Erzählend, nachdenklich stimmend…
Dr. Barbara Dobretsberger
.
Michael Ende, der Meistererzähler, brachte in seinem Prosaband «Der Spiegel im Spiegel» Szenerien zu Papier, die vordergründig Surrealistisches darstellen, hintergründig Weltverlorenheit zum Ausdruck bringen. «Ohne helfenden Hinweis» – so der Autor – wird der Leser mit dem offenen Schluss der Erzählungen allein gelassen. Vier Geschichten Endes wählt Hans-Joachim Heßler für seine programmatische Improvisation aus. Er überhöht die sprachliche Ebene, modelliert teils komponierte, teils improvisierte musikalische Szenen zu den skurrilen, bedrückenden, nachdenklich stimmenden poetischen Bildern Michael Endes.
Ein Tänzer wartet hinter dem Vorhang auf seinen Auftritt, doch das «Schwere schwarze Tuch» – so der Titel der ersten Improvisation – will sich nicht heben. Der Tänzer geht seine Schritte immer und immer wieder in Gedanken durch. Die Musiker «tanzen» sich durch die Szene, umkreisen die einzelnen Figuren des nur imaginär stattfindenden Auftritts. Der Hörer wird in die beklemmende, zugleich aber auch kontemplative Szenerie eingesponnen. Matthias Schubert (Tenorsaxophon), Hans-Joachim Heßler (Orgel, Klavier, Keyboards), Stefan Werni (Kontrabass, Elektronik) und Klaus Wallmeier (Schlagzeug, Stimme) entlassen weder sich noch den Hörer aus dem dicht gesponnenen Netz fatalistischer Tanzsequenzen.
Im «Schlittschuhläufer», einer 17 Minuten dauernden Improvisation, werden philosophische Fragen in Musik gesetzt: Ein Schlittschuhläufer «schreibt» mit seinen Schlittschuhen Buchstaben in den Himmel. Doch sein Publikum kann die Schrift nicht entziffern. Schließlich gehen die Leute nach Hause und vergessen den Vorfall. «Wer weiß, ob die Botschaft wirklich so wichtig war» – dies der programmatische Hinweis im Booklet. Hier fokussiert sich die Musik auf Fragen nach den Möglichkeiten einer Bedeutung, zunächst in einem ruhigen Umkreisen und Ausloten von Klangfarben und Motiven, nach und nach drängender werdend, und letztendlich, erwartungsgemäß, zu einem quasi achselzuckenden Ende geführt.

Komponist, Pianist und Improvisator Hans-Joachim Heßler: Zeugnis ablegend von den vielfältigen Möglichkeiten des «postmodernen» Komponierens
«Dieser Herr besteht nur aus Buchstaben»: Michael Ende beschreibt in dieser Geschichte einen Mann, der sich zwischen seinem eigenen Spiegelbild und seiner Freundin entscheiden muss. Der Herr zerfällt, die Leute trampeln über ihn hinweg. Kurios, surrealistisch auch die Musik (obige Formation ergänzt durch Sabine Hoffmann, Flöte), changierend zwischen verharmlosend Satirischem, Klangballungen und lose Zerfallendem schließt sich der Kreis in der Wiederaufnahme einer salonhaften Attitüde am Schluss.
Eine ekstatische Klangwelt, die ganz allmählich zum Erlöschen und Verrauchen geführt wird, spiegelt sich in «Die Hochzeitsgäste waren tanzende Flammen» wider. Eine sich ganz allmählich aufbauende Traumwelt, in der aus einem Ostinato sukzessive Stimmungsbilder herauswachsen, wird in einem kontinuierlichen Prozess zum bruchstückhaften Schweigen gebracht.
Ideologien in Bezug auf eine «zeitgenössische» Klangsprache sind Heßler fremd. Seine Stilsouveränität erlaubt es ihm, sich auf das Changieren zwischen Freitonalem und Tonalem, zwischen Komponiertem und Improvisiertem, zwischen Zitiertem und Originalem einzulassen. Als homme de lettre findet Heßler im französischen Philosophen J.-F. Lyotard eine Inspirationsquelle: der Diskurs kann nur im Widerstreit (frz. différend) weitergetrieben werden: «Le Différend 17» und «Le Différend 21» (1997 entstanden) für Orchester legen hiervon musikalisches Zeugnis ab.

Ideologien in Bezug auf eine «zeitgenössische» Klangsprache sind dem Komponisten Hans Joachim Heßler fremd. Seine Stilsouveränität erlaubt es ihm, sich auf das Changieren zwischen Freitonalem und Tonalem, zwischen Komponiertem und Improvisiertem, zwischen Zitiertem und Originalem einzulassen. Dies dokumentiert der Komponist eindrücklich auch in seinen vier programmatischen Improvisationen «Spiegel im Spiegel»
Dass Ironie und Satire Heßler nicht fremd sind, wird in den programmatischen Improvisationen zu Michael Endes Texten deutlich. Ein Vorläufer der surrealistischen Ader Heßlers zeigt sich im Streichquartett «Tanz im Vogelkäfig», das mit Flamenco-Klängen folkloristische Allusionen zulässt. Das Orchesterstück «Nabuli Tintin» von 1999 verrät einiges über Heßlers stets auf der Suche befindliche und über eine große Bandbreite verfügende Komponistenseele. Als Hommage an Arvo Pärt, dessen Tintinnabuli-Stil (Glöckchenspiel-Stil) in den 1970er-Jahren aus der von ihm als zukunftslos empfundenen Moderne hinausführte und einen neuen kompositorischen Weg öffnete, legt «Nabuli Tintin» Zeugnis ab von den vielfältigen Möglichkeiten des «postmodernen» Komponierens. ■
Hans-Joachim Heßler: Spiegel im Spiegel – Eine programmatische Improvisation über vier Geschichten aus dem gleichnamigen Zyklus von Michael Ende, mit M. Schubert, St. Werni, K. Wallmeier, Eichendorff Quartett, Philharmonie Kronstadt, Audio-CD, Label United Dictions of Music UDM
.
.
_______________________________________
Geb. 1967, Klavierpädagogik-, Musikwissenschafts- und Philologie-Studium in Salzburg, Promotion in Wien, zahlreiche fachwissenschaftliche und musikpädagogische Publikationen in Büchern und Zeitschriften sowie Veröffentlichungen über Zeitgenössische Musik und über die Beziehung zwischen Text/Literatur und Musik, lebt als Dozentin am Mozarteum in Salzburg
.
.
.
.
leave a comment