Jürgen Fürkus: «Literarische Eigenblicke» (Lyrik & Kurzprosa)
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Was Jürgen Fürkus mit Havergal Brian zu tun hat
Dr. Karin Afshar
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Schon vor Tagen war es angekommen – das Buch, um das es heute geht. Sein Verfasser hat es mir zur Besprechung persönlich zugeschickt. Im Briefkasten am selben Tag auch eine CD mit Kompositionen jenes in der Überschrift ebenfalls genannten Havergal Brian. William Havergal Brian lebte von 1876 (in Dresden, Staffordshire geboren) bis 1972 und war den Großteil seines Lebens als Komponist (hauptsächlich von Wiener Klassik inspiriert, mit Elementen dissonanter Harmonik und Atonalität) eher unbekannt, ja unbedeutend. Legendär indes ist, dass er 21 seiner insgesamt 32 Sinfonien jenseits seines 80. Geburtstags komponierte. 1961 – da war er bereits 85 Jahre alt, wurde seine 1. Sinfonie (die «Gothische») in Westminster aufgeführt. Ich höre sie, während ich dies schreibe, und habe gelesen, dass sie – was den Orchesterapparat angeht – sogar die Anforderungen von Gustav Mahler und Arnold Schönberg übertreffen soll. Nach dem Aufflackern in den 60ern verschwand Brians Werk wieder in den Kreisen seiner wenigen, aber sehr enthusiastischen Anhänger. William Brian, obwohl er sein Leben lang komponierte, erreichte nie die Popularität eines Ralph Vaughan Williams. Wohl aber wusste er sein Handwerkzeug, das er sich autodidaktisch angeeignet hatte, einzusetzen, und war darin alles andere als laienhaft.
Während ich das Buch von Fürkus umdrehe und auf dem rückwärtigen Einband zu lesen beginne, geht mir die Koinzidenz der Ankunft durch den Kopf. «In den Gedichten», steht dort, « greift er [Fürkus] vielfältige Momente des Lebens auf und setzt mit dem Reiz von Lyrik Akzente zum Nachdenken und Verweilen.» Ich blättere nach vorne. Erstes Gedicht:
«Der Schatten»
In der Höhe nicht zu messen,
nur als Fläche existent.
Wie von Zauberei besessen,
Projektionen kongruent.
Abbild aller Dimensionen,
stets dem Lichte zugewandt,
plattgewalzt wie Druckschablonen,
auch als Schattenspiel bekannt.
…
Das liest sich gefällig, und ist gereimt. Die Seiten danach lesen sich nicht mehr ganz so gefällig. Da beginnt es zu holpern. Das liegt nicht an den Themen, sondern an der spürbaren Anstrengung, sie in Reimen und Versen bändigen zu wollen. Dabei bleibt die Tiefe auf der Strecke, die Essenz und der Fluss kommen abhanden. Es sind tagesaktuelle Themen wie auch philosophische Betrachtungen unter den Gedichten: Selbstfindung, Erinnerungen, Impressionen, Lebens- und Leidenserfahrung, sowie Reflektionen über Politik – auch Atomkraft – und: ein «lyrischer Exkurs zur deutschen Geschichte». Spätestens hier breche ich ab, überfliege die Nachdichtungen englischer Songtexte, blättere in die Kurzgeschichten (Der Tag in Hallstatt und Krippenstein, Beim Orthopäden, Die Fahrradtour) hinein, und lege dann das Buch weg. Schade. Das war eine verschenkte Stunde. Wenn ich eins mitnehme, dann bestenfalls: hier hat jemand geschrieben und das ist an und für sich nicht zu bewerten. Das Geschriebene kann für einen kleinen Kreis, vielleicht den der Familie, durchaus stimmig sein. Da ist er dann zuständig. Schreiben klärt, Schreiben bringt im Akt des Artikulierenmüssens und -wollens zum Hin- und Einsehen.
Die Absicht einer Publikation, sprich einer Veröffentlichung ist, einen größeren Leserkreis zu erreichen. Den Weg, damit dieser größere Kreis erreicht werde, ebnen Verlage, das ist – unter anderen – ihre Aufgabe. Für das Schreiben für eine Leserschaft außerhalb der Familie oder des weiteren Freundeskreises bedarf es allerdings noch einiger Dinge mehr. Und außerdem einer anderen, weiteren Zuständigkeit.
In dieser Zuständigkeit sollte der Schreibende das Werkzeug beherrschen; er muss es so einsetzen können, dass selbst in einem Anderen, den er nicht von Angesicht kennt, etwas angesprochen wird. Schreiben ist eben doch nicht nur das Herausschreiben dessen, was man in sich selbst findet, sondern auch das An- und Aussprechen der Welt für die Welt.

In Jürgen Fürkus’ «Literarischen Eigenblicken» fehlen nicht nur das Feuer und der Genius, sondern auch der professionelle Umgang mit Sprache. Dem Buch können Güte, Menschlichkeit und Zuversicht nicht abgesprochen werden – aber Literatur ist das nicht…
In Verlagen arbeiten Lektoren, Menschen, die sich der Sprache, des Werkzeugs des Dichters annehmen. Wenn er dieses selbst noch nicht virtuos an den Stoff anlegen kann, zeigen sie ihm zweierlei auf: entweder, wie es gehen könnte (Talent vorausgesetzt, und der Dichter findet im gegenseitigen Prozess seinen Ton, wird eigenständig und wiedererkennbar) oder dass «es» so nicht geht und alle Müh vergebens sein wird (weil ein anderes, nicht aber das Talent zum Schreiben vorliegt).
Bei Book-on-demand bzw. ProBusiness gibt es offenbar kein Lektorat, oder – eine Recherche diesbezüglich ist noch nachzuholen – man muss es extra bezahlen, wenn man sein Buch dort in Druck gibt. Ich habe etliche Schreibbegeisterte erlebt, die glaubten, ihre Texte seien bereits «druckreif» – und ein kostenspieliges Lektorat für überflüssig hielten. Jürgen Fürkus‘ Sprache ist durchsetzt mit Irrtümern über das Lyrische, seine Wortwahl nah am Umgangssprachlich-Funktionalen, mit dem nicht er spielt, sondern das mit ihm spielt. – Das Wesen des Lyrischen ist die Verdichtung. Auch das Genre Kurzgeschichte lebt vom Verdichten. Eine einzelne wahre (vielfach banale) Begebenheit «genügt» einfach nicht, daraus eine Geschichte zu machen.
Indem ich das Buch zuklappe, denke ich das Wort «schal». Es fehlen das Feuer und der Genius. Dass aus den «Eigenblicken» Güte, Menschlichkeit und Zuversicht sprechen, kann und soll ihnen nicht abgesprochen werden; dass sie «literarisch» seien, indes schon. Schreiben sollte man dann doch denen überlassen, die es können. Lesen kann auch etwas sehr Schönes sein. ■
Jürgen Fürkus: Literarische Eigenblicke – Gedichte, Nachdichtungen, Kurzgeschichten, 144 Seiten, ProBusiness GmbH, ISBN 978-3-86386-465-1
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