Der Colonel sitzt am Straßenrand. Seine Schuhe haben Löcher. Er ist verkatert. Neben ihm steht sein Gitarrenkoffer. Die ersten Autos sind unterwegs. Leute hetzen an ihm vorüber. Er zündet sich eine Selbstgedrehte an. Gähnt. Spuckt auf die Straße. Er sieht auf der anderen Straßenseite Willi Blind. Der Colonel winkt ihm zu. Willi Blind bewegt den Kopf hin und her. Wirkt ungläubig. Winkt zurück. Er sucht sich eine Lücke zwischen den fahrenden Autos. Humpelt mit seinem steifen Bein rüber zum Colonel.
„Was machst du denn hier, Colonel?“, sagt Willi Blind.
„Sitze hier und rauche eine Zigarette.“
„Dachte, du wärst tot.“
„Warum soll ich denn tot sein?“
„Das habe ich gehört. Hat irgendwer erzählt.“
Der Colonel grinst ihn an.
„Siehst du, Willi Blind, Totgesagte leben länger.“
„Das ist ein Ding, Colonel. Da sollten wir einen drauf trinken.“
„Das geht nicht“, sagt der Colonel. „Wegen der Sauferei haben sie mich gefeuert. Ich muss trocken werden. Sonst bekomme ich keinen Job mehr. Ich bin Musiker. Ich muss Musik machen. Mehr darf für mich nicht zählen.“
Willi Blind nickt anerkennend.
„Das nenne ich mal eine Einstellung“, sagt Willi Blind.
Er stützt sich auf der Schulter des Colonels ab. Setzt sich neben ihn.
„Willst du Tabak?“, fragt der Colonel.
Willi Blind lässt sich den Tabakbeutel reichen. Dreht sich eine Zigarette.
„Das wäre nichts für mich“, sagt Willi Blind.
„Was denn?“, fragt der Colonel.
„Na, jeden Tag in ein Büro gehen. Oder in einer Werkstatt arbeiten.“
„Du handelst mit Drogen“, sagt der Colonel.
„Das ist besser“, sagt Willi Blind. „Willst du was haben. Ich kann dir alles besorgen.“
Der Colonel überlegt.
„Lass mal, Willi Blind. Ich muss erst mal wieder auf die Füße kommen. Geld verdienen. Dann kann ich mich auch wieder um die Drogen kümmern.“
„Ist eine gute Einstellung“, sagt Willi Blind.
Sie rauchen ihre Zigaretten. Blinzeln in die Sonne.
„Du könntest mir etwas auf deiner Gitarre vorspielen, Colonel.“
„Das könnte ich, Willi Blind. Habe das Ding verkaufen müssen. Das ist nur noch der Koffer.“
Willi Blind überlegt.
„Dumm für einen Musiker“, sagt Willi.
„Sehr dumm“, sagt der Colonel.
„Und wie willst du wieder an die Gitarre kommen.“
„Keine Ahnung“, sagt der Colonel.
„Ich habe ein bisschen Geld. Wir könnten rüber ins COMPARTS. Ich gebe dir einen Drink aus.“
„Trinke doch nicht mehr, Willi Blind.“
„Ach, nur einen Whiskey. Der wärmt dich auf. Und du kannst besser nachdenken.“
„Meinst du?“
„Ja, das meine ich.“
Willi Blind stützt sich wieder auf der Schulter des Colonels ab. Der Colonel kneift ein Auge zu. Überlegt.
„Ach, Scheiße, Willi. Dann gehen wir halt einen trinken.“
Der Colonel packt Willis Hand. Er greift den Gitarrenkoffer. Sie schlendern gemütlich rüber ins COMPARTS.
„Weißt du was“, sagt der Colonel. „Mit dem Trinken kann ich auch irgendwann später aufhören.“
„Ja“, sagt Willi Blind.
Er zieht die Tür zum COMPARTS auf. Jazz dringt nach draußen. Stimmengemurmel. Rauchschwaden. Der Colonel grinst. Er geht vor. Willi Blind hinkt hinter her. Die Tür schließt sich langsam hinter ihnen.
Das ist meine Welt, denkt der Colonel.
Er stellt den Gitarrenkoffer an der Theke ab.
Archivierung!
Die Pathologie wird von der Universität Innsbruck im Rahmen des Forschungsprojektes DILIMAG, sowie dem DEUTSCHEN LITERATURARCHIV MARBACH archiviert.- "In Pissoirs geht man Stufen hinunter, in Bunker, in Krematorien, in die Pathologie, in Weinkeller. Es lassen sich mythologische Beziehungen zum Hinabsteigen herstellen." Hubert Fichte, Die Palette
Über Guido Rohm
Er kam, sah und schrieb. Der Schriftsteller Guido Rohm , geboren 1970, lebt und raucht in Fulda. Romane von ihm tragen sensible Titel wie „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“.
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