Gremium

Die Ruhe erschlug ihn beinahe.
Er legte die Füße übereinander, so dass sie ein Kreuz bildeten. Dachte an den Heiland, Gott hab ihn selig, und an seine Qualen. Die Dornenkrone. Das gemarterte Gesicht.
Faltete die Hände wie zum Gebet, kreuzte die Daumen. Sprach sich Mut zu. Dachte an all die Verfolgten dieser Welt. Und dann wieder an den Heiland. Verspottet hatten sie ihn. Verraten. Aber er war zurück gekehrt.
Er saß mit eingefallenen Schultern da. Den Geruch aus dem Männerheim wurde er gar nicht mehr los. Er schmeckte den Schweiß fremder Männer auf der Zunge. Spürte die Säufer noch, die sich auf sein Lager und neben ihn gedrängt hatten. Hatten ihm ihre Zungen ins Maul geschoben. Bastarde. Abschaum. So war er nicht.
Und doch …
Er widerte sich selbst an.
Seine Hände pumpten leicht. Er würde es schaffen, würde allen zeigen, dass er zu Höherem berufen war.
Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Linste unauffällig und verstohlen zum Vorsitzenden, der sich gerade zur Seite beugte, um mit einem Kollegen zu flüstern.
Sprachen sie über ihn?
Sie sprachen bestimmt über ihn.
Sie würden ihn kreuzigen. Hier und heute. So war es immer gewesen, und so würde es immer bleiben.
Auserwählte wurden schon immer verfolgt.
Er konnte sich den Vorsitzenden gut in einer Römertracht vorstellen, eine Peitsche schwingend, die er ihm über den Rücken zog.
Er musste kichern.
„Belustigen wir Sie?“, fragte der Vorsitzende.
Er sagte nichts. Schüttelte verneinend den Kopf. Schnell und hektisch, um jeden falschen Eindruck auszuräumen.
Der Vorsitzende räusperte sich. Er blickte auf.
„Wir können Sie leider nicht aufnehmen.“
Er biss die Zähne zusammen, ballte die Fäuste.
„Danke“, flüsterte er.
Er drückte sich langsam und bedächtig nach oben. Stand wankend da. Verließ mit kleinen Schritten den Saal. Er spürte ihre Blicke, ihren schalen Atem. Hörte wieder die Peitschen knallen. Das Kreuz war errichtet.
So schnell bekämen sie ihn nicht unter die Erde. Er würde zurück kehren. Würde auferstehen. Ja, sie würde seinen Namen noch in tausend Jahren nennen. Er war ein Künstler. Ein großer Künstler.
Er stand noch eine Weile draußen vor der Tür. Es begann zu regnen. Er schlug den Mantelkragen nach oben. Zog den Kopf ein.
Dann ging er.

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