19. August 2010, Das Zentralkomitee der Merga Bien, 6.11 Uhr

Da saßen sie, eine Runde wie gemacht für das letzte Abendmahl, die Gesichter von der Gravitationskraft gebeutelt, da saßen sie und warteten auf das Zentralkomitee der Merga Bien, wir hätten keine märchenhafte Hexe über unsere Straßen hängen sollen, sagten sie, nun kommen sie, schon waren sie da, das Zentralkomitee der Merga Bien beschritt das alte Ziegelsteinzimmer, die Gesichtsmuskeln verhärtet, schon begann die Diskussion, schon sprach das Zentralkomitee vom Männerüberschuss in dieser Runde, dabei sei doch die Hexenverfolgung ein reines Frauenthema, schon schwitzte die Abendgesellschaft, schon sprach man zurück, aber das Zentralkomitee ließ sich nicht beirren, denn das Zentralkomitee war nicht gekommen, um zu diskutieren, sondern um Wahrheiten zu verkünden, um zu verfolgen, um zu verlangen, schon wurde die kleine Hexe, ja, ja, das Kinderbuch, der Romantisierung schuldig gesprochen, das Zentralkomitee saß zu Gericht, weil das Zentralkomitee nicht irgendwer war, sondern das Zentralkomitee eben, die Gesichter der Abendgesellschaft zuckten, sie boten einer Theatertruppe, die ein Stück namens „Scheiterhaufen“ aufführte, an, man könne sich doch in die Diskussion einbringen, eine Theatertruppe bestehe doch aus Künstlern, denen müsse doch etwas an Diskussionen, auch mal am Streit liegen, allein das Zentralkomitee ließ es nicht zu, weil das Zentralkomitee die Wahrheit säte, weil das Zentralkomitee von Gott installiert und somit keinen Gesprächsbedarf hatte. Außerdem spielte das Zentralkomitee auch in der Theatertruppe mit.
Da saßen sie dann wieder, eine Runde wie gemacht für das letzte Abendmahl, die Gesichter von der Gravitationskraft gebeutelt, und wussten nicht weiter.

Selten wurde mir von der Wirklichkeit, eben auch jener Wirklichkeit, in der ich lebe, ein Romanstoff so sehr aufgedrängt wie eben in diesen letzten Wochen. Und wenn es kein Roman wird, dann mindestens eine Novelle, denn da spuken zu viele Möglichkeiten, die ich nicht einfach auf der Straße liegen lassen kann.

Kaffee, Zigarette.
Erhielt eine Mail von Leszek Skurski. Der Hessische Rundfunk wird heute Nachmittag in der Galerie vorbei kommen. Das soll mir recht sein, habe ich doch einiges zum Thema zu sagen. Außerdem erhielt man einen Brief jener Theatertruppe, die ein Stück mit Namen „Scheiterhaufen“ spielen. Ich kenne es nicht. Kann also nichts zum Stück sagen. Wohl aber zur Absage der Truppe, die in der Löherstraße spielen sollte, da im Brief eine Form der übelsten Sprachdiktatur betrieben wurde. Man will über den Einsatz der Sprache entscheiden. Da man sich ihnen nicht beugte, verwehren sie nun die künstlerische Auseinandersetzung. Das sagt vieles über die Künder einer solchen Nachricht.
Ich kann also nur allen Lesern der Pathologie empfehlen, sich die Ausstellung in der Red Corridor Gallery, die am Freitag eröffnet wird, anzusehen.

Ich werde jetzt noch einen Kaffee trinken, eine Zigarette rauchen und dann …

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