Der Widerstand (3)

Endlich stand ich auf dem Bahnsteig von Wildenberg. Da ich mich an die eigentliche Fahrt nicht erinnern konnte, kam ich mir noch immer wie in einem Traum gefangen vor. Ich sah mich verwirrt um, überlegte, was zu tun sei, suchte nach meinen Zigaretten, um mir schließlich eine zwischen die Lippen zu drücken. Hinter mir hörte ich ein Jammern und Klagen. Die alte Frau, die sich mir durch die Bezeichnung „Ferkel“ anvertraut hatte, ächzte und stöhnte sich aus dem Zug auf den Bahnsteig hinaus. Ich versuchte mich an einem wagemutigen Lächeln, das sie mit einem Hustenanfall quittierte. Ich ging einen Schritt auf sie zu, reichte ihr meine Hand, um ihr auf diese Weise Beistand beim Ausstieg zu leisten.
„Ich verzichte“, krächzte sie.
Ich zog an meiner Zigarette.
„Sie sollten das Ding erst mal anzünden“, sagte die Alte.
Richtig. Ich suchte nach meinem Feuerzeug. Leider fand ich es nicht. Ich würde mir eines kaufen müssen, denn ich kann auf Dauer weder ohne Tabak noch ohne die Erstausgabe meines eigenen Romans „Der Widerstand“ leben. Das Buch befand sich im Koffer mit den Arbeitsutensilien, vielleicht würde sich auch das Feuer dort finden lassen.
Ich nahm meine Last wieder an, trug sie eine steile Treppe hinab, bog in einen mit Graffiti verschmierten Gang, der mich nach Wildenberg hinein bringen würde.
Ich geriet in die Bahnhofshalle, suchte mir einen Kiosk, erstand ein Feuerzeug und fühlte mich, nachdem ich meine Zigarette draußen endlich anzünden durfte, wieder halbwegs als jener Autor, den man entsandt hatte, den berühmten Maler zu suchen, von dem es seit Wochen keine Spur mehr gab. Warum man mich geschickt hatte, konnte ich nicht sagen. Vielleicht weil ich Kriminalromane schrieb, vielleicht weil der Verleger der Bruder des Malers war, vielleicht aber auch, so dämmert es mir allmählich, weil mein Tagtraum im Zug mich nicht getrogen hatte und man mich los werden wollte, hatte ich doch unlängst erst dem Verleger vor seiner Familie als erbärmlichen Feigling bezeichnet, weil er meinen Roman „Tod eines Verlegers“ nicht hatte veröffentlichen wollen.
Außerdem war ich seit Jahren sein Nachbar, ein Nachbar zumal, der sich auf das Steinewerfen ebenso verstand wie auch auf das nächtliche Singen moderner Opernarien, wenn es die Umstände seines Lebens verlangten. Vielleicht hätte ich es in einigen Bereichen meiner zweifelfrei reich vorhandenen Talente nicht ganz so übertreiben sollen.
Aber nun war ich nun einmal hier in Wildenberg. Da konnte ich ruhig mal ein paar Nachforschungen betreiben. Der Verleger wäre mir danach so oder so einen Gefallen schuldig. Drei bis vier Tage würde Wildenberg mich schon aushalten.

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