Da sitzt er.
Die Ikone einer ganzen Generation.
Der Mann, der gegen das System aufbegehrte, der sich in einem Meer aus Frauen suhlte, der die freie Liebe und den Kampf gegen die Konventionen beschwor.
Er hebt den Kopf und sieht uns bitter an.
Sagt: Man wird halt alt. Und das bisschen Geld kann ja auch nicht schaden.
Er beugt sich nach vorne. Hebt einen Stock auf. Kratzt Kreise in die trockene Erde. Er sieht sich aufmerksam dabei zu.
Hey, rufen wir ihn an, aber er scheint uns nicht mehr zu hören.
Eine seiner Geliebten aus alten Tagen, die unvergessliche Ursula, an die wir uns alle erinnern, obwohl wir sie nie gesehen haben, an die wir uns erinnern, weil ihre Geschichte über die Leinwand flimmerte und sie so zu einem Teil unseres kollektiven Gedächtnisses wurde, gab ein Interview. Sie sagte, er sei eine traurige und erbärmliche Witzfigur.
Wir rufen ihn an, sagen, hey, Rainer, aber er malt weiterhin seine Kreise, er scheint uns nicht hören zu wollen, bis ihn plötzlich aus dem Off die Stimme des Regisseurs anherrscht: Rainer!
Er hebt den Kopf.
Was ist, murmelt er.
Die Stimme gibt ihm die Anweisung, sich in den hinteren Teil des Lagers zu begeben. Dort würden heute Hoden von irgendeinem unaussprechlichen Tier verspeist. Er sei einer der Glücklichen, die sich schon mal den Bauch reiben dürften. Rainer verzieht das Gesicht. Dann hebt er langsam die Schultern.
Was soll ich machen, sagt er zu uns.
Begehr auf, sagen wir zu ihm. Wehr dich!
Nein, nein, winkt er ab. Wir sollten hier nicht mit solchen revolutionären Gedanken hausieren gehen, sagt er. Das würde nur für Ärger sorgen. Und den kann er hier nun wirklich nicht gebrauchen.
Wir sprechen ihn noch einmal auf die Ursula an.
Die versteht das nicht, sagt er nur.
Er läuft langsam zu den bereits aufgestellten Tellern. Einmal dreht er sich noch um. Er sieht uns traurig an und legt den Finger auf die Lippen. Dann geht er weiter. Wir sehen ihm nach. Lange. Und dann ist er irgendwann einfach nicht mehr zu sehen.
Archivierung!
Die Pathologie wird von der Universität Innsbruck im Rahmen des Forschungsprojektes DILIMAG, sowie dem DEUTSCHEN LITERATURARCHIV MARBACH archiviert.- "In Pissoirs geht man Stufen hinunter, in Bunker, in Krematorien, in die Pathologie, in Weinkeller. Es lassen sich mythologische Beziehungen zum Hinabsteigen herstellen." Hubert Fichte, Die Palette
Über Guido Rohm
Er kam, sah und schrieb. Der Schriftsteller Guido Rohm , geboren 1970, lebt und raucht in Fulda. Romane von ihm tragen sensible Titel wie „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“.
-
Kategorien
- Alfred Harth
- Anmerkungen
- Anzeigen
- Bücher
- Comic
- Deutsche Ikonen
- Die Beunruhigten
- Die Irrfahrten des Otto Seuse
- Filme
- Fleisch
- Fototagebuch
- Fremde Federn
- Fundbüro Clemens Setz
- Fundstücke
- Galerie
- Gastautoren
- Gedichte
- Kameraauge
- Kriminelles Tagebuch
- Kritik
- Kurzmeldungen
- Lesestoff
- Listen
- Logbuch
- Markus Michalek
- Miniaturen
- Narrenturm
- Noir
- Parallelpathologie
- Pathologie
- Poetische Essays
- Projekte
- Rückblicke
- Satiren
- Sätze
- Spielereien
- Veranstaltungen
- Vermischtes
- Wahnsinnsjournal
Archive
HAFTUNGSAUSSCHLUSS
Der Autor diese Weblogs erklärt hiermit ausdrücklich, dass zum Zeitpunkt der Linksetzung keine illegalen Inhalte auf den zu verlinkenden Seiten erkennbar waren. Auf die aktuelle und zukünftige Gestaltung, die Inhalte oder die Urheberschaft der gelinkten/verknüpften Seiten hat der Autor keinerlei Einfluss. Deshalb distanziert er sich hiermit ausdrücklich von allen Inhalten aller gelinkten /verknüpften Seiten, die nach der Linksetzung verändert wurden. Diese Feststellung gilt für alle innerhalb des eigenen Internetangebotes gesetzten Links und Verweise sowie für Fremdeinträge in vom Autor eingerichteten Gästebüchern, Diskussionsforen und Mailinglisten, insbesondere für Fremdeinträge innerhalb dieses Weblogs. Für illegale, fehlerhafte oder unvollständige Inhalte und insbesondere für Schäden, die aus der Nutzung oder Nichtnutzung solcherart dargebotener Informationen entstehen, haftet allein der Anbieter der Seite, auf welche verwiesen wurde, nicht derjenige, der über Links auf die jeweilige Veröffentlichung lediglich verweist.Impressum
Guido Rohm, 36100 Petersberg E-Mail: HIERMeta