Da ist eine Frau, die den Kopf hebt, die lauscht, die einem flirrenden Wort folgt, einer Wolke, die sich an ihr vorüber schiebt, wir können es nicht sagen, wir haben die Kamera auf sie gerichtet, die Frau steht weit entfernt in einem Garten, sie bückt sich nach dem nächsten Wäschestück, sie greift nach den Wäscheklammern, hält abermals inne, sieht sich um, so als ob sie uns bemerkt hätte, wir bücken uns, wir verschwinden hinter dem Geländer, wir spähen durch die schmalen Ritzen des Geländers zu ihr hin, während die Kamera unbarmherzig ihre Bewegungen frisst, ihren Stillstand, ihr Aufsehen, ihr Wegblicken, ihren Kopf, der sich zur Seite neigt, sie muss etwas hören, was wir nicht vernehmen können, das Flüstern der Ameisen, die gurrenden Gespräche der Tauben, den in weiter Ferne grollenden Donner, der sich inmitten einer dunklen Wolkenschar versteckt, die noch über das Meer hinweg hetzt, die noch nicht zu sehen oder zu hören ist, zumindest nicht für unsere Augen und Ohren, die sich auf die Frau konzentrieren, die nun ins Haus läuft, eilig, sie verliert einen Schuh dabei, ganz so wie Aschenputtel, das Telefon könnte klingeln, es könnte das Krankenhaus sein, die ihr von der Tochter berichten wollen, die dort liegen könnte, gefangen im Koma nach einem Verkehrsunfall, aber das wissen wir nicht, wir vermuten es nur, denn es muss einen triftigen Grund geben, warum man seinen Schuh zurück lässt, seine Wäsche, die nun im Korb verkümmert, die sich nach einem Windhauch sehnt, die zu ihren Artgenossen blickt, die das Glück hatten, bereits aufgehängt worden zu sein, denn nirgendwo werden Erhängte so sehr mit Neid übergossen wie in der Welt der frisch gewaschenen Wäsche, die Frau bleibt fort, wir warten, Stunde für Stunde, sie erscheint nicht mehr, es wird allmählich dunkel, die schwarzen Wolken sind bereits eingetroffen, sie werden die Wäsche wieder nässen, sie werden die Arbeit des Tages zerstören, einfach so, weil sie nicht darüber nachdenken, weil sie ihrer Natur folgen, wir blicken hin zum Haus, spähen in den Garten, in dem die Wäsche weht, Flaggen der Kapitulation, sie kommt nicht, auch nicht am nächsten Tag, was, so fragen wir uns, was mag dort nur geschehen sein, dass sie nicht einmal mehr die Wäsche aus dem Garten retten konnte, sie ist verschwunden, sie bleibt in ihrer ganz eigenen Geschichte, die sich unserem Kameraauge verschließt.
Archivierung!
Die Pathologie wird von der Universität Innsbruck im Rahmen des Forschungsprojektes DILIMAG, sowie dem DEUTSCHEN LITERATURARCHIV MARBACH archiviert.- "In Pissoirs geht man Stufen hinunter, in Bunker, in Krematorien, in die Pathologie, in Weinkeller. Es lassen sich mythologische Beziehungen zum Hinabsteigen herstellen." Hubert Fichte, Die Palette
Über Guido Rohm
Er kam, sah und schrieb. Der Schriftsteller Guido Rohm , geboren 1970, lebt und raucht in Fulda. Romane von ihm tragen sensible Titel wie „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“.
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