[Rezension]: Markus Mittmannsgruber – Verwüstung der Zellen 

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Markus Mittmannsgruber – Verwüstung der Zellen (erschienen im Luftschaft Verlag)

Anziehungskraft des Massepunktes, Abstoßung des Verstandes

Ursprünglich, als ich den Roman begann, war ich von der Thematik angetan. Demenz beim Vater, Zurückweisung, Depression beim Sohn und eine Mutter, die mit der ganzen Situation nichts anzufangen weiß. Dann geht der Sohn in eine Therapiegruppe, um sich selbst zu helfen und spätestens wenn dieser Teil der Geschichte in Schwung kommt, war ich abgehängt. Es war zuviel. Zu viel Massepunkte, zu viele Gedanken, die ins Depressive rutschten, zu viele verschwurbelte Sätze, so dass mir der rote Faden öfter abhandenkam. Es ist zwar ein gutes Buch, keine Frage, aber es kam bei mir nicht recht durch. Was ich für mich positiv bewerte, ist der Punkt, dass mich das Buch selbst jetzt, nachdem ich es seit knapp 2 Wochen ausgelesen daliegen habe, immer noch beschäftigt.

Er stellte sich später vor, dass der Mann, sein Vater, in diesem Zeitraum jeden inneren Monolog eingestellt haben musste. Vielleicht aus Furcht, jedes auch nur kurz angedachte Wort in eine Dunkelheit fallen zu sehen, bevor es überhaupt in die Nähe seiner Stimmbänder geraten konnte. In eine Dunkelheit des Unzusammenhängenden, des Nichtnachvollziehbaren. (Markus Mittmannsgruber, Verwüstung der Zellen)

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht des namenlosen Erzählers und von einem neutralen Beobachter beschrieben. Der namenlose Beobachter nennt den Erzähler im gesamten Buch nur „Der Sohn“. Auch die Mutter und der Vater bleiben namenlos im Nebel, wobei Nebel das Stichwort ist, denn ebenjener Vater leidet an Demenz und lässt seine Familie wissen, als er noch bei klarem Verstand ist, dass er keine Besuche wünscht, da er nicht will, dass sie seinen Verfall beobachten. Der Sohn und die Mutter halten sich an das Gebot. Die Mutter zieht sich in ihr Schneckenhaus zurück und kann mit der Situation nichts anfangen und der Sohn versteift sich in den Gedanken, ob er die Krankheit seines Vaters ebenfalls in sich trägt, die viel zu früh auftrat. Durch Zufall kommt der Sohn in eine Art Selbsthilfegruppe, die unkonventionelle Methoden anwendet. In Zwischensequenzen, die mit dem eigentlichen Fortlauf der Geschichte nichts zu tun haben, werden postapokalyptische Zustände beschrieben, in denen eine Art lebloses Wesen, welches als „Massepunkt“ eingeführt wird, durch die Gegend streift und, anscheinend vollständig unaufhaltbar in seinem Tun und vom Wahnsinn befallen, Menschen beziehungsweise irgendwelche Wesen tötet und verspeist.

Bevor der eigentliche Roman beginnt, wird der Massepunkt eingeführt, der sich wie ein roter Faden durch das Buch schleicht. Was genau er zu bedeuten hat, erfährt man nicht. Jedoch ist dieser Einstieg gleich eine Wegmarke, wie man dieses Buch aufzunehmen hat, denn für zartbesaitete Seelen ist das nichts. Da wird beschrieben, wie der Massepunkt auseinanderfällt und das in allen Details. Wie er Menschen verspeist und als Untoter durch eine nicht näher beschriebene, aber zumindest untergegangen Welt streift. Sind es die Gedanken des Sohnes, seine Träume? Man erfährt es nicht und muss sich sein eigenes Bild machen. Viel Interpretationsspielraum ist gegeben, was mich in einem Buch richtiggehend anstachelt. Doch dieser Massepunkt ging mir irgendwann auf die Nerven. Er hatte keinen Sinn, keinen Zusammenhang zur eigentlichen Geschichte. Sollte es eine Art Widergänger vom Sohn sein, symbolisieren, dass er immer wieder aufsteht, egal was kommt? Ich weiß es nicht. Falls jemand das Buch zur Hand genommen hat oder nimmt, bitte Bescheid geben, was er darüber denkt.
Die eigentliche Geschichte ist recht simpel gestrickt, wird aber durch die Bildsprache des Autors enorm aufgewertet. Vor allem diese Sprache ist es, die mich begeistert zurückgelassen hat, aber dazu beigetragen hat, dass mich die zu erzählende Geschichte nicht mehr richtig interessierte. Warum auch? Es führt am Ende zu nichts und man sitzt mit mehr Fragezeichen da als vorher. Als Leser bringt man nicht in Erfahrun, was die Selbsthilfegruppe nun für den Sohn bedeutet hat und wie er in Zukunft mit sich selbst umzugehen pflegt. Als ich anfing das Buch zu lesen und es für mich auch auf meine persönliche Shortlist für den Bloggerpreis des besten Debüts setzte, war ich richtiggehend begeistert. Doch mit zunehmender Dauer war ich genervt, da die wunderbare Sprache von meinem Gefühl her um ihrer selbst willen geschah und nicht in Einklang mit der Geschichte zu bringen war. Am Ende war ich froh, als ich die Buchdeckel zuklappen konnte.

Ihren Vornamen hatte sie zwar zu Beginn genannt, die Gammastrahlung der daraufhin adjektivisch in Gang gebrachten Wortkernspaltung hatte diesen aber nicht verschont: Als sie zu reden aufhörte, war er aus meinem Gedächtnis gelöscht. Irgendwas mit M, glaube ich. Ja, irgendwas mit M. (Markus Mittmannsgruber, Verwüstung der Zellen)

Ich habe das Buch für mich selbst im Zuge der Auszeichnung des besten Debüts gelesen und zwar zu einem Zeitpunkt, als die Shortlist noch gar nicht feststand. Durch die ersten Eindrücke bestätigt, empfand ich dieses Buch als Shortlistkandidat. Dass es am Ende nicht auf der offiziellen Liste gelandet ist, kann ich im Zuge meiner eigenen Lektüreerfahrung verstehen und hoffe, ich konnte es durch die Leseeindrücke ein wenig untermauern. Insgesamt kann ich zwei Dinge als positiv mitnehmen: Einen starken Beginn des Buches und ich habe einen Verlag entdeckt, den ich im Auge behalten werde.


Markus Mittmannsgruber
Verwüstung der Zellen
Luftschaft Verlag, 1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-902844-93-4

4 Kommentare zu „[Rezension]: Markus Mittmannsgruber – Verwüstung der Zellen 

Gib deinen ab

  1. Hallo Marc, ich weiß nicht wie oder wo ich das setzen kann, habe Deine Rezension gern gelesen, bin aber ein paar Mal gestolpert.
    Du brauchst diesen Kommentar nicht freigeben, im Gegenteil: Wenn Du schnell einfach korrigierst und diesen Kommentar wieder wegwirfst, bin ich vollauf dacore: Kannst ja im Gegenzug einfach bei mir ein bisschen rumklicken ;o)

    Diese hier habe ich gefunden:
    […] Anmerkung des Blogbetreibers: Ich habe die angemarkerten Punkte korrigiert und deshalb aus diesem Kommentar entfernt. Danke für die hilfreichen Hinweise.

    Kurze Anmerkung: Ein Buch darf auch nerven? – Ich finde ja:

    Mit zunehmender Dauer war ich genervt, da die wunderbare Sprache von meinem Gefühl her um ihrer selbst willen geschah und nicht in Einklang mit der Geschichte zu bringen war.

    (Das finde ich nun etwas zu willkürlich formuliert. Wenn das ein Autor macht: Sprache um der Sprache Willen, kann das kein KO.-Kriterium sein, sondern kann nicht hoch genug gesetzt werden. Die Frage geht, wie es in Deiner Rezension anklingt, eher um den Plot? Wenn der stimmig wäre, das Monster also glaubwürdiger, würde man Sprache um der Sprache Willen dann als Musik um der Musik willen nicht tolerieren dürfen, ja müssen?)

    Beste Grüße Clemens

    Liken

    1. Hallo Clemens,

      ich weiße doch keinen Kommentar zurück, nur weil er nützliche Tipps bereit hält und vielleicht auch weitere Gedanken zum Text anstößt.
      Erst einmal danke für die Hinweise. Das kommt davon, wenn man, ohne Korrektur zu lesen, den Text in den Äther schickt. Das waren schon ein paar grobe Schnitzer.

      Das mit dem Nerven habe ich mal geändert, da es so nicht ganz die Intention getroffen hat. Aber ja, ein Buch darf nerven, jedoch nicht so, wie es „Verwüstung der Zellen“ getan hat. Anfangs dachte ich eben: Wow, was für eine Sprache. So frisch, mit Beschreibungen um sich werfend, dass man sich jeden Satz ausschneiden möchte. Doch irgendwann war mir das zuviel und es ging mir auf die Nerven. Ich hatte das Gefühl, der Autor suhlt sich regelrecht in seiner Sprachgewandheit und hat dabei vergessen, seine Geschichte auszuerzählen. Ebenso fehlte mir die Verbindung zu dem Part mit dem Massepunkt. Ich brauche es nicht auf dem Silbertablett, aber einen kleinen Hinweis kann man einstreuen, was das zu bedeuten hat oder es war einfach nur ein Jux innerhalb der Geschichte, weil der Autor Zombiefilme mag (oder so).

      Gruß
      Marc

      Gefällt 1 Person

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