Archiv für August 2007
Die Haende des Grossvaters
Freitag, 10. August 2007Erzaehlung aus dem Erzgebirge
Von Margarete Steger
Das Dorf hatte unter dem Krieg gelitten. Das Schlimmste war wohl, dass so viele Vaeter, Soehne und Brueder nicht mehr nach Hause kamen. Sie blieben im Felde. Marianne dachte damals, dass alle Kriege auf Kornfeldern stattfinden. Die Namen der vielen Gefallenen hatten keinen Platz mehr am Kriegerdenkmal. Man fuegte einen grossen, glattpolierten Stein hinzu. Der Steinmetz, der auch der Totengraeber des Dorfes war, gravierte in grossen Lettern als oberste Zeile: Den Gefallenen beider Kriege. Das Kind Marianne wollte vom Großvater wissen: „Großvater, kommt keiner mehr? Ist das der letzte Krieg?“ Der hochbetagte Altbauer des Fischergutes war der einzige Mann am Bauernhof. Der Vater und auch die Knechte waren alle zum Kriegsdienst eingezogen worden. Der Altknecht hatte sich sogar darueber gefreut, dass er die Musterung bestanden hatte. Er steckte sich ein gruenes Zweiglein vom Buchsstrauch an den Hut, tanzte durch den Ort und versoff beim Lindenwirt einen halben Jahreslohn.
Von einigen Maennern hatte man Feldpost erhalten und wusste, dass sie am Tag der Aufgabe des Briefes noch lebten. Das Kriegsende nahte und mit ihm naeherte sich auch das Ende des Mordens und das Gräuel des Krieges. Die Ueberlebenden schleppten sich nach Hause. Wer nicht in Kriegsgefangenschaft geraten war, versuchte das zu erreichen, was einmal sein zu Hause war, um zu erfahren, wer noch lebt und wer am Schlachtfeld geblieben war. Viele Menschen, besonders die aus den Lagern befreit wurden, konnten keine Heimat mehr finden, denn alles war zerstoert und die Angehoerigen umgebracht.
In dieser Zeit war das vierzehnjaehrige Kind Marianne in der Obhut des Großvaters geblieben. Es gab am Fischergut eine Kammer, die ein richtiges Versteck war. Sie war auch als solches gebaut worden. Direkt ueber der Scheuneneinfahrt, durch Stroh und Heu verdeckt, war ein Verschlag, schmal, doch lang, dass er nicht auffiel. Dort verbargen sich neun Frauen. Das Kind Marianne und die greise Schwester des Altbauern, die Annatant, waren in der Stube. Im Verschlag hatte man zu essen, denn Marianne brachte zur Scheune taeglich einen gefuellten Henkelkorb. Die Angst war gross. Die Besatzungssoldaten, die nun ins Land kamen, waren durch Krieg und Entbehrung hemmungslose Pluenderer geworden. Sie zogen in Horden uebers Land und wollten das, was sie monatelang entbehren mussten: Nahrung, Schnaps und Frauen. Manche gaben sich mit einer Taschenuhr zufrieden.
Die Besatzer wurden schon im nahen Ort gesichtet. Zum Hof war es von dort nicht mehr weit. Furcht ueberkam die Alte Annerl. Sie begann wie wild zu beten und dabei zu jammern. „Nimm dich zusammen Schwester. Denk an das Kind.“ Das Gesicht des Kindes war blass geworden. Sein Mund zu einem Strich geschrumpft. Marianne drueckte sich noch naeher an den Großvater. Der nahm ihre zarte Hand in die seine. Sein fester Blick sagte: „Verlass dich auf mich.“ Ein dumpfes Trommeln war zu hoeren noch ehe das Motorengeraeusch zu den Wartenden drang. Die Urangst der Menschen vor herannahenden Kriegern erfasste nun auch den alten Herrn. Er sass ruhig und wartete auf das nahende Unheil. Die Tuere flog auf. Ein Huehne in Uniform, mit einem auf die Menschen gerichteten Gewehr stampfte in die Stube. Er rief laut Silben und Worte, die keiner verstand. Der Großvater gab ihm seine Taschenuhr. Sie verschwand in der Uniform. Dem Eindringling wurde eine Flasche Schnaps gereicht. Der Fremde, durchschritt das Zimmer. Er blieb vor dem Tisch stehen, an dem das verschreckte Grueppchen sass. Er hielt kurz inne. Dann deutete er mit seinem Gewehr auf Marianne. Das Kind wusste was gemeint war. „Mitkommen“ hieß diese Geste. Das Kind dachte nicht weiter. Marianne stand auf und wollte ihre Hand aus der des Großvaters loesen. Der alte Herr versuchte, den Knoten der Finger mit seiner anderen Hand zu entflechten. Der Alte dachte an die nun kommende Vergewaltigung des Maedchens. Er dachte an die Geschlechtskrankheiten, die die Soldaten haeufig verbreiteten. Es koennte auch eine Schwangerschaft entstehen. Der alte Herr dachte an seinen Sohn, der ihm das Kind anvertraut hatte. Haette er Marianne nur in dem Versteck belassen. Das Kind wollte raus. Es wollte den Gestank der versteckten Frauen nicht mehr haben.
Des Altbauerns Gedanken rasten dahin. In diesen Minuten zog nicht nur sein Leben vor seinem geistigen Auge vorbei, sondern auch das Leben aller am moerderischen Krieg beteiligten. Warum war das Kriegsunheil wie ausgeschuettete Jauche in alle Ritzen und Taeler gedrungen? Wer wollte den Krieg? Wer hasste wen? Wer sollte oben sein, wer unten? Warum wurde seine Heimat zerstoert? Gibt es Leben ohne Wert? Weshalb das Morden? War der fahrende Haendler, der regelmaessig das Gut aufsuchte, nicht wert sein Leben zu behalten; nur weil er Jude war? Der Großvater blickte in das flache Mongolengesicht und dachte: „Du wirst wohl auch eine Mutter oder eine Schwester haben.“ Großvater stand auf und Marianne mit ihm. Nun wollte er die verschlungenen Haende loesen. Auch Marianne war bemueht, aus der Fingerumarmung zu kommen. Der Soldat wurde ungehalten und schlug mit dem Gewehr auf den Tisch. Dem Soldaten wurden die verschlungenen Finger gezeigt. Er selbst versuchte nun sie zu loesen. Als er merkte, dass die Handflaechen und die Finger zusammengewachsen waren, wurde er bleich und verliess das Haus. Die Hand des Alten und die der Enkeltochter loesten sich, nachdem die Furcht vor dem Unheil vergangen war.
Nach etlichen Tagen wagten sich die versteckten Frauen aus ihrem Verschlag. Die Geschichte der verschlungenen Haende wurde verbreitet und macht die Runde durch das Erzgebirge. Marianne blieb zeitlebens mit ihrem Großvater eng verbunden. Sie ist heute Grossmutter und ihrem Großvater dankbar, dass sie nicht hassen muss.
Der schönste erste Satz
Donnerstag, 9. August 2007Der schönste erste Satz: Ein Wettbewerb der Initiative Deutsche Sprache und der Stiftung Lesen. Alle können mitmachen: Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Der erste Satz ist wichtig. In der Liebe wie auch in der Literatur. Ein guter erster Satz entscheidet oftmals schon darüber, ob wir uns in einen Menschen oder in ein Buch verlieben, ob wir berührt werden und uns voller Neugier auf das Versprechen einer guten Geschichte einlassen.
Die Initiative Deutsche Sprache und die Stiftung Lesen wollen von Mai bis September 2007 der „Magie“ erster Sätze auf die Spur kommen. Mit dem Wettbewerb „Der schönste erste Satz“ werden Menschen aller Altersgruppen aufgerufen, den Buchtitel einer deutschsprachigen Autorin oder eines deutschsprachigen Autors zu nennen, dessen erster Satz sie besonders bezauberte, beeindruckte oder neugierig machte.
Der EINSENDESCHLUSS ist am 21. September 2007.
Soll man „Mein Kampf“ edieren?
Mittwoch, 8. August 2007Thomas Gigold weist im Medienblog „Medienrauschen“ auf das in der FAZ veröffentlichte Interview mit Horst Möller, dem Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München hin.
Die vor einigen Wochen in Salzburg aufgetauchten Manuskriptseiten, angeblich Konzeptpapiere zu Hitlers „Mein Kampf“, haben daran erinnert, dass eine wissenschaftliche Edition des Buches noch immer nicht vorliegt.
Aus dem Interview:
„Doch hat der Freistaat Bayern nach 1945 die Rechte des Parteiverlages der NSDAP, des Eher-Verlages, beansprucht. Er untersagte eine vollständige Veröffentlichung des Buches, um die Verbreitung nationalsozialistischer Schriften, ein Wiederaufleben rechtsextremer Strömungen in Deutschland und eine kommerzielle Nutzung der Schriften Hitlers zu verhindern
Nun ist es so: Autorenrechte (auch die der Erben) erlöschen siebzig Jahre nach dem Tod des Verfassers. Damit kann also in weniger als acht Jahren, ab 1. Mai 2015, ohnehin jeder „Mein Kampf“ nachdrucken, wenn er das möchte, und es wird genug Verlage geben, die das Buch dann mit entsprechender Sensationsmache verkaufen wollen. Ich denke: Die wissenschaftliche und die politische Vernunft gebieten es, vorher eine wissenschaftliche Ausgabe auf den Markt zu bringen … die für Propagandazwecke völlig ungeeignet ist.“
Interview Horst Möller in der FAZ: Soll man „Mein Kampf“ edieren?
Via Medienrauschen
Über die Irrungen und Wirrung der Qualitätspresse
Dienstag, 7. August 2007Immer wieder wird BlogautorInnen von VertreterInnen der Printmedien vorgeworfen, daß Sie dem Anspruch der ordentlichen Recherche nicht gerecht werden. Der Standardartikel „FAZ-Journalist Niggemeier wegen Postings abgemahnt“ liefert den Nachweis, daß auch in der sogenannten Qualitätspresse dann und wann „geschludert“ wird. Siehe den Beitrag „Qualitätsjournalismus oder Stefan Niggemeier auf der Flucht?“ in onlinejournalismus.de.
Stefan Niggemeier setzte sich in dem angesprochenen Beitrag mit den Praktiken des Gewinnspieleveranstalter Callactive auseinander, der im Auftrag von MTV Anrufsendungen produziert. In diesem Zusammenhang wurde er wegen zweier Kommentare zu seinem Beitrag „Callactive will Kritiker mundtot machen“ abgemahnt.
Stefan Niggemeier wurde im heurigen Jahr mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.
Literaturwettbewerb: Europa – kreativ
Dienstag, 7. August 2007Im Rahmen von future:lab – Zukunftssymposium 2007.
Erstmals veranstaltet das Ernst-Bloch-Zentrum im Rahmen von future:lab einen Literaturwettbewerb zum Thema Europa. Junge Menschen können hier ihre Gedanken und Eindrücke über ihr Leben in der kulturellen Vielfalt Europas zu Papier bringen. Ob Erfahrungen bei der Begegnung mit anderen Kulturen oder konkret-utopische Gedanken zur Entwicklung des Kontinents – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Themen können zum Beispiel sein:
Was erhoffe ich mir von Europa?
Was erlebe ich in Europa?
Europa – meine Zukunft.
Warum ich Europäer bin.
Meine Region und Europa.
Die Auswahl der Siegerbeiträge trifft eine unabhängige Jury aus Journalisten und Literaten. Die Preise werden bei future:lab am 22. November 2007 im Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen überreicht, die besten Beiträge in der dazugehörigen Publikation veröffentlicht.
Teilnahme: bis 25 Jahre.
Mögliche Formen: Kurzgeschichte, Essay, Reisebericht oder Reportage (bisher unveröffentlicht).
Format & Umfang: max. 5 DIN-A4-Seiten, Arial, 11 Pt., eineinhalbzeilig, rtf- oder pdf-Datei, auf Deutsch, mit Titel.
Einreichung: an wettbewerb@bloch.de .
mit Angabe von Anschrift, Telefonnummer und Alter.
Einsendeschluss: 15.09.2007.
Bei weiteren Fragen wenden Sie sich bitte an: wettbewerb@bloch.de
Vom tragischen Ende eines Pfannkuchens
Dienstag, 7. August 2007Anja Rieger erzählt die Geschichte vom dicken fetten Pfannkuchen. Sie können das Märchen ausdrucken und anschließend ein kleines Bilderbuch herstellen.
Kantapper, kantapper… vom dicken, fetten Pfannkuchen (pdf 805 kb).
Sie können das Büchlein auf drei Din A Seiten (je Vorder- und Rückseite) ausdrucken. Anleitung (pdf 88 kb).
Barrierefreiheit oder Accessibility und das Web 2.0
Montag, 6. August 2007In seinem Artikel „Wege aus der Kommunikations-Kluft“ berichtet Helmut Merschmann im Spiegel über die Probleme von Menschen mit Behinderung im Web 2.0.
Web 2.0 zum Mitmachen (pdf). Die beliebtesten Anwendungen.
Wikipedia – Web 2.0.
Via Recherchenblog