Archiv für die Kategorie 'Literarische Texte'

Eine Schuhbandlgeschichte

Montag, 16. Juli 2007

Zu “Eine Schubandlgeschichte”
Der Schriftsteller Robert Schindel nennt unsere Generation “Die Nachgeborenen”. Wir, die danach geboren wurden, stehen unter dem Einfluss des damaligen Geschehens, ob es uns recht ist oder nicht. Davon reden ist gut; darueber schweigen auch. Nur wenn einer sagt es muesse nun endlich Schluss sein mit dem „davon Sprechen“, dass bringt nur uebelriechendes Unverdautes. Nach fuenfhundert Jahren und mehr, wird man noch darueber reden. Wir Nachgeborenen sollen einen guten Eindruck hinterlassen. Uns war es nicht gleichgueltig.

Sechs kräftige, junge Leute waren mit dem Ausheben einer Grube beschäftigt. Gelegentlich waren Steine zu beseitigen. Ho Ruck. Pack da an. Pack dort an. Am Rande der Grube standen Männer in glattpolierten Stiefeln. Sie beobachteten die Gruppe der Schaufelnden. Einer der Männer oben vom Rande der Grube rief mit einem Mal in die Grube: He du, nein ich mein Dich. Woher kommst du? Der Angesprochene wagte vorerst nicht zu antworten. Er blieb stehen und hielt sich am Stiel seiner Schaufel fest. Woher kommst du? Rief es noch einmal vom Rand der Erdmulde. Ich bin aus Wien. Na und ich bin aus der Steiermark. Hör einmal, wir Österreicher müssen zusammenhalten. Sag mir, kann ich etwas für dich tun? Brauchst Du was? Soll ich Deine Eltern, Deine Familie verständigen? Aus dem Aushub kam die Antwort: Habe keine Familie mehr. Der junge Mann dachte an den Vater, den man sterbend nach Hause brachte. Mutter und Großmutter wurden kurz danach deportiert. Was aus seiner Freundin geworden war, wusste er nicht. Er senkte den Kopf. Er sah seine Schuhe und er hatte mit einem Mal einen Wunsch. Geh, bitte, wenn du mir vielleicht Schuhbandln besorgen kannst. Das wär gut. Da schau her. Mit Stanniol hab ich die Schuhe zusammen gehalten. Das reibt auf und tut weh. Na auf jeden Fall besorg ich dir welche. Wir Österreicher müssen zusammen halten. Als es dunkel wurde ging jeder in eine andere Richtung. In der Nacht nach dieser Begebenheit wurden die Burschen aus der Gruben zu einem Einsatz in eine andere Gegend verbracht. Der junge Wiener vergaß die Begegnung mit dem Steirer. Das Lager in dem der junge Mann Zwangsarbeit leistete, wurde nach langer Zeit, in der die Zeit keine Bedeutung hatte, befreit.

Ein junger Mann eilte am Westbahnhof zu einem Kiosk, um für sich und seine Freundin, die schon im Wagon saß, Proviant zu kaufen. Mit einem Ruck wurde er plötzlich an der Schulter gepackt. Er blickte in das Gesicht eines Mannes. Er konnte sich nicht erinnern dieses Gesicht schon gesehen zu haben. Kennst mich nicht mehr? Wir haben uns beim Lager getroffen. Ich bin’s, der Steirer. Jetzt wusste er wieder. Du ich hab nicht auf dich vergessen. Ihr ward am nächsten Tag weg. Bitte glaub mir. Mir war es nicht egal, dass es dir dort unten so schlecht gegangen ist. Zur Bestätigung seiner Beteuerung griff der Mann in seinen Hosensack und zog ein paar Schuhbänder hervor. Da schau, ich wollte sie dir schon damals geben. Hans nahm langsam die Schuhbänder aus der dargebotenen Hand. Zwei Männer, die sich nicht kannten fielen einander in die Arme. Beide weinten. Der eine aus Freude über das Überleben des anderen und der andere über die Menschlichkeit eines jungen Steirers. Ihre Wege haben sich nie wieder gekreuzt.

Margarete Steger

Der „Duftende Doppelpunkt“ feiert Geburtstag

Dienstag, 3. April 2007

Anlässlich seines zweiten Geburtstages stellen wir die Frage: Welche Bedeutung hat dieses Datum heute noch? Macht es zum Beispiel Sinn, beim Maiaufmarsch dabeizusein oder ist er ein Relikt längst vergangener Tage? Müssen Erwerbstätige heute überhaupt noch etwas erkämpfen? Welche persönlichen Erinnerungen werden mit dem 1. Mai wach?

Unser Wunsch für diesen Festtag: Viele Blogbeiträge von Menschen, die den 1. Mai literarisch bzw. journalistisch reflektieren.
Maximale Länge des Beitrages: 20.000 Zeichen inkl. Leerzeichen.
Redaktionsschluss: 29. April 2007
Bitte per mail an: info@petra-oellinger.at

Kommunikation ersetzt Gespräch

Montag, 29. Januar 2007

Ein Essay von Anke Singer, dass sich mit dem Thema Amoklauf auseinandersetzt.

Junge Seelen zerschellen an Klagemauern, schießen sich
verzweifelt aus quälender Bedeutungslosigkeit – ein paar
Tage lang – leben sie nach in Schlagzeilen öffentlichen
Bewusstseins. Täter ist Opfer und Opfer waren Täter.
Innen schreit Schmerz, die Trauer knüpft eine zarte
Verbindung in Betroffenheit. Kerzenlicht in sonst leeren
Kirchen – aber dann? Unter der Decke, nachts im Traum
fragt Gewissen nach Sinn. Wie konnte das geschehen?
Wieder einsam, jeder für sich allein – der Alltag begräbt
junges Leben, unerfüllt – gescheitert an zu vielen Realitäten.

Die Zivilisation wirft schwarze Schatten, Wirklichkeit
versinkt sprachlos in Banalität. Zarte Kindheit
träumt vom Besonderen, erhofft und wünscht sich pralles,
buntes Leben. Jugendlicher Überschwang schluckt
alltäglich grauen Einheitsbrei gewürzt mit gelangweilter
Achtlosigkeit. Kein Koch erklärt, welche Zutat förderlich,
welche giftig ist, gerührt ergibt es fade Erträglichkeit.
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Pasta Mortale

Sonntag, 28. Januar 2007

Ein Mann ist tot

Der Kopf im Teller

Er fiel

-post mortem-

in die

Pasta con Funghi

kohlenhydratreich

und toxisch wertvoll

© Jessica Kerber

Geschichten für den 24. Dezember

Sonntag, 24. Dezember 2006

Als Weihnachtsgeschenk haben wir für Sie einige Geschichten von Gerald Grassl und Petra Öllinger eingegepackt – gar nicht weihnachtstypisch und frei von Sentimentalitäten …

Georg Schober, Petra Öllinger und Brilli wünschen Ihnen frohe Weihnachten und alles Liebe für das kommende Jahr.

Gibt’s überhaupt noch Weihnachtsgeschichten? Petra Öllinger
Weihnacht über alles. Gerald Grassl
An das Amt für Überwachung. Gerald
Wir beerdigen Herrn Kloimstein. Petra Öllinger
Der weinende Weihnachtsmann. Gerald Grassl
Auch Christbäume wollen Abwechslung. Dein Christbaum gibt gerne etwas dafür her. Von Petra Öllinger

Gibt’s überhaupt noch Weihnachtsgeschichten?
Von Petra Öllinger

Denkt euch, ich habe in fremde Mistkübel gesehen.
Meine Nase ganz rot, meine Mütze voll Schnee.

Deckel auf.
Reingeschaut.
Reingefasst.
Rausgeholt.

Dekokugeln
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