Archiv für die Kategorie 'Lyrik'

Christmarkt vor dem Berliner Schloß – Gottfried Keller

Donnerstag, 14. Dezember 2006

Welch lustiger Wald um das hohe Schloß
hat sich zusammengefunden,
ein grünes, bewegliches Nadelgehölz,
von keiner Wurzel gebunden!

Anstatt der warmen Sonne scheint
das Rauschgold durch die Wipfel;
hier zurückt man Kuchen, dort brät man Wurst,
das Rüchlein zieht an die Gipfel.

Es ist ein fröhliches Leben im Wald,
das Volk erfüllet die Räume;
die nie mit Tränen ein Reis gepflanzt,
die fällen am frohesten die Bäume.

Der eine kauft ein bescheidnes Gewächs
zu überreichen Geschenken,
der andre einen gewaltigen Strauch,
drei Nüße daran zu henken.

Dort feilscht um ein winziges Kieferlein
ein Weib mit scharfen Waffen;
der dünne Silberling soll zugleich
den Baum und die Früchte verschaffen.

Mit rosiger Nase schleppt der Lakai
die schwere Tanne von hinnen;
das Zöfchen trägt ein Leiterchen nach,
zu ersteigen die grünen Zinnen.

Und kommt die Nacht, so singt der Wald
und wiegt sich im Gaslichtscheine;
bang führt die ärmste Mutter ihr Kind
vorüber dem Zauberhaine.

Einst sah ich einen Weihnachtsbaum:
im düstern Bergesbanne
stand reifbezuckert auf dem Grat
die alte Wettertanne.

Und zwischen den Ästen waren schön
die Sterne aufgegangen;
am untersten Ast sah man entsetzt
die alte Wendel hangen.

Hell schien der Mond ihr ins Gesicht,
das festlich still verkläret;
weil auf der Welt sie nichts besaß,
hatt´ sie sich selbst bescheret.

Gottfried Keller – Linksammlung der Universitätsbibliothek der FU Berlin.

Weihnachtsschnee – Paula Dehmel

Mittwoch, 13. Dezember 2006

Ihr Kinder, sperrt die Näschen auf,
Es riecht nach Weihnachtstorten;
Knecht Ruprecht steht am Himmelsherd
Und bäckt die feinsten Sorten.

Ihr Kinder, sperrt die Augen auf,
Sonst nehmt den Operngucker:
Die große Himmelsbüchse, seht,
Tut Ruprecht ganz voll Zucker.

Er streut – die Kuchen sind schon voll -
Er streut – na, das wird munter:
Er schüttelt die Büchse und streut und streut
Den ganzen Zucker runter.

Ihr Kinder sperrt die Mäulchen auf,
Schnell! Zucker schneit es heute;
Fangt auf, holt Schüßeln – ihr glaubt es nicht?
Ihr seid ungläubige Leute!

Paula Dehmel.

Weihnachtsabend – Theodor Storm

Dienstag, 12. Dezember 2006

Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll,
Der Kinder denkend, die ich ließ zu Haus.
Weihnachten war’s; durch alle Gassen scholl

Der Kinderjubel und des Markts Gebraus.

Und wie der Menschenstrom mich fortgespült,
Drang mir ein heiser‘ Stimmlein in das Ohr:
„Kauft, lieber Herr!“ Ein magres Händchen hielt

Feilbietend mir ein ärmlich Spielzeug vor.

Ich schrak empor, und beim Laternenschein
Sah ich ein bleiches Kinderangesicht;
Wes Alters und Geschlechts es mochte sein,

Erkannt‘ ich im Vorübertreiben nicht.

Nur von dem Treppenstein, darauf es saß,
Noch immer hört ich, mühsam, wie es schien:
„Kauft, lieber Herr!“ den Ruf ohn‘ Unterlaß;

Doch hat wohl Keiner ihm Gehör verliehn.

Und ich? – War’s Ungeschick, war es die Scham,
Am Weg zu handeln mit dem Bettelkind?
Eh meine Hand zu meiner Börse kam,

Verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind.

Doch als ich endlich war mit mir allein,
Erfaßte mich die Angst im Herzen so,
Als säß‘ mein eigen Kind auf jenem Stein

Und schrie‘ nach Brot, indessen ich entfloh.

Theodor-Storm-Gesellschaft.
Das Märchen der kleine Häwelmann als kostenloses Hörbuch.
Die freie digitale Bibliothek – Theodor Storm.

Schenken – Joachim Ringelnatz

Montag, 11. Dezember 2006

Schenke gross oder klein,
Aber immer gediegen.
Wenn die Bedachten
Die Gaben wiegen,
Sei dein Gewissen rein.
Schenke herzlich und frei.
Schenke dabei
Was in dir wohnt
An Meinung, Geschmack und Humor,
So dass die eigene Freude zuvor
Dich reichlich belohnt.
Schenke mit Geist ohne List.
Sei eingedenk,
Dass dein Geschenk
Du selber bist.

Ringelnatz – Net.

Ringelnatzstiftung.

Ringelnatzverein – viele Links und Infos.

Wintermorgen – Alexander Puschkin

Sonntag, 10. Dezember 2006

Erst gesten war es, denkst du daran?
Es ging der Tag zur Neige.
Ein böser Schneesturm da begann
und brach die dürren Zweige.
Der Sturmwind blies die Strene weg,
die Lichter, die wir lieben.
Vom Monde gar war nur ein Fleck,
ein gelber Schein geblieben.
Und jetzt? So schau doch nur hinaus:
Die Welt ertrinkt in Wonne.
Ein weißer Teppich liegt jetzt aus.
Es strahlt und lacht die Sonne.
Wohin du siehst: Ganz puderweis
geschmückt sind alle Felder.
der Bach rauscht lustig unterm Eis.
Nur finster stehn die Wälder.

Illeguan – Aleksandr Puskin.

Wikipedia – Alexander Sergejewitsch Puschkin.

Offizielles Weihnachtsgeschenk 1841 – Heinrich Hoffmann von Fallesleben

Samstag, 9. Dezember 2006

Freut euch alle, freut euch alle,
Lobet Gott mit jubelschalle,
Der noch immer Wunder tut.
Das Zensuredikte das neue
Will, daß alle Welt sich freue -
Ach, wie ist es mild und gut.

Wie ein Stern aus finstrer Wolke
Kam es her zu unserm Volke
und erschien als heil‘ger Christ.
Freut euch, Kinder, Fraun und Greise!
Freut euch, Fromme, Klug und Weise!
Seht wie gut und mild es ist.
Wollt ihr ferner euch beschweren?
Könnet ihr noch mehr begehren?
Querulanten, schweiget still!
Ja, wir dürfen alles sagen,
Alles wünschen, hoffen, klagen,
Alles – wenn’s der Zensor will.

Fallersleben-Archiv.

Wikipedia – August Heinrich Hoffmann von Fallersleben.

Tannennadeln – Wladimir Majakowski

Freitag, 8. Dezember 2006

Nein, bitte nicht, laßt!
Keine Weihnachtstanne
Nein, schickt den Vater nicht
in den Wald!
Mißtraut dem Wald
und dem bösen Manne,
der hinterm Wald Granatfäuste ballt.

Nein, es geht nicht.
Den Putz in blitzblanken Flittern
wollen wir heut
nicht in Watte betten.
Weil sonst Getroffne,
von tödlichen Splittern
Verwundete, dort keine Watte hätten.

Nein, keine Kerzen
Entsagt den Lichtern.
Am Welthimmel kreisen
die eisernen Drachen,
drin lauern Menschen
mit bösen Gesichtern,
ob Lichtlein in unsern Fenstern wachen,

Nein, sagt nicht,
der Weihnachtsmann solle kommen
mit seinem Sack
voll prächtiger Sachen.
Die Fabrik hat den Mann
in Beschlag genommen,
die Fabrik, wo sie Pulver und Kugeln machen.

Nein, keine Musik
wird diesmal erschallen.
Wie soll denn der armlose Musiker
fiedeln?
Und der Flötist
ist im Felde gefallen,
so mußt`er ins Himmelreich übersiedeln.

Nicht weinen, was hilft’s denn?
Verzieht nicht das Mündchen!
Bald wird die dunkle Welt
sich entschleiern.
Bald muß alles anders werden,
ihr Kindchen.
Dann werdet ihr fröhliche Weihnachten feiern.

Ein Tannenbäumchen wird dastehn,
ein mächtiges,
behängt mit Schmuckzeug
im Überfluß.
Das wird ein Fest sein,
ein wunderprächtiges,
ergötzlich – fast bis zum Überdruß.

Mayakovsky and his Circle – Wladimir Majakowski: Gedichte, Plakate, Skizzen, Fotos (eng.).

Illeguan – Vladimir Majakovskij
.

Wikipedia – Wladimir Wladimirowitsch Majakowski.

Weihnachten in Polen und Flandern – Alfons Petzold

Donnerstag, 7. Dezember 2006

Im polnischen und flandrischen Land
Hat alle Christbäume der Krieg verbrannt.

Was tun die Soldaten und anderen Leute Heute?
Am Weihnachtsabend, sitzen sie stumm
Um eine armselige Kerze herum?

Seltsames Bild, was Du kannst sehn,
Hunderttausende auf den Straßen stehn,
Hunderttausende blicken aus Fenster und Tor
Zum abendlichen Himmel empor
Und sehen mit leuchtenden Augen zu,
Wie Englein um Englein in aller Ruh
Die himmlischen Kerzen anzünden
Und fröhlich künden:

Kriegsleute hier in Polen und Flandern
Die ihr nicht könnt in die Heimat wandern,
Ihr Bürger, Arbeiter und Bauern
Hinter den halbzerschossenen Mauern,
Lasset das Trauern
Und blickt in den Schein
Der Weihnachtssterne Gottes hinein.
Was ihr in ihren Flammen erkennt,
Ist Liebe, die ewig leuchtet und brennt
Und die euch, mitten in Not und Grauen
Läßt den Frieden der Zukunft schauen.

Im polnischen und flandrischen Land
Hat alle Christbäume der Krieg verbrannt.

Aber die Menschen sitzen nicht stumm
Um eine armselige Kerze herum.
Sie lauschen aus Schützengraben und Haus
In die Weihnachtsfeier der Welt hinaus
Und singen leise beim Wachpostenschritt
Das Lied der schwebenden Engel mit:

Ehre sei Gott in der Höhe
Und Friede den Menschen auf Erden!

Wikipedia – Alfons Petzold.

Gedichtegarten – Alfons Petzold