„Drift“ von Judith Gruber-Rizy ist ein Buch über Beziehungen, Ambivalenzen, Kommunikationsschwierigkeiten und der bedächtigen wunderschönen Landschaftsbeschreibungen.
Wie immer in den Romanen Judith Gruber-Rizys heißt das Erzähler-Ich Rosa, wobei sich als einer Bekannten, die Frage nach der Autobiografie, der Nähe und der Distanz davon, natürlich aufdrängt. Auch das steht in dem Buch, in dem der Erzählstrang zwischen der Ich-Erzählerin und Rosa hin- und herschwingt.
Die Ich-Erzählerin, die sich mit ihren verschiedenen Freundinnen trifft, von ihnen genervt oder auch gelobt wird, möchte eine Liebesgeschichte, eine Kindheitsgeschichte, einen Text über Schriftstellerinnen schreiben, um ihn in der großen Tageszeitung zu veröffentlichen und dafür gutes Geld zu bekommen. – Aber nein, das waren die bedächtig schönen Landschaftsbeschreibungen und so schwankt Frau hin- und her in den Ambivalenzen und den Beziehungseinsichten von Rosa, der begabten, fleißigen, gründlichen Schülerin, die gern stark sein möchte und sich die Stärke in einem starken Frauenleben wünscht.
Und doch kommt es schon zu Beginn zu einer Querlage, als Rosa in ihr Leben driftet, in einen Frauenhaushalt kommt sie hinein, wo es eine Großmutter, eine Mutter, eine Tante gibt und einen Vater, von dem sich die Protagonistin sicher ist, daß die Heirat der schönen starken Mutter mit demselben ein Fehler war, weil dem Vater nichts mehr anderes eingefallen ist, als die Mutter ihrer Familie und ihrem eigenbestimmten Leben zu entziehen.
Oder doch natürlich, denn als Rosa sechs Jahre ist, entzieht sich der Vater der Mutter und der Tochter, um mit einer Bekannten in die Berge zu wandern und von dort eine Woche lang nicht mehr zurückzukommen, was die Mutter in Angst und Schrecken versetzte, der Vater aber fröhlich von einem Sommerschnee erzählt, der ihn eine Woche lang in der Berghütte mit der Freundin festhielt, was sich bei Rosa zu einem schönen starken Vater-Heldenbild formte, um bitter enttäuscht zu werden, als sie die Lüge in der Vater Geschichte erkannte und deshalb der Mutter auch nie die Schwäche verzieh, daß sie sich vom Vater trotz seiner Frauengeschichten, Rosas wegen nicht trennen konnte, hätte Rosa doch so gern eine starke Mutter gehabt und deshalb haßt sie ihren Vater, als erwachsene Frau, die sich von der Vaterwelt in die starke Welt der Frauen zurückziehen möchte, um in der Arbeit über ihr Kindheitsbuch daraufzukommen, daß sich das Mädchen Rosa die blonden Zöpfe abgeschnitten hat und sich in die alte abgeschabte Motorrad-Lederjacke des Vaters einhüllte, um seinen Öl-Rauch-Leder-Geruch einzuatmen und ein Aha-Erlebnis zu haben, als die Schulfreundin Lilo der erwachsenen Rosa berichtet, daß sie sie immer um ihre Vater-Beziehung beneidet hatte, weil der Vater für Rosa da war und sie auf die Berge und zum Schifahren mitgenommen hat, obwohl Rosa schifahren haßte und sich vor den Bergen gefürchtet hat. Schöne Bilder und schöne Geschichten, die der Romanschreiberin durch den Kopf gehen, wenn sie an ihre Kindheit denkt.
Schön nicht, nur schön erzählt in einer langsamen, bedächtigen Landschaftssprache und dennoch hüllen sich gerade dadurch die Ambivalenzen der Beziehungsschwierigkeiten auf.
Ist doch die Mutter stark, als sie Rosa mit dem schwarzen Damenrad, mit dem der Vater sie zur Mutter schickte, zurückschickt, wofür sie das schönste teuerste Rad bekommt mit dem sie durch die herrliche Landschaft radelt und sich trotzdem nicht daran erfreuen kann, weil sie den Ersatz bekam.
Das Leben ist schwer und, daß man nicht ungekränkt durchkommt, lehrt uns die Psychoanalyse und wir alle haben wohl unsere ganz persönlichen Vater-Mutter-Kränkungsgeschichten und Rosa hat diese Kränkungen auch mit ihren zwei Männern, kurz K. und R. genannt, erlebt.
K., der Dichter, der die kreative Stärke Rosas zu zerstören suchte, als er sich einbildete mit ihr einen Kriminalroman zu schreiben, dabei alles besser wußte, um ihr schließlich zehn Seiten zu diktieren und sich danach abzuwenden und dann das Bild des Phallus, in dem Rosa nur die Nase des Cyrano de Bergerac erkannte und von K. dafür ausgelacht wurde. Aber eine Nase ist eine Nase, eine Nase, eine Nase …
Und auch die Frage der Weiblichkeit spielt für Rosas Ich-Findung eine wichtige Rolle, was soll Frau nur tun, sich bis zur Magersucht hinunterhungern oder sich die üppigen Formen einer Venus von Willendorf auf den Schreibtisch stellen?
Da habe ich ja kürzlich erst ein Buch über das Essen und den Hunger einer wirklich viel jüngeren Frau gelesen, woraus zu schließen ist, daß wir es immer noch sehr schwer haben mit dem Annehmen unserer weiblichen, männlichen, starken und schwachen Teilen, den Vater- und den Mutterbildern, um vielleicht irgendwann draufzukommen, daß beides im Leben wichtig ist.
Judith Gruber-Rizy tut es mit ihren Rosa-Büchern und macht es sich nicht leicht damit, denn sie erkennt diese Ambivalenzen, setzt sich damit auseinander und es ist auch interessant zu sehen, daß es trotz der K. Geschichte eine Schriftstellerbeziehung in ihrem Leben gibt.
Zwei andere „Rosa“-Bücher gibt es auch, „Aurach“, 2002, in der Bibliothek der Provinz erschienen und „Einmündung“, Kitab, 2008. In „Aurach“, das ich 2002 gelesen habe, geht es ebenfalls um eine Mutter-Tochter-Beziehung, hier wird die Ambivalenz in viel fantastischeren Formen beschrieben.
„Einmündung“ habe ich nicht gelesen, nur verschiedene Lesungen daraus gehört, hier wird die Ambivalenz Rosa zu der starken-schwachen Mutter und deren NS-Vergangenheit thematisiert.
Interessante Aspekte eines, wie ich finde, leisen, fleißigen Frauenschreibens und da ich Judith Gruber-Rizy und Helmut Rizy gestern bei dem Fest des Republikanischen Clubs getroffen habe, habe ich mit ihr ein wenig über ihre Rosas plaudern können, was, wie sie mir sagte, ein schöner, starker Frauenname ist.
Ich kenne Judith Gruber-Rizy, die bemühte, gründliche, schon lange und habe über ihre Biografie in früheren Artikeln geschrieben. Ich bin ein Fan von ihr, was umgekehrt, wie ich fürchte, nicht der Fall ist. Sie hat sich aber einige meiner Bücher angeschaut und sehr schöne Klappentexte dafür geschrieben und natürlich ist es zu bedauern, daß ihre Bücher in kleinen Verlagen erscheinen und nicht soviel Aufmerksamkeit erzielen, wie sie bekommen sollten.
2009-12-06
Drift
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