Literaturgefluester

Wie es leuchtet

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„Wie es leuchtet“ von Thomas Brussig ist ein Schelmenroman der Wende oder wie die Welt am Sonntag schreibt „Ein Karneval, der sich zum Zeitroman weitet“.
Sechshundertsieben Seiten, sieben Bücher, ein Zeitrahmen zwischen den Sommern 1989 und 1990, einem Vorwort und einem Beginn am Mittag des 11. Augusts 1989 im Karl-Marx-Städter Hauptbahnhof, eine Stadt, die ein Jahr später wieder Chemnitz heißen wird und einem Ende in Thailand auf der Insel Ko Samui, wo ein ehemaliger DDR Häftling, der durch die Strahlen in der Zelle an Leukämie erkrankte, in dem Sommer, den die ganze DDR mit ihren Westmarks außerhalb der DDR verbringt, dorthin zum Sterben fährt.
Dazwischen passiert natürlich viel, wir wissen es inzwischen und haben es vielleicht in anderen dicken Wendewälzern erfahren, so habe ich mich vor zwei Jahren durch Ingo Schulzes „Neue Leben“ gelesen, jetzt war es „Wie es leuchtet“ des 1965 in Berlin geborenen Thomas Brussig, der auch „Sonnenallee“ geschrieben hat.
Das Vorwort heißt „Verschwommene Bilder“ und da wird von einem Fotografen erzählt, der mit einer Leica das Geschehen knipst und nur Lena großer Bruder genannt wird. Lena ist Physiotherapeutin, neunzehn Jahre alt und wartet an jenem 11. August am Hauptbahnhof auf ein Paulchen, der aber nicht ankommen wird, da in jenem Sommer Ungarn ja die Grenze nach Österreich öffnete.
Lena wird im Laufe des Buches mit Rollschuhen durch die Wende rasen, ein Lied erfinden, das Kultcharakter bekommen wird und von ihrem sexuellen Mißbrauch als Schulmädchen in einem Lift berichten, es passiert aber auch sonst sehr viel.
Carola Schreiter, die Tochter eines Ostbonzen wird mit ihrem Thilo ebenfalls in den Westen flüchten, dort zuerst Psychologie, Ethnologie und Publizistik studieren und sich nach der Wende im Yellowstonepark vor der Wildnis und den Bären fürchten.
Es gibt aber auch den Fünf-Sterne-Palasthotel Direktor Alfred Bunzuweit und den Devisen ins Landbringer Valentin Eich, der die Idee mit den Intershops hatte. In der Mitte des Jahres siedeln sich alle im Berliner Palasthotel ein, der Journalist Leo Lattke, der die Reportagen über die Veränderung schreibt und Lenas großer Bruder, aber auch der Albino Werner Werner Schiedel, angeblich Sonderbeauftragter von VW, ein Wort das für die sich wendenden Ostler, so verlockend klingt, daß er von Alfred Bundzuweit, der an der Wende mitnaschen will, als very impotant person behandelt wird und als Hochstapler 24670 DM Schulden macht, die die Großmutter bei der Gerichtsverhandlung, für ihn bezahlt, nachdem sie ihr Haus in der Friedrichsstraße um 25 000 DM verkaufte, während die Ossis endlich für Ostgeld im Intershop einkaufen wollen und mit der Warenvielfalt nicht zurechtkommen…
Der Übergangsgesundheitsminister Prof. Dr. Rüdiger Jürgends hält Audienztage ab, wo er die Geschichten von den Männern erzählt bekommt, die sich zu Frauen umoperieren lassen wollten, damit aber nicht zu Ende kamen, weil die Operateure vorher in den Westen verschwanden, im Aufbau Verlag stapeln sich inzwischen die Manuskripte zu Berge, während der Fontane-Kenner Dr. Erler in Waldemar Budes Manuskript das Besondere erkennt.
So gibt es endlos Geschichten in den sieben Büchern, die durch das Jahr begleiten, vom Öffnen der ungarischen Grenze, den Fall der Mauer, den Wahlen und schließlich vom Sommer 1990 erzählen, wo alle ihre DDR Mark eins zu eins, eins zu zwei oder zu was auch immer umtauschten, sich das westliche Vokablar anlernten und das des Ostens vergaßen, Wirtschaft statt Jahresplan und schließlich mit Ausnahme von Dr. Erler im Westen Urlaub machten, während der westdeutsche Architekten und Grundstückmakler auf Fontanes Spuren durch die Mark Brandenburg führt…
Ein köstliches Buch dieser Zeitroman der Wende, aufgrund seiner Personen und Handlungsfülle nicht immer leicht zu lesen und ein bißchen von der Geschichte sollte man schon wissen, um es nicht mitzuverstehen, aber ich habe mich in den letzten Jahren durch den Ingo Schulze und den Uwe Tellkamp gelesen und war auch zweimal in der DDR.
Das erste Mal 1985 ganz trist und sachlich mit Zwangsumstausch und Verwandtenbesuch, das zweite Mal genau in jenem Sommer 1990, als das Land noch so hieß, es aber schon die Westmark gab und man in Berlin zwischen Ost und West und durch die noch existierenden Mauer fahren konnte.
Inzwischen haben wir zwanzig Jahre Wende gefeiert und ich habe einige dicke Wendebücher gelesen, gab es die ja vor zwei Jahren bei Thalia in der Kremsergasse bei diesen 3.99 Abverkauf, es werden aber, wie alle wissen, die den Bachmannpreis verfolgen, noch immer neue geschrieben, so daß uns die Lektüre nicht ausgehen wird und Kerstin Hensel haben wir im Sommer 1990 auch in der Ostberliner Linienstraße besucht und im vorigen Jahr habe ich ihren Wenderoman „Lärchenau“ gelesen, den ich bei Poetry fix gewonnen habe.

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