Literaturgefluester

Jugoslavija revisited III

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Das Werkstattgespräch über den Kosovo: Erich Rathfelder mit Wolfgang Petritsch, moderiert von Erich Klein, war sozusagen das Gustostückerl der Veranstaltung. Mit dem Kosovo hatte es nur unter anderem zu tun, es ging eher darum, wie es zu dem Krieg kam, wer was dabei falsch machte und um die Rolle Peter Handkes.
Beide Herren sind 1947 geboren und Wolfgang Petritsch, der in der Zeit, als ich das zweite Mal in Belgrad war, dort Botschafter war und vorher Kreiskys Sekretär, über den hat er auch eine Biografie geschrieben, die vor kurzem bei Residenz herausgekommen ist, ist in einem kleinen Dorf in Kärnten zweisprachig aufgewachsen. Sechzehn Häuser, eine Kirche, eine mehrklassige, zweisprachige Schule und die Unterschicht, wie es Wolfgang Petritsch nannte, hat sich für ihre slowenische Herkunft geschämt, so daß sie den Sohn Wolfgang nannte, in der Lehrerbildungsanstalt in Klagenfurt wurde er Tschusch genannt und der Kreisky wurde vor seinem Sekretär gewarnt. Ein Jugoslawienexperte ist er allenhalben geworden, wie auch aus Erich Rathfelder, der ein Buch über den Kosovo geschrieben hat, ein Flüchtlingskind war und dann ein Linker, aber kein Terrorist, dazu war er zu intelligent, wie er es nannte und im Jugoslawienkrieg zehn Jahre Berichterstatter.
So sind die Expertenmeinungen, wer, was, wann falsch gemacht hat, hin und hergeflogen, aber im nachhinein ist man immer klüger, wie es der Diplomat nannte und er war auch einmal in Frankreich, wo er Milosevic von dem Krieg abhalten sollte, da hat er Peter Handke auf der Straße gehen sehen und sich von ihm bekochen lassen. Der hat ihn beauftragt, Milosevic vor dem Einsatz der Nato zu bewahren, aber als Petritsch ihm das überbrachte, hat der nur verächtlich abgewinkt, obwohl Peter Handke später zu seinem Begräbnis ging, sich durch seine Serbenliebe in alle Nesseln setzte und sich auch um einige Preise brachte.
„Kasperl!“, hat es Erich Klein genannt, Wolfgang Petritsch etwas diplomatischer und fein lächelnd „naiv“, die Kroaten und die Kosovaren bezeichneten es als Matschomäßig bzw. leicht verrückt.
Am Nachmittag ging es im Odeon mit fünf Lesungen weiter und zwar begann Beqe Cufay aus dem Kosovo, der schon gestern diskutierte, ebenfalls ein Buch darüber geschrieben hat und seit 2000 in Stuttgart lebt, mit seinem Essay über „Titos Bücher“.
Dann kam Laszlo Vegel, Angehöriger der ungarischen Minderheit, der in Novi Sad lebt und das Ganze humoristisch nahm, 1941 geboren wurde und schon mit sechsundzwanzig Jahren die „Memoiren eines Zuhälters“ schrieb. Dazu wurde er von Alida Bremer befragt und meinte, daß die meisten Politiker ihre Memoiren mehrmals umschreiben würden. Dann wurde ein Stück aus einem Text gelesen, wo er sich in Budapest und in einem Spital befindet, während sein Visum abläuft, so daß er trotz Abraten der Ärzte, das Land verlassen muß.
Dragan Velikic kannte ich schon vom Vorjahr, bzw. von einigen Lesungen in der Alten Schmiede. Den Roman „Danteplatz“ habe ich auch gelesen. Er ist 1953 in Belgrad geboren und in Pula aufgewachsen. Bis 2009 war er Botschafter in Wien. Jetzt lebt er wieder in Belgrad. Im Vorjahr hat er, glaube ich, aus dem Roman „Das russische Fenster“ gelesen, jetzt hat er von einem Roman erzählt, in dem es, um einen Straßenbahnschaffner geht, der in Wien, Prag, Belgrad und Budapest gearbeitet hat und von der Zeit, in der er in Budapest lebte, weil seine Frau dort an der Universität unterrichtete.
Danach kamen noch Goran Petrovic und David Albahari. Goran Petrovic lebt ebenfalls in Belgrad und ist einer der meistgelesenen Autoren Serbiens. Der Roman „Die Villa am Rande der Zeit“ ist soeben auf Deutsch erschienen. Alida Bremer hat dafür das Gutachten geschrieben und ihn sehr gelobt. Es geht dabei um fiktive Welten und um Schriftsteller oder Leser, die interaktiv in das Geschehen eingreifen können. Bei dem Stück aus dem Robert Reinagl gelesen hat, ist es aber um ein Familienessen und ein Zerwürfnis aus dem Jahr 1943 gegangen. Dann folgte noch eine Erzählung und der 1948 in Serbien geborene David Albahari, der jetzt in Kanada lebtt, hat ebenfalls zwei Erzählungen vorgestellt. Seine Bücher sind bei Eichborn erschienen und er liebt, sagte er, die Form der Kurzgeschichten, obwohl die Verlage alle Romane wollen. Er liebt auch Thomas Bernhard und meinte, daß er in seinem Stil schreiben würde. Das ist bei den Geschichten nicht so sehr herausgekommen. Da ging es eher um die Langsamkeit. In „Der Bäcker, der Briefträger und der Mützenmacher“, wird erzählt, wie ein Mann seine Frau umbringen will, einem anderen seine Frau nach Deutschland verschwunden ist, die Tochter nichts mehr lernen möchte. Ums Briefmarkensammeln und Schachspielen ging es auch.
„Mein Mann“ ist die traurigste Geschichte, meinte David Albahari. Dabei geht es um einen Mann, der plötzlich nicht mehr aus dem Auto steigt und eine Frau, die am Fenster steht und ihm dabei zusieht. Und um Gedanken über eine verlorene Sprache geht es in seinem Essay, der im Wespennest Sonderheft enthalten ist.
Danach hat mir der Kopf geraucht und ich habe viel über den zerfallenen Vielvölkerstaat und seine Bewohner gelernt.

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