Vorige Ostern habe ich mir in der Buchabverkaufskiste in Wilhelmsburg Peter Handkes „Wunschloses Unglück“ um einen Euro gekauft, die 1972 erschienene berühmte Erzählung, in der er sich mit dem Selbstmord seiner Mutter auseinandersetzt.
1975 oder 1976 besuchte ich in Hamburg Rudolf Blazejewski, der mir das Buch als Reiselektüre mitgegeben wollte. Da mir Peter Handke damals zu experimentell erschien, ich hatte mir, glaube ich, schon vorher „Den Hausierer“ gekauft und damit nicht viel anfangen können, habe ich es abgelehnt und die Erzählung jetzt erst gelesen. Allerdings bin ich nicht ganz sicher, ob in der Donauland Linzenausgabe, die ich erwischte, der ganze Text abgedruckt ist, endet sie doch auf Seite zweiundneunzig und dann kommen noch eine ganze Reihe Prosatexte, in dem zweihundertvierzig Seiten Buch „Die Begrüßung des Aufsichtsrats“, der „Hausierer“ und die „Hornissen“ auf je neun Seiten, der Prozeß (für Franz K.) u. u. u.
Also höchstwahrscheinlich Ausschnitte von bekannten frühen Texten, ohne nähere Angabe, was mich beim Lesen zunehmend verwirrte.
„Wunschloses Unglück“, hat mich aber sehr erstaunt, bin ich da doch mit meiner experimentellen Einschätzung sehr weitab gelegen. Peter Handke hat aber, entnehme ich Wikipedia, diese autobiographische Erzählung gesondert von seinen übrigen Werken betrachtet. Ist sie ja auch erstaunlich realistisch und beginnt mit „Unter der Rubrik „Vermischtes“ stand in der Sonntagsausgabe der Kärtner Volkszeitung folgendes…“, dann folgen einige Seiten in denen Peter Handke seine Gefühle beschreibt, bevor es mit der Biografie der Mutter, die Selbstmord mit Schlaftabletten begangen hat, beginnt.
Die Mutter Maria ist solwenischer Abstammung und der Großvater war ein sehr sparsamer Mann, der immer wieder sein ganzes Geld an den Inflationen verloren hat und immer wieder von vorne zu sparen begann. Man sparte auch für die Mitgift der Töchter, aber nicht für ihre Ausbildung, so mußte sich die Mutter, nachdem sie dem Großvater vergeblich anbettelte sie einen Beruf erlernen zu lassen, selber emanzipieren, in dem sie von zu Hause ausriß und im Hotel am See das Kochen erlernte, da ließ der Großvater sie gewähren, umsomehr da „am Kochen wenig zu erlernen war“.
Der Krieg kam dazwischen und Hitler in „thriumphaler Fahrt nach Klagenfurt“, die Mutter ging nach Deutschland zur Arbeit und als Vater für den kleinen Peter suchte sie sich einen schon verheirateten „deutschen Parteigenossen, der im Zivilberuf Sparkassenangestellter war“ aus. Heiratete aber kurz vor der Entbindung einen „Unteroffizier der Deutschen Wehrmacht, der sie schon lange verehrte“. Mit dem lebte sie eine Zeitlang in Berlin und kehrte mit ihm und zwei Kindern später nach Griffen zurück, um weitere Kinder zu bekommen, bzw. diese abzutreiben. Der Mann trank, die Mutter lachte ihn aus, versuchte immer wieder ein eigenständiges Leben und scheitere immer wieder daran. Wurde depressiv und von einem Nervenarzt behandelt, um sich schließlich „hundert kleine Schlafabletten verschreiben zu lassen“ und diese nach einem Abschiedsbrief einzunehmen.
„In dem Brief, der sonst nur Bestimmungen für ihre Bestattung enthielt, schrieb sie mir am Schluß, sie sei ganz ruhig und glücklich, endlich in Frieden einzuschlafen. Aber ich bin sicher, daß das nicht stimmt.“
Zwischendurch gibt es immer wieder erstaunliche Reflexionen über das Schreiben, die in die Autobiografie eingebettet sind.
„(Ab jetzt muß ich aufpassen, daß die Geschichte nicht zu sehr sich selbst erzählt.)
„Manchmal bin ich freilich während der Arbeit an der Geschichte all der Offenheit und Ehrlichkeit überdrüssig gewesen und habe mich danach gesehnt, bald wieder etwas zu schreiben, wobei ich auch ein bißchen lügen und mich verstellen könnte, zum Beispiel ein Theaterstück.“
Dann folgen in dem mir vorliegenden Text zwei Seiten Seiten „Anekdoten“, wie „Sie war menschenfreundlich“ oder „Sie nahm ihr Geheimnis mit ins Grab“ und am Schluß der Satz „Später werde ich über all das Genaueres schreiben“ „geschrieben Jänner/Februar 1972“ zu einer Zeit also, da Peter Handke schon berühmt war, entnehme ich doch Wikepedia, daß der „vierundzwanzigjährige Peter Handke innerhalb weniger Monate zu einer Art Popstar der deutschen Literatur geworden ist“.
Ich bin, wie ich schon in einem anderen Artikel erwähnte, kein unbedingter Handke-Fan, obwohl ich einiges, auch die späteren, sehr poetischen Werke, von ihm gelesen habe. Mit diesem Text kann ich aber sehr viel anfangen und es tut mir wirklich leid, daß ich das Buch in Hamburg nicht genommen habe. Aber höchstwahrscheinlich hätte ich es damals nicht verstanden, auch wenn ich da schon viel gelesen habe.
Mit den anderen Prosatexten, zumal es sich da um Ausschnitte handeln dürfte, habe ich mir schwerer getan, sie pflichtbewußt gelesen, werde mich aber, auch damit es nicht zulang wird, nicht sehr mit dem Besprechen beschäftigen.
Es sind Ausschnitte wichtiger Frühwerke, in Handkes Frühwerk entnehme ich Wikipedia, nimmt die Sprache und das Reflektieren der Innen und der Außenwelt eine wichtige Rolle ein. Das war den Ausschnitten zu entnehmen, ansonsten bin ich ihnen, weil ich mich nicht sehr einlassen wollte, eher ratlos gegenübergestanden und habe mich nur gefragt, ob er damit den Bachmannpreis gewonnen hätte?
Aber Handke hat sich dann ja anderen Themen zugewandt, ist poetischer und sprachlich stilisierter geworden, mit dem Bleistift durch das Land gewandert, hat die Nation mit seiner Jugoslawien-Verteidigung gespalten und sich unbeliebt gemacht. Allerdings war, glaube ich, auch die „Puplikumsbeschimpfung“ eines der Werke, die in den Sechzigerjahren zu seinem Popstarstatus führten. Dann hat sich die Kritik ein wenig von ihm abgewandt. Peter Handke wird es aushalten und hat auch einige Preise abgelehnt und auf seine Nominierung zum deutschen Buchpreis für die „Morawische Nacht“ zugunsten Jüngerer verzichtet. Hat eine große Publikationsliste, vor kurzem ein neues Buch herausgebracht und auch einen großen Fankreis, so hat mich, als ich vor zwei Jahren in der Wiener Vorlesung über Handke und Bernhard war, ein solcher gefunden, der mir die links zu seiner Sammlung schickte.
Wunschloses Unglück und andere Prosatexte
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