Peter Henisch ist mit seinem „Grossen Finale für Novak“, die Beschreibung des Leidens des kleinen Mannes an der Sinnlosigkeit des Lebens, seiner Midlifie-Krise, beziehungsweise Früh-Pensionsschock, in grandioser Opernmanier, bis an den Rand des Kitschs und einem Ende, das mir nicht gefällt, gelungen.
Es geht, um Franz Novak, dem fünfundfünfzigjährigen Postbeamten, der nicht besonders konfliktbereit ist, seit dreißig Jahren mit seiner Herta, einer Bißgurn, die so denkt, wie es H.C.Strache, „Heute“, die „Krone“ oder „Österreich“, vorschlägt und einen kleinen Frisiersalon im Nachbarort, mit Hilfe von zwei „Balkantussis“ oder Lehrmädeln, betreibt, lebt und einen mißratenen Sohn hat, der inzwischen in Kanada, das dritte Mal verheiratet ist.
Ansonsten gibt es noch die SPÖ, die ja auch den Bach hinuntersegelt, den Stammtisch und den Wunsch, vielleicht Amtsleiter zu werden, da haben Mittwoch im Theatercafe des Theaters an der Wien, die Leute gelacht, als das Cornelius Hell oder Kurt Neumann erwähnte, obwohl ich nicht weiß, was daran so lustig ist, denn so sind die Träume der kleinen Leute eben und das wird ihnen von der Gesellschaft auch so eingebleut. Ansonsten gibt es keine besondere Bildung, denn Franz Novak ist, wie sehr selten in der Literatur, kein Intellektueller, weshalb Peter Henisch auch am Mittwoch vielleicht sagte, daß er nicht viel mit seinem Helden gemeinsam habe, also keiner der, wie ich, die ja auch aus einer sozialistischen Arbeiterfamilie kommt, ab 1973, dem Jahr meiner Matura, jede Woche in die Oper ging, wo ich auch Klaus Khittl, dem damaligen Opernkritiker, der Presse kennenlernte.
Irgendwann in den Achtigerjahren habe ich damit aufgehört und war inzwischen nur einmal in der Oper, in der Inszenierung, zu der Hermann Nitsch das Bühnenbild machte, Alfreds oberer Mittelschichtfreund Martin hat mich dazu eingeladen.
Bei Franz Novak kommt das aber erst in seiner verspäteten Midlifekrise. Hat er nämlich kurz nach oder vor dem fünfundfünfzigsten Geburtstag einen Gallensteinanfall und muß ins Spital. Das heißt seine Frau Herta bringt ihm dort hin, ihm wären seine Schmerzen nicht aufgefallen, obwohl der Oberarzt meinte „Ein bißchen später und sie hätten daran geglaubt….!“
Und dann beginnt es, was später in das grandiose oder für mich unbefriedigende Finale müdet. Novak liegt zwar in einem Klassezimmer, aber der Nachbar, ein gewisser Herr Kratky schnarcht trotzdem schrecklich und hört untertags Volksmusik, so erbarmt sich die indonesische Krankenschwester Manuela seiner, bringt ihm Ohropax, Kopfhörer und ihre Opernaufnahmen. Sie ist nämlich eine Opernliebhaberin und Novaks zweiter Frühling beginnt oder auch nicht. Er spricht zwar öfter in der Nacht auf der kleinen weißen Bank im Krankenhaus mit Manuela, läßt sich von ihr die Opern, von denen er keine Ahnung hat, erklären und träumt auch von ihr, aber, als er nach Hause entlassen wird, ist er besonders geräuschempfindlich und die Post, die ja bekanntermaßen inzwischen ihre unkündbaren älteren Beamten nicht mehr brauchen kann, schickt ihn in Frühpension.
Was macht man in einer solchen Situation um keinen Pensionsschock zu bekommen? Novak geht ins Gasthaus Geiger und hört seine Opernarien oder vorerst das Opernkonzert im Radio auf das er zufällig stößt. In dieser Situation stößt Herta auf ihn, die sich Gedanken über seine Veränderung macht, denn sie ist gar nicht so bösartig, wie die Kritiker meinten, schmunzelte Peter Henisch am Mittwoch, sondern hat meiner meiner Meinung nach in der Stelle über den Hörsturz ihren Autor zu einer der brillantesten Beschreibungen der Midlifekrise gebracht und ich muß es vielleicht wissen, habe ich ja schon 1978-1979 über dieses Thema dissertiert.
Herta kommt also besorgt nach Haus und will Novak zum Arzt schicken, hört seine Opernarien, die sie nicht leiden kann und rastet aus. Wird eifersüchtig auf Manuela, die „Ausländertussi mit dem Muttermal“, fährt ins Spital und will sie beim Oberarzt anschwärzen. Novak fährt auch dorthin, obwohl ihm Herta, seit er einen Unfall hatte, das Autofahren verbot, findet aber Manuela nicht und so verläßt er Herta und siedelt sich in eine schmuddelige Pension irgendwo beim Meidlinger Markt ein und geht mit Opern CDs in der Tasche in Schönbrunn spazieren. Die Callas hört er da, die „Zauberflöste“, den „Fliegenden Holländer“ und „Hoffmanns Erzählungen“, die gängigen Opern eben, die ich in den Siebzigerjahren auch gehört habe, schreibt Briefe an Manuela, die er nicht abschickt und als er ihr doch einmal eine Karte schreibt, bekommt er sie mit „Empfänger verzogen“ zurück. Er geht auch ein einziges Mal in die Oper, dort gibt es „Madame Butterfly“, zahlt hundert Euro dafür und hat die Vision Manuela auf dem Stehplatz zu sehen, einen Schwächeanfall bekommt er auch und als Herta ein paar Wochen oder Tage später die Türe der „Ausländerpension“ aufbrechen läßt, liegt er im Dämmerzustand im Bett und starrt vor sich hin.
So holt sie ihn nach Hause, beginnt ihn erst zu pflegen, später Vorwürfe zu machen und weil die Gegend in der sie leben, immer unsicher wird und die Polizei oder das Fernsehen zur Vorsicht vor Einbrüchen warnt, drängt sie ihn auch, sich eine Waffe zu besorgen.
Die findet er im Keller, im Zimmer seines Sohnes, neben einem Stahlhelm auf dem Perückenkopf, denn Novak ist inzwischen in die Heavy- Mental Phase gekommen, während Herta zur Versöhnung einen Urlaub nach Teneriffa bucht, daraus wird aber nichts, denn jetzt hat Novak Hertas Briefe gefunden und herausbekommen, daß sie schuld an ihrem Verschwinden ist. Denn die Nachbarn streuen über eine indonesische Krankenschwester mit einem freiberuflichen Lebenspartner und einem kleinen Kind, natürlich Gerüchte aus und siedeln sie in einen Massagesalon an und wenn Herta dann noch an das Innenministerium schreibt, kann es schon vorkommen, daß früh morgens die Polizei erscheint….
Meine Kollegen, die unter dem Lärm und dem Vandalismus am Meiselmarkt oder sonst wo leiden, erzählen es zwar anders und meinen, daß Beschwerden überhaupt nichts bringen.
Manuela ist jedenfalls verschwunden und Novak weigert sich mit Herta nach Tenariffa zu fliegen. So fährt sie allein, bereit es sich dort gut gehen zu lassen, kommt aber wegen Terroralarm nur zum Flughafen, fährt sie mit dem Taxi zurück, wo Novak wieder auf dem Sofa liegt und endlich seine Opernarien, ohne Kopfhörer genießen kann. Es ist die „Traviata“, als auch ein romantisches Stück. Herta zieht den Stecker heraus und Novak die Pistole…
„Großes Finale für Novak“, Cornelius Hell hat am Mittwoch von der Lebendigkeit gesprochen, die der Held im Laufe des Romans zurückbekommen hat und ich habe die letzten zwanzig Seiten gedacht „Hoffentlich nicht!“ Und genau dieses Gefühl hatte ich auch beim Bachmannpreisträgertext 2009, der grandiosen Schilderung eines Mannes, der seine Freundin im Wachkoma betreut und auch nicht umhin kommt, sie am Ende zu erschießen. Jens Petersen hat den Preis bekommen, ich bin unzufrieden zurückgeblieben und jetzt bin ich das auch.
„Geht es wirklich nicht anders, Herr Henisch, auch wenn Novak, stilgerecht, wie Tosca, zwei Kerzen vom Weihnachtsbaum neben Herta stellt, bevor er mit seinem Rucksack mit den Opern-CDs, das Schrebergartenhäuschen verläßt?“
Die Literaturkritik wird verneinen, denn Spannung muß ja sein und ein Roman ist nur dann gut, wenn er in jeder Szene seine Maximalkapazität ausschöpft und das haben, sowohl Peter Henisch als auch Jens Petersen getan. Und auf der Opernbühne liegen, wenn der Vorhang fällt, ja auch die Leichen, so gesehen, läßt es sich wieder als Ironie interpretieren oder sagen, das gehört halt dazu.
Ich hätte ein anderes Ende gewählt, da wäre die Waffe im Keller geblieben oder gar nicht dort gewesen und Novak wäre mit seinem Rucksack und seinen Äpfeln, höchstens zum Bezirksgericht oder in eine Männerberatungsstelle gegangen.
Aber meinen Texten fehlt der höhere Kick, wie mir schon Karl Markus Gauss in den neunziger Jahren erklärte.
Trotzdem es ist ein grandioses Buch und ich bin dadurch zwar in keine Midlifekrise gekommen, habe aber meine Opernleidenschaft in den Siebzigerjahren, ich habe kein absolutes Gehör und mich irgendwann in die Literatur verabschiedet, von der ich glaube mehr zu verstehen, noch einmal durchlebt. Für E. T. A. Hoffmann habe ich mich auch einmal sehr interessiert und „Hoffmanns Erzählungen“ gern gehört.
Und für die, die mir jetzt vorwerfen, daß ich im Literaturgeflüster immer soviel erzähle und auch das Ende verrate, das ist schon am Umschlag abgebildet. Da gibt es nämlich eine Pistole, eine Amsel und ein Cassettenband. Nur etwas habe ich nicht verstanden und würde ich gerne Peter Henisch oder seinen Lektor fragen. Nämlich die Stelle, wo Novak in den CD-Laden seines Ortes geht und Opernmusik der drei Tenöre findet.
„Stimmt, die Geschichte, die hier erzählt wird, liegt schon ein paar Jahre zurück. Anna Netrebko war noch nicht im Bewußtsein der Diskont-Kunden angekommen.“
Das hat mich verwirrt, dachte ich doch, es ist in der Zeit der Postamtschließungen, des Vogelsterbens und der Terrordrohungen ein höchst akutelles Buch.
2011-09-12
Grosses Finale für Novak
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