Christoph Heins „Von Anfang an“, schildert das Leben eines pubertierenden Jungen in einer ostdeutschen Kleinstadt in den Fünfzigerjahren. Daniel ist ein Pfarrersohn, „Pfaffe“ sagen die Kinder und die Lehrer in der DDR-Schule, der Vater ist streng aufrecht und korrekt und wenn der Sohn einen Tadel bekommt, schreibt er schon mal eine ironische Bermerkung in das Mitteilungsheft, so daß sich Daniel ihm nicht mehr zu sagen traut, wenn ihn die Lehrer wegen seines politisch indifferentn Verhaltens hänseln, er hat eine Schwester Dorle und vier, fünf Brüder, das heißt der fünfte kommt erst auf die Welt, als er schon in West-Berlin in die Ostklasse eines Gymnasiums geht und während die Mutter mit dem vierten schwanger ist, können die Geschwister erleben, daß sie Monate lang nicht mit dem Vater spricht, offenbar die einzige Möglichkeit des Widerstands gegen unerwünschte Kinderschaft, die die aufrechte Pfarrersfrau hatte, die vor dem Krieg Op-Schwester war und so eine gute, daß der Chefarzt nur mit ihr operieren wollte.
Das Buch beginnt an dem Tag, an dem sich Daniel von seiner Tante Magdalena verabschiedet, weil er in den Westen geht und endet mit ihren Tod und dem Bedauern, daß er nicht zum Begräbnis fahren konnte, weil ihm der Schuldirektor und der dortige Pfarrer abriet, da er ja die Republik verraten hatte und auf der Liste stand…
Dazwischen liegt eine Nachkriegskindheit in dem überfüllten Pfarrerhaus, wo das Geld an allen Ecken und Enden fehlt und auch noch die Großeltern aufgenommen werden müßen, weil der Großvater ein aufrechter Gutsverwalter sich weigerte in die Partei einzutreten und daher das Staatsgut nicht mehr verwalten konnte. Und der Zwölf-Dreizehn-Vierzehnjährige beschreibt in der Nachkriegs-DDR hauptsächlich das Erwachsenwerden und die Erlebnisse mit dem Mädchen, obwohl ihn auch der Leipziger Wissenschaftler, den die Kreisschulbehörde schickte, um den Schülern „flüßige Luft“ vorzuführen“ sehr beeindruckte, wenn auch weniger wegen der flüßigen Luft, als durch die Gerüchte, daß er schwul sei, die einer der Klassenkameraden ausstreut, so daß der Herr Doktor von der Polizei einvernommen wird und keine Genehmigung mehr bekommt Schüler zu unterrichten, was die Klassenlehrerin den neugierigen Schülern am nächsten Tag „mit hygienischen Maßnahmen“ erklärt.
In sich geschlossenen Kapiteln wird diese DDR-Jugend erzählt. Der sommerliche Besuch bei den Großeltern am Gut Holzwedel, wo Daniel mit seiner Schwester in einer Kammer schlafen muß, wo es einen großen surrenden Elektrokasten gibt und er sich vor Spinnen fürchtet, es gibt aber auch den älteren Gutsarbeitersohn Jochen mit dem er an den Russensee fahren will, was verboten ist, weil es dort noch Mienen gibt, da sich aber Jochen dort mit Pille, einer Landarbeitertochter, die Krankenschwester werden will, trifft, gerät Daniel vollends aus dem Häuschen, beschließen sie doch dort nakt zu baden, so daß er ihre rötlichen Schamhaare sieht und später noch zuschauen kann, wie sie Jochen in sich hineinläßt, was ihn so aus der Fassung bringt, daß er auf ihren Fahrradsattel abspritzt und sich dann Sorgen macht, daß er womöglich der Vater von Pilles Baby ist, mit dem sie sich ihr Leben versaute.
Die Sommerferien sind aber ohnehin bald vorbei, die Eltern holen die Kinder wieder ab und Daniel kann miterleben, wie sich die Mutter mit der Großmutter streitet und als ein Zirkus auf der Nachbarwiese sein Gastspiel gibt, freundet er sich mit dem Artisten Kade an, der so grüne Augen wie der Evangelist Lukas hat, hilft ihm beim Aufstellen der Scheinwerferständer und führt ihn durch das langweilige Städtchen, wo sie seine Geografielehrerin, eine verheiratete Frau und Mutter zweier Kinder treffen, die sich in den Artisten verliebt, so daß Daniel, als er Kade im Wohnwagen besuchen geht, „Frau Blüthgens nackten Hintern“ sehen kann und weil er die Gedichte so schön deklamieren kann, schlägt ihn die Deutschlehrerin für den dramatischen Zirkel vor, so daß er nach Dresden zu einer Aufführung fahren kann, dort spielt er den schönen Johnny, wo sich die schöne Mareike in ihn verliebt und erzählt, daß sie am liebsten nackt tanzt, was die beiden gleich ausprobieren. Nur wird er von einem Klassenkameraden erwischt und der Lehrerin verpetzt und aus ist es mit der Empfehlung an die Oberschule.
Aber Daniel will ohnehin nach West-Berlin, wo schon sein zwei Jahre älterer Bruder ist und den darf er eines Sonntags, wo er sonst immer in die Kirche gehen muß, mit den Eltern und den ganzen Geschwistern besuchen und als sie von der Polizei angehalten und gefragt werden, in welches Berlin sie fahren, ist der Vater stolz, daß er nicht lügen muß, als er „in das demokratische“ sagt. Bei der zweiten Polizeikontrolle will der Polizist die Adresse wissen und da muß der Herr Pastor mit roten Kopf die Adresse eines Ostberliner Konsistoriums angeben, das er manchmal besucht und als die Familie in einer Konditorei am Kurfürstendamm ein Stück Kuchen essen, erfahren sie über eine Leuchtschrift von den Ereignissen in Budapest, wohin gerade die russischen Panzer rollen…
So geht das Kinderleben dahin, leicht und locker erzählt und endet in der Rückschau mit dem Tod Tante Magdalenas und dem langen Brief, den der Vater schrieb, um zu trösten.
Christoph Hein wurde 1944 in Schlesien geboren und lebt in Berlin. Sein Roman „Drachenblut“ hat, glaube ich in der DDR oder auch im Westen großes Aufsehen erregt. Ich habe ihn noch zu DDR-Zeiten gelesen und wahrscheinlich in der Zentralbuchhandlung gekauft oder ihn mir von der Gall Maria aus Budapest mitbringen lassen, weil es dort in den frühen Achtzigerjahren sehr billige DDR-Bücher zu kaufen gab. Zuletzt ist „Weiskerns Nachlaß“ von ihm erschienen und wurde auf der Frankfurter Buchmesse am blauen Sofa vorgestellt.
Von allen Anfang an
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