Literaturgefluester

Überlebenskünstler

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Eigentlich habe ich zu den aktuellen literarischen Gesellschaftsbefunden am Montag in der Alten Schmiede der Präsentation von György Dalos „Der Fall des Ökonomen“ gar nicht kommen wollen. Wurde es ja schon auf der letzten Buch Wien vorgestellt und in Leipzig habe ich ihn im Berliner Zimmer auch gehört, da bin ich aber, glaube ich, zuspät gekommen, weil ich mir vorher noch einen Kaffee vom TAZ-Stand holte und ich ja nicht so gerne zu einer Veranstaltung zweimal gehe, um nicht im Literaturgeflüster dasselbe zu berichten, aber da ich in den Wochen ohnehin bei relativ wenig Literaturveranstaltungen war, habe ich umdisponiert und gut daran getan.
Obwohl die Alte Schmiede ganz im Gegenteil zur letzten Woche ziemlich leer war, als ich den Kellersaal erreichte. Den pensionierten Lehrer, der mir einmal ein Buch abgekauft hat und den ich schon länger nicht mehr gesehen habe, habe ich getroffen, der hat sich gewundert, daß sich sowenig Leute für Dalos interessieren. Er hätte geglaubt, es wäre voller Es war aber ein sehr heißer schöner Tag und Fußball EM ist ja derzeit auch.
Hinter mir saßen zwei ungarisch sprechende Männer, Cornelius Hell ist dann noch sehr schnell hereingehuscht und Kurt Neumann oder war das schon der Einleiter Michael Cerha, erzählte etwas von einem leicht und locker geschriebenen Schelmenroman.
Kurt Neumann wars, denn Geörgy Dalos bezweifelte etwas später, daß es einer wäre, denn dann gäbe es in Ungarn ein paar Millionen Schelmen, wenn man die Aren so bezeichnen würde. Denn darum geht es in dem Roman, die Geschichte einer jüdischen Familie in Budapest oder eigentlich nur um den fünfundfünzigjährigen Sohn, denn die Mutter ist schon lange tot. Der Vater stirbt fünfundneunzigjährig im ersten Satz des Buchs, der Sohn organisiert das Begräbnis und versucht die Opferrente abzustellen, die der Vater als Jude von einer Schweizer Organisation bekommt, dreihundert Franken, das geht aber irgendwie nicht und der Sohn, der Ökonom, ist schon lange arbeitslos und beginnt zu überlegen, von was er nun leben soll? So kommt er auf die Idee das von der Rente des Vaters zu tun und tut das fünf Jahre lang. Dann würde der Vater hundert werden und da will die Organisation, dem Vater ein Filmteam schicken. um eine Dokumentation über den ältesten von ihnen unterstützten Juden zu drehen und so muß der Sohn den Tod des Vaters bekanntgeben. Da er aber ohnehin bald sechzig wird, hat er dann auch Anspruch auf eine eigene Rente.
Ein sehr interessantes realistisches Thema mit dem man wie Geörgy Dalos in seiner Einleitung erklärte, das Leben seiner Generation beschreiben kann. Der Vater aus einem KZ zurückgekommen, ist ungern aus dem Haus gegangen und wollte seinen Sohn auch nicht ins Schwimmbad begleiten, weil er Angst vor dem Schlangestehen vor der Kasse hatte. Gabor war zuerst ein schlechter Schüler, dann wurde er auf ein Stipendium nach Moskau geschickt und hat dort Ökonomie studiert, aber welche? Natürlich die realsozialistische, also das, was Marx und Engels dafür hielten. Dann hatte er wahrscheinlich einen Job, aber die, die es im sozialistischen Ungarn gab, waren eine reine Geldbeschaffung und nichts zu tun, achtzig Angestellte in den staatlichen Einrichtung mit Arbeit für fünf, erklärte Geörgy Dalos, dann kam die Wende, da hat er einige Jahre im Parlament gearbeitet, dann wurde er arbeitslos, hat den Anschluß also nicht geschafft und lebte von der Rente seines Vaters bis zu dessen Tod und auch noch fünf Jahre danach.
Das Stück das Geörgy Dalos dann las, bezog sich darauf, daß zusätzliche dreiundert Franken angewiesen wurden, was den Ökonomen in viele Überlegungen stürzte. Was soll er damit machen, seinen Kontominus begleichen, damit er wieder seine Karte bekommt? Aber er hat keine Lebensmittel. Also zuerst die einkaufen und jetzt sofort, also muß er schwarzfahren, damit er noch die Bank erreicht, wenn er aber dabei erwischt wird, kommt er zu spät. Er bekommt das Geld, setzt sich damit in ein Gasthaus und stellt ökonomische Überlegungen an, wie er es am besten ausgeben wird?
Ein wahrhaftiges Schelmenstück um Armut in Ungarn und den Fall des Kommunismus zu beschreiben, die Realistin in mir, mußte dann auch die erste Frage stellen, ob es denn keine Arbeitslosenunterstützung in Ungarn gäbe?
„Doch!“, antwortete Georgy Dalos, aber auf die hätte er keinen Anspruch, nur auf die Sozialhilfe aber die wäre zu wenig. Cornelius Hell wies darauf hin, daß der Kommunismus besonders die Bauern- und Arbeiterkinder zum Studium gebracht und die anderen davon ausgeschlossen hat und Kurt Neumann fragte nach, warum er keine Arbeit gesucht hätte?, aber das ist für einen Fünfundfünzigjährigen wahrscheinlich auch in Ungarn schwierig und Geörgy Dalos setzte noch hinzu, daß Literatur eben immer etwas übertreibe. Also das, was ich Überhöhung nenne und fürchte davon immer zu wenig zu haben. Aber die Idee des leichten und lockeren Schelmenromans mit dem man eine ganze Epoche auf die Schaufel nehmen kann, finde ich sehr faszinierend und denke, daß ich das auch für mich an Anspruch nehmen möchte und eigentlich auch so schreibe. So krebst meine Kerstin ja derzeit auch herum und versucht mit einem Achterl täglich auszukommen und ich bin dabei, eine gerade richtig erhöhte Handlung zu erstellen, damit es endlich einmal literarisch wird.
Es kam dann noch die Frage nach der Übersetzung oder, wie das Buch geschrieben wurde und wie es auf Ungarisch heißt? Aber das gibt es, wenn ich es richtig verstanden habe, noch nicht auf Ungarisch. Geörgy Dalos lebt ja in Berlin und sagte, Sachbücher würde er auf Deutsch schreiben, literarische zuerst auf Ungarisch, sie dann selber übersetzen und seine Frau macht das Lekotrat, weil ihm auf Deutsch keine literarischen Sätze einfallen.
Also ein sehr interessanter Abend und ein sehr interessantes Buch und wenn ich es bei dem schnell einmal Hineinschnuppern gelassen hätte, hätte ich vieles nicht mitbekommen.
Geörgy Dalos wurde 1943 in Budapest geboren und lebt seit 1943 in Berlin, 2010 wurde er mit dem Leipziger Preis für europaische Verständigung ausgezeichnet und er ist sehr oft in Leipzig, Frankfurt aber auch in Wien zu hören. Als Imre Kertez 2002 den Nobelpreis bekommen hat, habe ich das in Frankfurt erfahren und war da auch auf einer Dalos Lesung, der dazu befragt wurde und 2009 hat ihn Ditha Brickwell zu ihren „Geschichten in der Geschichte“ ins Literaturhaus eingeladen, da habe ich mit ihm geredet, war aber ein bißchen verschnupft, weil ich ja eigentlich dort lesen sollte und mich deshalb mit Ditha Brickwell auch schon im Cafe Hummel getroffen habe, wo sie mich dazu einlud, dann hat sie es sich aber anders überlegt und offenbar Berühmtere genommen.
„Den Versteckspieler“ habe ich, glaube ich, einmal in einer Halbpreis oder Abverkaufkiste gekauft und 2005 gelesen, als ich mit dem Alfred durch Andalusien gefahren bin und da der „Fall des Ökonomen“, wie ich gerade sehe, erst 2012 erschienen ist, wird auf der letzten Buch-Wien, wahrscheinlich über „Gorbatschow Mensch und Macht“ diskutiert worden sein.

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