Wieder ein Fund aus der Bibliothekskiste der Gumpendorferstraße, ausgeschieden von den städtischen Büchereien und von mir wahrscheinlich zeitgleich mit den Becher Büchern entnommen. Grigorij Bakalanow „Die Toten schämen sich nicht“.
Nie etwas davon gehört, aber diesmal, das Buch ist 1962 bei Goldmann erschienen, gibt es ein Vorwort von Valerian P. Lebedew, der erklärt, daß es sich bei dem 1923 in Woronesch geborenen, um einen der Schriftsteller handelt, die als junge Menschen den zweiten Weltkrieg mitmachten und der, der von 1945- 51 am Maxim Gorki Literaturinstitut studierte, sich von den anderen Schriftstellern durch seine Offenheit, wie er die Ängste und Gefühle der Soldaten beschreibt und nicht nur das pure sowetische Heldentum schildert, unterscheidet.
„Die Toten schämen sich nicht“ ist sein dritter Roman und stellt laut Lebedew „selbst die vorausgegangenen Romane weit in den Schatten. Mit solchen Augen hat noch kein Schriftsteller der Sowetunion bisher den Krieg gesehen und geschildert.“
Er ist dafür natürlich auch kritisiert worden, man sprach von einem „Sowetischen Remarquismus“, es gab aber Zeitungen, die für ihn eintraten und er wurde auf den Schriftstellerversammlungen auch verteidigt, liest man im Vorwort weiter.
Interessant ist auch, daß das Buch im Gegensatz zu den Becher Büchern von 1962 bis 1992 sehr oft ausgeborgt wurde. Der damals übliche Stempelzettel auf der ersten Seite ist fast voll markiert. Es gibt auch deutliche Lesepuren, wie Kaffeeflecken und am Schluß des Buches hat ein offenbar empörter Leser mit Bleistift „Blödsinn“, hingeschrieben, warum ist mir nicht ganz klar, denn ich denke, es wird schon so gewesen sein, auch wenn die deutschen und die österreicheischen Kämpfer, wie der Leser vielleicht einer war, natürlich auf der anderen Seite stand. Angst um das Leben und Schuldgefühle wegen der Sinnlosigkeit des Krieges werden aber auch die deutschen Soldaten empfunden haben.
Die Geschichte ist sehr schnell erzählt, das Vorwort, das fast ein wenig zu ausführlich ist und ganze Dialoge wiedergibt, die man später selber lesen kann, schreibt „Der Roman „Die Toten schämen sich nicht“, der den Leidensweg eines kleinen, todgeweihten Soldatenhaufens zum Thema hat, beeindruckt durch die Kraft eines Schicksalgeschehens voll menschlicher Größe und menschlicher Schwäche.“
Und Bakalanow beginnt das Buch so „Um Mitternacht wurde ein deutscher Funkspruch abgefangen. – Aber bis dieser Befehl weitergegeben und ausgeführt wurde, verlegten die vorrückenden Deutschen die Spitze des Vorstoßes noch weiter nach Süden. Doch davon wußte keiner mehr etwas.“
Dann beginnt es in der ukrainischen Hütte, wo die Soldaten in ihren Klamotten schlafen und der Abteilungskommandant Uschakow, der Hauptmann Wasitsch, der Hauptmann Ischenko und die Staatsärztin eines anderen Regiments um den Tisch sitzen. Der kleine Bub der Bäuerin sitzt auch dabei und die erzählt von deutschen Soldaten, die ihn zum Stottern brachten, weil sie ihm erwischten, daß er ihr Brot essen wollte und nicht verstand, daß er dafür „Danke“ sagen sollte. Es gibt auch schöne Erinnerungen an die Liebesnächte mit der Stabsärztin, die einen zusammenflickte und jetzt einen Sohn zur Welt brachte, in Wahrheit sitzt man aber weit draußen in der Kälte und im Schnee und kann nur über die Gefühle der Deutschen räsonieren und darüber nachdenken, ob man sie gefangennehmen soll, wenn sie einem entgegenkommen.
„Nun, der Deutsche hat dich laufenlassen. Vielleicht wollte er seine Hände nicht mit Blut besudeln, denn dieser Krieg geht dem Ende zu. Vielleicht ist er auch wirklich ein anständiger Mensch, aber ein anständiger, ein wirklich anständiger, deutscher Soldat, der Hitler haßt, der uns den Sieg wünscht, wird der trotzdem gegen uns kämpfen, auf uns für Hitlers Sieg schießen?“
Es kommt, wie es kommen muß, die Deutschen haben aus taktischen Gründen ihren Plan geändert und das kleine Grüppchen eingekreist, Kommandant Uschkow fällt, siebenundzwanzig sind am Leben geblieben. „Irgendeiner, den sie alle kannten und doch nicht gleich erkannten, lag ohne Mütze auf den Knien unter einem Baum, schöpfte mit der hohlen Hand Schnee und hielt ihn an die Schläfe. Er warf den Schnee sogleich weg, denn im Nu war dieser mit Blut durchtränkt..“
Und Kriwoschejn, dessen Blut die Bauchhöhle füllte, lächelte mit blutlleren Lippen „Ich lag da und dachte darüber nach, wie die Kleinigkeiten in den Augen der Menschen anwachsen, wenn es kein wirkliches Unglück gibt.“
Am Schluß muß Ischenko den Regimentskommanteur Auskunft geben und erzählen, wie es war und ob Major Uschakow „wie ein Held gestorben ist“. Er hat Angst vor ein Militärgericht gestellt zu werden, geht dann aber, als das Verhör vorbei ist, zu seinen Kameraden, die um das Feuer sitzen und gerösteten Speck essen,“dessen Fett vom Finger tropfte, denn der Hunger war zu groß.“
„Wie stehts um uns, Genosse Hauptmann?“, stellte einer eine schüchterne Frage.
„Mit vollem Mund brummte er eine unverständliche Antwort!“.
Dann ist das Buch zu Ende und darunter steht, wie erwähnt mit Bleistift und zwei Rufzeichen „Blödsinn“ geschrieben. Wenn man jetzt den Namen Blakanow nachgooglet, kommt man nur auf die Seiten, wo man die Bücher antiquarisch kaufen kann, sonst ist im Internet über den russischen Schriftsteller nur eine biographische Notiz bei „Munziger, Wissen das zählt“, zu finden und muß sich auch noch einloggen, wenn man sie zu Ende lesen will.
Die Toten schämen sich nicht
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