Literaturgefluester

Mein Italien

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Mit Klaus Wagenbach, dem 1930 geborenen Verleger des Wagenbachverlags, kreuz und quer durch Italien. Alfred macht es möglich, hat er mir ja in Leipzig das Wagenbach Taschenbuch 559, aufgeteilt in acht Abschnitten und erläuert durch den Herausgeber, gekauft und jetzt, kann ich mich, die ich ja keine Kurzgeschichten und Textausschnitte mag, in Italiens Literatur durchrobben.
Vielleicht ist das aber gar nicht so schlecht, bin ich ja mit Alfred bis 2004 oder 2005 lang jedes Jahr hin gefahren und hatte da auch manchmal Wagenbachbücher im Gepäck und ebenfalls 2005 oder war es 2006 bzw 2007 bin ich einmal in die Hauptbücherei gegangen und da das erste Mal auf die Bücherlandungseineurokiste gestoßen und da lagen lauter Wagenbach Italienbücher drinnen, denn Klaus Wagenbach, den, ich, glaube ich beim letzten Fried Preis und auch schon Leipzig traf, als er einen Preis bekommen hat, ist ja ein Italienkenner und Spezialist dieser Literatur, gibt vorzugsweise die linken Italiener heraus und ich muß zu meiner Schande gestehen, außer „Erica und ihre Geschwister“ von dem, was ich mir in der Buchlandung kaufte, noch nichts gelesen zu haben, es gibt ja soviel Konkurrenz.
Die „Zwiebel“, das jährliche Verlagsprogramm, in dem man ebenfalls Leseproben finden kann, hole ich mir natürlich und jetzt zu Zeiten der Frankfurterbuchmesse, wo Neuseeland Gastland ist, ein Streifzug durch die kritische Literatur bella Italias, beim Aufschlagen des Buches bin ich, wie ich wieder gestehen muß, zusammengezuckt, denn dreihundertsiebenundsiebzig Seiten Kleindruck, wie lange brauche ich dazu und wie schaffe ich das zu bloggen, ohne etwas zu vergessen?
Die Lösung ist ettappenweise, also beginne ich mit der „Ortsbesichtigung“, wo der 1910 in Pescara geborene und 1972 in Rom gestorbene Ennio Flaiano uns über die „Größten Fehler der Italiener“ erzählt. Und Umberto Eco macht gleich weiter mit „Welche Schande, wir haben keine Feinde“, wobei das eine Frage ist, die ihn in New York ein pakistanischer Taxifahrer stellt und Andrea Camilleri, von dem ich inzwischen einiges bei einem anderen Verlag Erschienenes gelesen habe, macht ich über den „Bei den Tempeln vergessenen Engländer“ lustig, da verkleidet sich ein schlaues Bürschchen als Engländer und versucht die Bauern zu foppen, die kommen aber darauf und verprügeln dann irrtümlicherweise einen echten Engländer, der das dann für die italienischen Gebräuche hält und „Seltsames um den Turm von Pisa“ von Gianni Rodari ist überhaupt sehr lustig, da kommen die Marsmenschen und wollen den schiefen Turm entführen, was aber durch den Andenkenverkäufer Carletto Palladino verhindert wird. Tiziano Scarpa erzählt etwas über „Venedig“, das ist auch sehr interessant, weil ich ja gerade Donna Leon gelesen habe, dann kommen Carlo Fruttero und Franco Lucentini und der 1927 geborene Luigo Malerba, der uns mit seinem „Aufgezehrten Panorama“ Roms unterhält, das von den vielen Touristen kommt, bevor mit „Quer durch“ in das „Lombardische Land“ zum „Po“ und mit Anna Maria Ortese, der bis jetzt ersten Frau, zu den „Weißen Gesichtern in Mailand“ geht, da berichtet sie, wie sich die Stadt jeden Sommer leert, die aus der Bel Etage ziehen in die Sommerfrische, während die Hausmeisterkinder mit weißen Gesichter, weiter die Treppen kehren müßen und der kleine Sohn des distinguierten Beamten in der Eisdiele, den Vater wenigstens um einen Sonntagsausflug bittet und Gianne Celati erzählt überhaupt in „Eines Abends vor dem Ende der Welt“ von einer Frau, die davon hörte, daß die Kohlensäure aus den Städten sich in der Atmosphäre aufstauen würde, so flieht sie mit einer Freundin nach Norwegen, als die sich aber dort verheiratet, wechselt sie den Job, freundet sich mit einem Mineralwasserliferanten an, als sie aber von ihm verlassen und von den anderen verspottet wird, verklebt sie sich den Mund und hüllt sich in Nylon, so daß sie nach dem Knall noch im Spital verstirbt.
Ferderico Fellini berichtete von seinem „Rimini“, das sich seit dem Krieg in eine einzige Flanaierzeile mit unzähligen Restaurants, Bars und Hotels verwandelt hat und Giorgio Manganelli führte und in „Die Uffizien“ von Florent und hatte über beinahe jedes Bild etwas zu sagen, während Luigi Malerbo, von dem ich inzwischen „Die Schlange“ im Wortschatz gefunden und noch ein anderes ungelesenes Buch in den Regalen stehen haben, belehrt uns über Korruption, die Toleranz, die Denkmäler und noch über einiges anderes das es im schönen Rom zu finden gibt, während uns der 1921 in Sizilien geborene Leonardo Sciascia im „Weinfarbenen Meer“, eine Reise von Rom nach Sizilien miterleben läßt, die ein Ingenieur in einem Abteil gemeinsam mit einem Lehrerehepaar, dessen Söhne Lulu und Nene und einem jungen Mädchen, das einem Gelübde wegen noch ein Monat lang ein schwarzes Kleid tragen muß, macht.
Bei den „Sitten und Gebräuchen“ lesen wir zum Teil sehr schrullige Sachen. So lassen sich bei Primo Levi zum Beispiel die Leute Werbeschriften auf die Stirn gravieren, damit sie mit dem damit verdienten Geld ihren Ehestand finanzieren könnten, weil das alle wollen, kommt es aber zur Inflation und als Laura nach drei Jahren schwanger wird, kommt das Kind schon mit einer solchen Schrift zur Welt.
Umberto Eco schildert „Eine TV-Show im Spiegel des Landes“ und Gianni Rodari erzählt im „Am Strand von Ostia“, von einem Herrn, der Unmut erregt, weil er sich mit seinem Sonnenschirm aus Platzmangel ein Stückchen höher in die Luft begibt. Und Luciano de Crescenzo läßt in „Geschichte einer Verwarnung“, einen Taxichauffeur die Frage stellen, ob der Fahrgast die Strafe für eine Verkehrsübertretung zu bezahlen hat, während Guiseppe Marotta die italienischen Gebräuche schlicht und einfach an Hand der „Spaghetti“ schildert. Dann geht es zur Geschichte, was hauptsächlich in den zweiten Weltkrieg bedeutet und da hat sich Mussolini ja eine Stadt schaffen wollen, wie Leonardo Sciascia erzählt und der im März verstorbene Antonio Tabucchi, der 19988 den österreichischen Staatspreis für europäische Literatur bekommen hat, erzählt in seiner „Hydraulischen Gleichheitsmaschine“, vom Hunger in den Dörfern, der kommunistischen Selbsthilfe und die Rolle, die der Dorfgeistliche dabei spielt und ich habe „Erklärt Pereira“ noch immer nicht gelesen.
„Der falsche Arzt“ zeigt wieder viel vom Camillerischen Humor, da fahren zur Zeit des spanischen Bürgerkriegs sowetische Schiffe draußen am Meer und der Arzt des sizilianischen Dörfchens soll hinausfahren um einen Kranken zu retten, aber der wird immer seekrank, so holt er den Vater des Protagonisten, der soll kommen, den Puls messen und den Kranken ins Spital bringen lassen, der wird dann gesund und die Sowets wollen dem richtigen Arzt dann einen Orden geben und die Faschisten versprechen seltsamerweise auch ihn zu belohnen, vergessen aber darauf. In Romano Bilenchi „Der junge Linder“, schließt sich ein jüdischer Flüchtling dem kommunistischen Widerstand an und Natalia Ginzburg erzählt vom „Winter in den Abruzzen“. Italo Calvino zeigt im „Schwarzen Schaf“ wie das italienische System funktioniert, alle rauben des Nachts das Haus des anderen aus und Guiseppe Tomasi di Lampedusa berührt mit „Freude und moralisches Gesetz“, da bekommt ein armer Buchhalter zu Weihnachten sein dreizehntes Gehalt, von dem er seinen Schulden zurückzuzahlen hat und einen riesigen Kuchen, den er mit seiner Familie essen will, aber er muß ihm, der „Ehre“ wegen, an einen Advokaten schicken.
In der Abteilung „Frauen, Mütter, Söhne“ sind mehr Autorinnen vertreten, trotzdem stammt die Geschichte „Ein Meteorit aus dem Kosmos“ von dem 1937 geborenen Gianni Celati, wo eine Frau, wegen der Schlechtigkeit der Welt nicht mehr aus dem Haus gehen will, so kommt sie zu einem Arzt, der ihr ein paar gute Ratschläge gibt, ein Meteorit schlägt in ihrem Garten ein, sie verändert sich und am Schluß wird sie die Gattin des Arztes. So weit so gut und vielleicht passend zum italienischen Frauenbild des vorigen Jahrhunderts, das auch Dacia Maraini, die Lebenspartnerin von Alberto Moravia, treffend karikiert. Da zieht eine Frau aus der Wohnung ihrer Eltern, in eine eigene und hört ab nun, wie die Mama drüben, das dreißigjährige Söhnchen badet, anzieht, bekocht und verwöhnt, so lange bis die Mama einmal stirbt, da läßt sie die Mauer niederreißen und übernimmt fortan Mamas Rolle. Söhnchen ist gar nicht überrascht. Die nächste Geschichte stammt vom Meister selbst, von dem ich ja einiges gelesen und noch etwas auf meiner Leseliste habe. Da geht es auch, um die Frauen mit den älteren Männern, die Geschichten von den Frauen mit den älteren Liebhabern erzählen, die das Geld, das sie dabei verdienen den jüngeren Liebhabern bringen und von ihnen betrogen zu werden. So weit so what und hoffentlich schon lange vorbei!
Natalia Ginzberg bringt dann etwas über „Die kaputten Schuhe“, während Francesco Piccolo von der anderen Art der italientischen Mutterliebe erzählt, denn da wird einem Knaben aufgetragen, dem Bruder ja nicht „Auf der Straßenseite“ gehen zu lassen, wenn er mit ihm zur Schule geht, was diesen zu sehr vielen Gedanken und darauf bringt, daß ihn die Mama weniger lieben könnte.
In der Abteilung „Gift und Galle“ wirds kunterbunt. Dario Fo bringt einen dramatischen Ausschnitt, von einem Dieb, der während des Einbruchs von seiner Freundin angerufen wird.
„Wieder diese Frauen!“, könnte man denken.
Zwei Texte befassen sich mit der Literatur und am Ende des Kapitels wirds politisch und ausnahmsweise so modern, daß sich die Geschichten mit Silvio Berlusconi und seiner Politik beschäftigen. Eine, die des 1947 geborenen Stefano Benni, führt sogar ins Jahr 2194. Da geht ein Student in eine futoristische Bibliothek und will über die Politik des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts eine Seminararbeit schreiben, aber über Berlusconi findet der Computer nichts.
Die „Lebens- und Liebesgeschichten“ ziehen einen weiten Rahmen, berichten vom Alltäglichen und kehren auch ein bißchen in Sado-Maso-Abteilung, die jetzt ja sehr modern ist, ein.
Da berichtet Guiseppe Pontiggia vom Lebensweg eines 1905 geborenen, mit der ersten Ohrfeige erweckt ihn die Hebamme zum Leben, dann kommen epileptische Anfälle, die der Doktor als Wachstumsbeschwerden beschreibt, damit kann er sich auch vor dem Eingezogenwerden drücken und wird, wie es der Vater wollte, staatlich geprüfter Chemiker, erwischt die falsche Frau, wandert aus und stirbt dann irgendwann verbittert. Ähnliches passiert auch Marco Lodolis Helden in „Italien 90“, während Claudio Piersanti in „Zelindas Kinder“ von den Grausamkeiten des Lebens erzählt, hat die alte Putzfrau des Arztes zwei behinderte Kinder aufzuziehen, die sie verprügeln und von denen sie sich trotzdem nicht trennen will und Goggredo Parise hat das „Shade of Grey“ in „Die Frau im Sattel“, schon vor langer Zeit, ist er ja 1986 gestorben, auf umgekehrte Art und Weise erzählt. Aber auch bei Alberto Moravias „Der Tisch aus Birnbaum“ streiten sich die Paare und tragen untereinander ihre Konflikte aus. Mario Fortunato erzählt von „Seinen (homosexuellen) Gefühlen“ und Italo Calvino schickt in „Der nackte Busen“ seinen „Herrn Palomar“ spazieren. Der tut das dann auch in der Abbteilung „Arrividerci“ und dort sind ebenfalls noch ein paar vermischte Texte versammelt. So quält sich bei Tommaso Landolfis „Der Kuß“ ein schüchterner Notar nächtens durch geheimnisvoll Küße durchs Leben und schließlich in den Tod, während uns Antonio Tabucchi „Vom Traum des Carlo Collodi“, das ist der Pinoccio Erfinder erzählt und uns Pier Paolo Pasolini einen Vortrag über die Abtreibung hält und so bin ich, während ich mich gleichzeitig durch die Frankfurter Buchmesse zappte, mit Klaus Wagenbach „Kreuz und quer“ durch Italien gerast, Erinnerungen aufgefrischt, Gelesenes geordnet und die Leseliste ergänzt. Die meisten der großen Italiener, die Klaus Wagenbuch in seine Anthologie aufgenommen hat, sind Männer und gehören auch der älteren Generation an, während ich ja vor kurzem den Bestseller eines sehr jungen Italieners gelesen habe, der das Durchschnittalters der Träger des Preises, den er gewonnen hat, sehr herabsetzte.

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