Literaturgefluester

ich bin das festland

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Jetzt kommt was Neues aus der Edition Exil, nämlich Seher Cakirs zweiter Erzählband „ich bin das festland“, das ich mir vor ein paar Wochen von Christa Stippinger geben ließ, 2012 erschienen und wurde, glaube ich, bei der Kritlit vorgestellt. Aber die habe ich heuer ausgelassen und von Seher Cakir habe ich schon den „Zitronenkuchen für die sechsundfünzigste Frau“ gelesen, zwar nicht gleich, gab oder gibt es bei mir ja ein Kurzgeschichten Vorurteil.
Für die „Frau auf der Bank“ konnte ich es aber brauchen, wurde Seher Cakir ja in Istanbul geboren und ist in Österreich aufgewachsen, einen der Exilpreise hat sie gewonnen und die Spezialität ihrer Geschichten ist, daß sie das Leben im anatolischen Dorf mit dem von österreichischen Türkinnen oder auch nur Österreicherinnen vermischt und sie munter zwischen den Traditionen ihre Sex- und andere Geschichten erleben läßt.
So auch in Band zwei, in dem es fünfzehn Geschichten gibt, die ersten vier hängen zusammen und handeln von einer Selda, die sich zuerst von ihrer Großmutter Geschichten erzählen läßt, wie es war, als sie verheiratet wurde. Dann kommt der Vater, verspricht das Blaue vom Himmel, die schönsten Spielsachen, ein späteres Studium und nimmt die Frau und die beiden Töchter nach Österreich mit, wo er auf Seldas Fragen, immer nur „Frag doch nicht soviel, meine Tochter“, antwortet, sich das Klo am Gang befindet und sich Selda über ihre Lehrerin, deren Achselhaare nicht rasiert und die daher „schmutzig“ ist, wundert. Sie wundert auch über die Wörter, die in Österreich etwas anderes als in der Türkei bedeuten. Der Vater geht ins Kaffeehaus, läßt die Mutter und die Kinder allein und einmal begeht Selda einen Selbstmordversuch, weil sie sich von ihrer Mutter unverstanden fühlt und die bekommt von dem österreichischen Arzt den Rat, Selda eine Ohrfeige zu geben.
Ins Dorf geht es dann in „Die Frau meines Vaters“ zurück, da erlebt das Kind, daß der Vater aus Deutschland oder Österreich eine Zweitfrau namens Helga, so werden im Dorf alle deutschen Frauen genannt, mitbringt, der die Mutter dann einfach ein Kopftuch aufsetzt und sie in den Haushalt integriert.
Im „Ruf des Muezzins“ erinnert sich die erwachsene, zweimal geschiedene Frau an ihre Jugendlieben, bzw. erwartet sie einen solchen Freund, während sie mit ihrem Sohn Kekse bäckt. Die erste Liebe war der Muezzin, den sie bei den Sommerurlauben bei den Großeltern kennenlernte, ihm zu liebe, ließ sie das Kopftuch, das sie sonst nie trug, den ganzen Sommer auf und war enttäuscht, als er sie trotzdem nicht heiratete, dann kam die Ehe mit einem Turkulogen und die Liebe mit einem in Amerika aufgewachsenen Türken, das Abenteuer mit ihm in einem Hotelzimmer, denn in der Türkei muß man den Rezeptionisten die Heiratskurkunde zeigen, wenn man in ein Doppelzimmer will.
In „Zekiyes“ Ankunft geht die Frau nach Österreich aufs Feld Gemüse klauben, sie glaubt, sie stellt sich nur einmal in Istanbul vor und hat dann noch Zeit sich von ihren Kindern zu verabschieden, fährt dann aber drei Tage ohne Essen und Trinken nach Österreich, hat wieder Mühe sich bei den Worten, die in Deutsch etwas ganz anderes als in Türkisch bedeuten, lernt aber die Sprache und kann auch der Bäuerin, die das Frühstück für sie kocht, beibringen, Tomaten und Parika, statt der Salami, die sie nicht essen darf, auf den Tisch zu stellen.
Die „österreichischen Geschichten“ sind vielschichtiger, komplizierter und auch trauriger. Obwohl in „One-Night-Stand“ vorerst nur das Wort untersucht wird, was ist wenn er in der einen reservierten Nacht doch nicht steht?
Das wird dann gleich an einem Beispiel, wo zwei Überarbeitete, die sich nicht kennen, ins Orient Hotel gehen, exerziert, schwierig fand ich nur die kursiv geschriebenen Einwürfe, die offensichtlich nichts mit der Geschichte zu tun hatten.
Bei „Vertraut nie einer Frau“, träumt die Freundin, sie wäre der Mann und betrügt ihren Freund nackt mit dem Sohn des Bäckers, dann wachst sie in einem seltsamen Haus auf, ihr ist schwindelig und sie findet nur mühsam den Weg hinaus.
„Frühstücksbuffet“ schildert den minuziös geplanten Selbstmord einer fünfzigjährigen Frau, der damit beginnt, daß sie sich Reizwäsche kauft, „Da wird Ihr Mann sich freuen!“, plappert die Verkäuferin, aber der hatte immer den Geruch einer anderen Frau an sich, dann gab es eine Liebe zu einem Südafrikaner und einen Sohn namens Nelson, aber der ist längst gestorben. So fährt sie in der Stadt herum, fängt nach fünfundzwanzig Jahren wieder zu rauchen an, läßt sich im Intimbereich rasieren und die Haare färben, bevor sie sich in Baden in ein schönes Hotel für zwei Nächte einquartiert und auf das Frühstücksbuffet verzichtet, weil sie sich lieber ausschlafen will.
Die Titelgeschichte zeigt ähnliche Melancholien und Seher Cakir die 2008/2009 das Staatsstipendium erhielt, scheint eine starke Erzählstimme zu sein, die uns viel von den Identitätsschwierigkeiten der in Österreich aufgewachsenen in der Türkei geborenen jungen Frauen mitteilen kann, ihren Ängsten, Freuden, Hoffnungen, was die „reinen“ Österreicher vielleicht nicht so wissen und für das Zusammenleben und die geglückte Integration sehr wichtig ist, so daß ihr ein ähnlicher Senkrechtstart, wie ihn Julya Rabinovich gerade machte und Susanne Gregor vielleicht bevorsteht, zu wünschen ist.

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