Jetzt kommt wieder ein Fund aus dem Bücherschrank, nämlich Vicki Baums „Stud.chem. Helene Willfüer“, deren Bücher ich ja sammle und dieser mir völlig unbekannte Titel ist ja interessant, denkt man ja sofort, um was wird es da gehen oder „Na, die, wird ihr Studium nicht zu ende führen, denn da wird schon der Professor kommen…“
Vicki Baum war ja eine sehr bekannte, wenn auch nicht unbedingt literarisch anerkannte Schriftstellerin der Weimarer Republik.
„Hotel Shanghai“ und „Marion“ gabs gleich mehrfach im Bücherkasten meiner Eltern, den Goethe-Roman „Clarinda“ habe ich einmal bei einem Flohmarkt gefunden und „Stud.chem. Helene Willfüer“ lese ich bei Wikipedia ist der Roman mit dem Vicki Baum 1928 schlagartig berühmt geworden ist und er ist ein Beispiel der neuen Sachlichkeit. Das ist beim Lesen auch sofort zu bemerken. War ich ja vor kurzem bei der Präsentation eines neuen Zwischenkriegskanons, wo Evelyn Polt Herzl darauf hinwies und dieser Roman passt sofort in das Schema des neuen Zeitromans. Beginnt der doch im Zug, in der vierten Klasse, da fährt die Stud. Chem, in einem Abteil zwischen einer Mutter mit Baby, einem alten und einem jungen zahllos Schlafenden nach Frankfurt, kommt dort in die Lichtreklamen hinein, denkt dauern „durchgesetzt, durchgesetzt“ und überlegt am Bahnhof, wo sie umsteigen muß, ob sie sich ein Würstchen kaufen soll, hat sie doch seit zwei Tagen nichts gegessen. Sie tut es nicht, trifft sie doch ihren Professor und fährt mit ihm in die Universitätsstadt erster oder zweiter Klasse, er lädt sie dazu ein, hat er doch die Karte seiner Frau, die in Heidelberg geblieben ist und die ist eine berühmte Geigenkünstlerin, möchte aber eigentlich nichts von Prof Ambrosi und zuerst passiert auch gar nichts zwischen dem Professor und der Studentin, deren Vater gestorben ist und die es nun bei der Stiefmutter durchgesetzt hat, daß sie doch zu Ende studieren darf. Für ein Jahr reicht das Geld, dann muß die Dissertation fertig sein, sie ist einundzwanzig, lebt in einer Studentenbude mit einer Arcäologiestudentin, die vor lauter Wissen mit ihrer Dis nicht fertig wird, dann gibt es noch einen Max, dem sie etwas einpaukt und den cand med Fritz Rainer, der nur ungern Medizin studiert, weil er sich über alles Gedanken macht und sich dem Leben nicht gewachsen fühlt und der am liebsten Musiker werden würde, aber das erlaubt, der Vater, ein Landarzt nicht. Helene bekommt bald ein Kind von Rainer, obwohl sie sich doch ein bißchen in den Prof verliebt hat, die Studentische Gemeinschaft der Unistadt· die vielleicht Heidelberg ist, wird sehr kollegial geschildert, wie man sich das heutzutage gar nicht mehr vorstellen kann und Vicki Baum beschreibt auch die chemischen Experimente und das Leben mit seinen Schattenseiten sehr genau, da gibt es zum Beispiel einen an Krebs leidenden Buchhändler dessen Körperteile nach und nach amputiert werden und auch Helene, die eine sehr energische selbstbewußte Dame ist, Odyssee von einem Abtreiber und einer Hebamme zu nächsten wird sehr eindrucksvoll beschrieben. Sie läuft allen davon und beschließt mit dem elegischen Fritz Selbstmord zu betreiben, denn dessen Vater ist zu ihm gekommen, hat sich von ihm seine Krebsdiagnose stellen lassen und ihn dann damit erpreßt, daß er er fertigwerden und für die schwache Mutter und die drei jüngeren Geschwister sorgen muß, was dieser sich nicht zutraut, so besorgt er das Morphium, Helene die Punmpe und schreibt auch einen Abschiedsbrief, als es dann aber soweit ist, schlägt bei ihr die Lebenslust durch und sie steigt aus dem Fenster, während Rainer ernst macht. So kommt sie in Polizeigewahrsam, da Rainer aber Linkshändler war, klärt sich alles auf, Helene wechselt die Universität und hat nun die Wahl zu entscheiden, ob sie sechs Wochen vor der Geburt in ein Krankenhaus und sich dort den Medizinstudenten als Versuchskaninchen zur Verfügung stellen soll oder sich von einem Maler nackt als schwangere Madonna malen zu lassen, sie entscheidet sich für das letztere, schlägt sich mit dem kleinen Tintin als Laborantin durch, die Dissertation ist nach der Geburt fertig geworden, bis ihr Prof Ambrosius, den seine Frau verlassen hat und der und auch das ist knallhart erzählt, bei der Polizei den Suizid mit Zyankali als beste empfehlenswerte Methode preist und dann nach Hause geht, den Revolver nimmt und sich damit so zu erschoießen versucht, daß er blind überbleibt, eine Stelle als Assistentin bei einem Professor vermittelt, mit dem sie dann mittels Tierversuche ein Verjüngungspräparat entwickelt, mit dem sie berühmt und erfolgreich wird und am Schluß heiratet sie den Professor und alles wird vorläufig gut, zumindest ist der Roman hier zu Ende, die echte Helene, hätte ja dann bald wahrscheinlich emgrieren müssen und mir hat der Roman, das schreibe ich gleich sehr gut gefallen, weil ich mir ein realistisches Bild von dem Leben der Studenten der Zwanzigerjahre machen kann. Das Happyend stört mich nicht sehr, konnte das aber in einigen Rezensionen so lesen, die es gibt, weil es das Buch auch noch immer zu geben scheint und die Schilderungen des lebensmüden Rainers warum er nicht Arzt werden will, weil er die Menschen lieber in Ruhe sterben, als zu Tode operieren will, haben mich auch sehr beeindruckt, obwohl ich mir schon dachte, warum hat Helene nicht ihren Rainer geheiratet und hat versucht ihm das Leben als Landarzt ein bißchen zu erleichtern, aber das wäre das traditionelle Frauenbild und auch, daß sie bei dem versuchten Doppelselbst mord auskneift, weil sie ihre Lebenslust dabei entdeckit, habe ich als stark erzählt bekommen.
Ich habe ja noch einige unbekanntere Baum Romane stehen, die ich vielleicht lesen sollte, denn ich kann „Stud Chem Helene Willfüer“ wirklich allen nur empfehlen, auch wenn sich das studentische Leben inzwischen sehr geändert hat.
2012-12-01
Stud.chem. Helene Willfüer
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