Jetzt gibts wieder ein bißchen Verwirrung mit dem Namen, beziehungsweise mit dem Titelschutz, habe ich ja „Figuren“, aus der edition ch, die experimentellen lyrischen Texte von GAV-Mitglied Manuela Kurt, schon 2011 gelesen und dann vor Weihnachten vor einem Jahr im „Wortschatz“ den gleichnamigen Erzählband der 1961 in Kapfenberg geborenen und in der Schweiz als Ärztin lebenden Melitta Breznik, die die Lebensgefährtin von Norbert Gstrein ist oder war, gefunden.
Acht durchaus realistische Geschichten, die viel vom Lebensalltag einer Ärztin und menschlichen Problemen in einer poetisch schönen Sprache erzählen.
So berichtet in der ersten „Das Haus“ genannten, die Ich-Erzählung von dem über ihr lebenden Hausbesitzer. Sie hört ihn in seiner Wohnung herumgehen, poltern, kotzen, stöhnen und erinnert sich an ihre Studententage, in dem sie in dem Haus wohnte. Jetzt ist sie zu Besuch gekommen, sieht, daß es ihm schlecht geht, Lebensmittel und ihre alten Eislaufschuhe herumliegen, denkt an die Einladungen zum Essen, die er gern und oft ausgesprochen hat, dann viele Gänge kochte, die Zutaten sorgfältig auswählte, einen guten Wein aussuchte und irritert war, wenn man schon früher kam und ihn bei seinen Vorbereitungen störte, er hat dann alles in sich hineingeschaufelt und nachher auf der Toilette alles wieder herausgebrochen und Liebeskummer mit jungen Mitbewohnern oder Taxifahrern hatte er offenbar auch.
In der zweiten, der Titelgeschichte, ist die Ich-Erzählerin eine junge Ärztin, die einem Patienten an die Infusionslösungen der Chemotherapie anschließen soll, er erzählt ihr von seinen Kriegserfahrungen und am Boden liegt ein geschnitzten Figürchen mit einem grinsenden Greisengesicht, er erzählt ihr, daß er es für seinen Neffen schnitzen wollte, darauf vergessen hat und die Figuren jetzt ins Spital mitgenommen hat und das erste Figürchen hat er aus dem Krieg und der Krankenbaracke von seinem Bettnachbar, der vom Operationssaal nicht mehr zurückgekommen ist. Sie traucht dann noch mit dem Patienten, obwohl sie sich auf einer Lungenabteilung befinden, auf dem Balkon eine Zigarette, als sie nach Stunden wieder in sein Zimmer kommt, ist seine Hand kalt und das Fürchen liegt vergessen auf dem Boden, sie hebt es auf und steckt es in ihre Manteltsche, bevor die Putzfrau mit dem Besen kommt.
In „Dein Name“ wird die Psychiaterin zu einer Frau gerufen, die sich die Pulsadern aufschneiden wollte und den gleichen Namen, wie eine Schulkollegin hat, mit der sie als Studentin in einer WG wohnte, während die Studentin bei „Hannes“ mit einem Freund in den Ferien auf einer Alm arbeitet, um fünf Uhr früh die Kühe im Wald zusammensucht, ein paar Mal in der Woche ins Dorf fährt um die Post zu holen und Süßigkeiten einzukaufen und dabei die Briefe des offensichtlich an Aids erkrankten und zum Skelett abgemagerten Hannes liest, im ersten will er sie noch besuchen, der zweite ist schon die Todesanzeige. Sie wird nicht zum Begräbnis gehen, aber jetzt endlich ihr Blut untersuchen lassen und in „Die Spinnen“ ist die Ich-Erzählerin eine Frau, die ihre Trennung von einem Büchermenschen nicht verkraftet hat. Jetzt geht sie tagelang nicht aus dem Haus, das ganz allein renovierte, weil er für so etwas zu unpraktisch war, zieht das blaue Kleid an, das er ihr eingeredet hat und sieht überall Spinnen, von denen sie vermutet, daß sie von den Schachteln alter Bücher am Dachboden kommen, so daß sie sie aus dem Fenster wirft mit Benzin übergießt und als dann die Ambulanz mit den weißgekleideten Männern erscheint, ist sie beruhigt und sieht ihn hinter ihnen stehen.
„Die Frau“ wechselt dann die Perspektive, fährt da doch ein älterer Professor nach Paris, wo er als junger Mann stationiert war und ein Verhältnis zu einer jungen Studentin hatte, die trifft er dann wieder, auf der Psychiatrie, in der Klinik seines Nachfolgers, sie wird als unheilbar Kranke, die Jahre auf der Station verbrachte und alle Behandlungsmethoden mit oder ohne Narkose ausprobieren mußte, den Studenten vorsgestellt und schreibt immer noch unleserliche Briefe an den Geliebten in Österreich, die das Klinikpersonal längst in den Mistkübel wirft, der Professor hat sie nämlich nicht wie versprochen geholt, sondern reich geheiratet und sich vom Vater seiner Frau zum Professor machen lassen, das Bild mit der Uniform trägt er aber immer noch bei sich.
In das „Herz“ geht es in die Perspektive eines Patienten am OP-Tisch, der am offenen Herzen operiert wird, bevor es wieder in die Ich-Perspektive der Ärtzin geht, die sich an „Elsa“ aus der WG erinnert, eine Verkäuferin, die zu den Studenten und Künstlern zog und sie nicht aushielt, so daß es zu einigen Selbstmordversuchen kam.
„Melitta Breznik erzählt mit stilistischer Bravour acht Geschichten von Frauen und Männern, die sich alle auf ihre höchst eigene Art gegen die Zumutungen der Welt zur Wehr setzen“, schreiben die Neue Zürcher Zeitung und die Welt am Buchrücken.
Ich würde sagen, daß mir diese eindrucksvollen Geschichten, die sehr poetisch von etwas erzählen, was man sonst vielleicht nicht so leicht zu hören und sehen bekommt, sehr gefallen haben und als ich den ersten Luitpold Stern Preis gewonnen habe, habe ich mir von dem Buchgutschein, den ich bekommen habe, Norbert Gstreins „Selbstportrait mit einer Toten“ ausgesucht, wo ein wehleidiger Schriftsteller seiner Frau einer Ärztin, sein ganzen Leid an diesem Literaturbetrieb, ich glaube eine Jelinek ähnliche Figur kommt auch daran vor, klagt, während die an ihre verstorbene Patienten denkt.
Figuren
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