Literaturgefluester

Ein Mann wird älter

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„Senilita“, „Emilios Karneval“ oder eben „Ein Mann wird älter“, drei Titel für ein Buch, das 1898, wenn ich es richtig verstanden habe, auf eigene Kosten oder in Fortsetzungen in einer Zeitschrift erschienen und kein Erfolg geworden ist. Der Autor war Hector Aron Schmitz, genannt Ettore oder auch Italo Svevo, wie wir ihn wahrscheinlich besser kennen, 1861 – 1928, ein Kaufmann, der später die Fabrik der Schwiegereltern übernommen hat und geschrieben hat er natürlich auch, einige Romane, bis er in Triest lebend und Triest zu der literarischen Stadt, die wir heute kennen, machte, um Englisch zu lernen in die Berlitz School ging und James Joyce zumm Lehrer bekam, der den Schüler entsprechend zu fördern wußte, so daß das Buch, sprachlich überarbeitet, 1927, kurz vor Svevos Tod noch einmal herauskam und Italo Svevo inzwischen als der führende italienische Romanautor des zwanzigsten Jahrhunderts gilt.
Eine wahrhaft spannende Erfolgsgeschichte, die mir natürlich gefallen muß, so daß ich nach dem nächsten Sprachlehrer suchen, bzw. in dem Wissen, daß das im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert nichts bringt, nicht suchen werde, mich stattdessen lieber dem Roman widmen und das ist es mit dem Blick des einundzwanzigsten Jahrhundert und dem Wissen, wieviele Romane es schon gibt, daß jemand ein Buch Senilität nennt, wenn der Held, ein Taugenichts, Stritzi, Träumer, Bürger, etc im jugendlichen Alter von fünfunddreißig Jahren ist.
Aber älter wird der Emilio Brentani natürlich auch, so stimmt der Titel und Svevo hats ja auch „Emilios Karnveal“, nennen wollen, was ich deshalb weiß, weil dem rororo Taschenbuch, das ich in einem der Schränke gefunden habe, einige Nachworte, Erklärungen, Anhänge und Erläuterungen, darunter Svevos Vorwort zur zweiten Auflage, beigegeben sind, was ich auch ein bißchen erstaunlich finde, denn eigentlich ist es nicht so schwer zu verstehen, viel einfacher als Joyce zu lesen, würde ich einmal schätzen. Die Nichtliteraturwissenschaftlerin erkennt den Expressionismus im Stil und an Ulrich und Agathe würde ich bei Emilio und Amalia auch denken.
Von den Literaturwissenschaftlern wird das Buch natürlich mit James Joyce, Musil, den Buddenbrooks verglichen und Freud und seine Psychoanalyse wird auch öfter erwähnt, obwohl sich Svevo, glaube ich, davon distanhzierte und sagte, daß dessen Schriften, als er das Buch geschrieben hat, noch nicht erschienen waren.
Irgendwer vergleicht die Angiolina auch mit Arthur Schnitzerls süßem Mädeln. Da würde ich im Stil schon sehr große Unterschiede sehen und hätte mir den Inhalt auch ganz anders interpretiert.
Auch das Psychologische fällt mir nicht so sehr auf, vielleicht ist das der Blick der seit dreißig Jahren tätigen Verhaltenstherapeutin, die fast täglich mit den derzeit real existierenden Schwierigkeiten der Menschen konfrontiert ist, die Emilios Träume realistischer sieht und, um nicht mißverstanden zu werden, das Buch hat mir sehr gut gefallen und ich habe, als ich es in die Hände nahm, zwar den Namen Svevo gekannt, sonst hätte ich es nicht genommen, daß er aber schon 1928 gestorben ist, hatte ich, ich gebe es, zu keine Ahnung.
Nun denn, es gibt vier Hauptpersonen, ein Quartett in dem Städtchen an der Adria, in dem ich mit meiner Familie einmal zu Ostern auch ein paar Tage war, den fünfunddreißigjährigen Emilio, der einen Roman geschrieben hat und in einer Versicherungsgesellschaft, (wie weiland Frantisek Kafka?“) tätig war, aber sehr viel Zeit zu haben scheint. So flaniert er über den Corso, geht am Strand spazieren und verliebt sich unsterblich in die schöne Angiolina, in deren Gesicht es in allen Farben spielt. Er ist ein Bürger, sie könnte man sagen, ein Flittchen, ein leichtes Mädchen, eine Angehörige der bildungsferneren Schichten, eine Proleatrierin, aber sehr schön und leichtsinnig, eine die, wenn man Svevo glauben mag, ihren Körper sehr gern verkauft, mit den Männern spielt und im schönen Seidenkleidchen, HUt und Schirmchen, ect, die Promenaden entlangspaziert, obwohl sie und ihre Familie sehr ärmlich ist.
Es kommt auch gleich zu heißen Küßen zwischen ihr und Emilio, er besucht sie in ihrer ärmlichen Behausung, die Mutter, der Vater und die Schwester sind irgendwo immer da, bringt ihr Kuchen zum Frühstück, etc, aber heiraten kann er sie nicht. Das ist im strengen italienischen Ständestaat natürlich ausgeschlossen, so erfindet sie, die schon früher in Häusern von anderen Männern, als Verlobte oder Geliebte, sei dahingestellt, lebte, einen Ausweg, in dem sie sich mit einem Schneidermeister verlobt, was Emilio natürlich eifersüchtig macht.
Der dritte im Bunde ist der Maler Stefano Balli, ein ziemlich beherrschender Typ, der will Angiolina kennenlernen, geht daher mit ihr Emilio und noch einem anderen Mädchen essen, zwingt sie zu einem „Kälbermahl“, was zur Folge hat, daß Angiolina nun auch Balli hörig ist und Emilios Schwester, das häßliche, ältere Mädchen Amalia, das vorzüglich kocht, dem Bruder den Haushalt führt, ansonsten aber nur mit grauen Kleidern, wenn der Bruder sie mitnimmt, auf den Korso darf, sich auch in den schönen Mann verliebt, von ihm und ihrer Hochzeit träumt, etc.
Der Ton in dem das geschrieben ist, hat seinen Ruf verdient, ist unverwechselbar, amüsant und traurig, antiquiert und sozialkritisch, realistsch unrealistisch, alles zusammen und noch viel mehr.
Eine „Walküren“- Uraufführung kommt vor, die Svevo, wie ich den Anmerkungen entnehme, wirklich gesehen hat und auch Svevos Einstellung zum Sozialismus, die habe ich nicht ganz verstanden, ist mir aber auch eigentlich egal.
Emilio will Angiolina erziehen, kommt nicht von ihr los, mietet ihr ein Zimmer mit einem großen Bett und Schirmchen, wo sie sich vergnügen können, beschimpft sie ständig ob ihrer moralischen Verwerflichkeit, bietet sie Stefano als Modell an und erleidet Qualen der Eifersucht, als er sie mit einem Schirmhändler spazierengehen sieht.
Und das alles ist so grandios naiv, expressionistisch, symbolhaft oder wie auch immer geschildert, daß es einer Feministin gefällt, der dann der naiv träumende Emilio gar nicht so unsympathisch ist, wie er vielleicht sollte, der Stefano ist wahrscheinlich ein „Oarsch“ oder ein überheblicher Künstlertyp, wie ich ihn wahrscheinlich in Robert Schindels „Kalten“ ebenfalls finden werde, er verbringt aber die Nacht bei der sich in Fieberdelirien windenden Amalia, während Emilio zu seiner Angiolina geht, um sie zu verlassen und die arme Schwester, die der Bruder ständig heilen will und sich darüber aufregt, wenn sie mal in einem blauen, statt einem grauen Kleid auf den Korso geht, ist eine sehr beeindruckende Frau. Ich könnte mir vorstellen, daß die Italienerinnen zu Ende des vorvorigen Jahrhunderts wirklich solchen moralischen Erwartungsdruck ausgesetzt waren und die Angelina ist mir ebenfalls sehr sympahtisch, obwohl sie, sie geht am Ende des Buchs nach Wien, wahrscheinlich an einer Geschlechtskrankheit versterben wird, ein armer Teufel und sicher auch sehr ausgefuchst hinter den Ohren ist.
Ein interessantes Buch, des großen Italo Svevo, das ich eigentlich sehr einfach und verständlich fand und toll, daß es die Bücherkästen gibt, wo man seine literarischen Lücken auffüllen und immer wieder solche Schätze finden kann.

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