„Menschen im Hotel“ von Vicki Baum, einer der großen Berlin-Romane, die in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts geschrieben wurden, wie Kurt Bracharz in seinen Leseempfehlungen anführt und ein Buch aus dem offenen Bücherschrank, weil es, wie ich eigentlich angenommen hatte, nicht im Bücherkasten meiner Eltern war. Dort hat es zwar „Marion“ und „Hotel Shanghai“ gleich zweimal gegeben, die „Menschen im Hotel“, mit Heinz Rühmann erfolgreich verfilmt, zumindest lacht er vom Cover meines Ullstein-Büchleins aus dem Jahre 1985 und Vicki Baum hat, glaube ich, auch noch einen dritten Hotel-Roman geschrieben, der sich mit der NS-Zeit beschäftigt, den muß ich noch finden, einige andere Romane der Meisterschreiberin warten noch auf mich. Das der Roman der neuen Sachlichkeit zuzuordnen ist, weiß ich spätestens seit der neuen Kanon-Veranstaltung im November und es beginnt auch erstaunlich realistisch im Grand-Hotel.
Da telephoniert der Portier Senf nämlich mit dem Krankenhaus, seine Frau liegt in den Wehen oder wurde gerade dorthin gebracht, er hat aber Dienst und die Nachtschwester wird ihn später auch nicht hineinlassen, jetzt muß er dem Dr. Otternschlag, das ist ein Arzt und Kriegsveteran mit zerstörten Gesicht und einem Koffer Morphium im Kasten mit dem er sich jeden Abend heimdrehen will und es doch nicht schafft, Auskunft geben, ob Post für ihn gekommen sei oder jemand nach ihm fragte?
Das macht der Dauergast schon seit Jahren mehrmals täglich und nie kommt etwas für ihn. Jetzt kommt aber ein neuer Gast ins Grand-Hotel, nämlich der Buchhalter Kringelein, im Film vermutlich Heinz Rühmmann, aus Fredersdorf mit einem verbeulten Hut und einer Stulle und will ein Zimmer haben. Der Portier hat natürlich nichts für ihn frei, schließlich bekommt er aber doch was er will, denn er hat eine Todesdiagnose und will bis es soweit ist, noch was vom Leben haben und sein Geld, das er von irgendwo herbekommen hat, ausgeben.
Es kommt auch sein Chef, der Generaldirektor, der mit einer Chemnitzer Strickwarenfabrik füsionieren soll und die Grusinskaja, eine berühmteTänzerin, bricht ins Theater auf, obwohl die Vorstellung nicht mehr ausverkauft ist. Sie ist alt und müde und läßt ihre Perlen, die ihr bisher Glück brachten, im Hotel zurück, die dort ein Opfer des veramten Baron Gaigern, der sich als Fassadenkletterer betätigt, werden sollen.
Jetzt kommt glaube ich, die neue Sachlichkeit zum Tragen, Gaigern klettert nämlich die Fassade hinauf und kann das auch ungestört, wird das Hotel ja von großen Scheinwerfern beleuchtet, so daß man ihn von unten nicht sehen kann. Sein Pech ist nur, die Scheinwerfer fallen aus, als er mit den Perlen in der Tasche wieder hinunter will und so erwischt ihn die Tänzerin, die von der Vorstellung einfach abhaute und sich Veronal in die Teetasse rührt und das Unerhörte passiert, die beiden verlieben sich ineinander.
Gaigern steckt die Perlen wieder zurück und soll auf die Grusinskaja in Wien warten, also braucht er ein neues Opfer, das ist Kringelein, den führt er in Berlin herum, läßt ihn mit dem Flugzeug fliegen und im Spielcasino gewinnen.
Der Direktor hat sich inzwischen in das Flämmchen verschaut, das das das Berliner Pedant zu Schnitzerls süßen Mädel, nur eine, die wahrscheinlich einen Bubikopf hat, Nacktaufnahmen macht und sich ihre Chancen beim Film ausrechnet. Sie soll zuerst für den Direktor tippen, ihn dann nach London begleiten und als Gaigern, der auch Kringeleins Brieftasche wieder zurückgeben mußte, schließlich in sein Zimmer dringt, erschießt er ihn.
Das Flämmchen flüchtet zu Kringelein und dampft mit ihm ab, die Grusinskaja wartet in Wien vergeblich auf den Liebhaber, der Direktor wird verhaftet, weil keiner etwas Schlechten vom Baron glaubt und seine Frau, die empört nach Berlin kommt, wird sich wahrscheinlich scheiden lassen, während der Portier nach fünf schweren Tagen ein fünf Pfund schweres Töchterlein glücklich in die Arme schließen kann.
So war es in Berlin in den Neunzigzwanzigerjahren. Die Courths-Mahler hat auch sehr viel darüber geschrieben und die Flämmchens dabei moralischer oder verächtlicher geschildert. Der Ton ist erstaunlich lapidar und daher sehr spannend, wie der Reiz des Telephonierens, wo es noch Telephonisten und Fräuleins vom Amt gegeben hat, stattgefunden hat, zum Beispiel.
Die ganze Melancholie und Todessehnsucht, die Sinnlosigkeit von World War I ist sehr stark zu spüren. World War II ist dann etwas später gekommen, als Vicki Baum schon in Amerika war und danach die DDR und jetzt das neue hippe Leben in Berlin, das wahrscheinlich wieder ganz anders ist, von dem Ilma Rakusa kürzlich ja in der Hauptbücherei las.
Trotzdem kann einem das Schauern über der Ähnlichkeit zu jetzt, wo wir ja vielleicht in einer ähnlichen Krise und genauso berauscht auf einem Vulkan tanzen, wenn auch alles viel moderner ist, packen und ich kann das Buch, wo ich vor kurzem ein Frühwerk der Autorin gelesen habe, wirklich sehr empfehlen und freue mich auch auf die anderen Baum-Romane.
Menschen im Hotel
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