Literaturgefluester

Der Kalte

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Nun kommt der zweite, große Schlüßelroman von Robert Schindel zum Geschehen in Österreich nach und vor 1945, zwanzig oder mehr Jahre nach „Gebürtig“ von dem ich schon beim Sprachkunstabschlußfest 2012 und „Fest für Robert Schindel“ ein Stück daraus hörte und der mir wegen seiner Realistik sehr gefallen hat. „Gebürtig“ war ja vielleicht ein bißchen sehr abgehoben, experimentell und lyrisch, der Lyriker Robert Schindel ist aber wahrscheinlich auch hier zu erkennen, beziehungsweise hat er sich in dem Schriftsteller Paul Hirschfeld, der im Cafe Zartl sitzt und aus dem Fenster sieht, selbst ein Denkmal gesetzt. Die Verleger und auch alle anderen kommen auf ihn zu und drängen ihn doch endlich den großen Roman zu schreiben.
Robert Schindel hat zwanzig oder mehr Jahre dazu gebraucht, beziehungsweise hat er ein Kapitel davon schon kurz nach „Gebürtig“ in den „Manuskripten“ erscheinen lassen, der Roman ist aber erst im März erschienen, jetzt lese ich bei „buecher.at“, hat er dafür den „Johann Beer-Preis“ bekommen und ich habe sehr lang an dem über sechshundert Seiten Roman gelesen, der in der Kritik, bei einem realistischen und Schlüßelroman, kann es ja nicht anders sein, schlecht weggekommen ist und habe mir beim Lesen auch nicht sehr leicht getan, obwohl ich die Geschehnisse in Österreich und Wien zwischen 1985 und 1989 ja kenne und hautnah miterlebt habe.
Hauptfigur ist der Auschwitz-Überlebene Edmund Fraul, der „Kalte“, der keine Gefühle zeigen kann, sich deshalb seiner Frau Rosa, die auch in Auschwitz war, einige Herzinfarkte erleidet, ihren Edmund aber um Jahre überleben soll, entfremdet und mit seinen Sohn Karl oder Karel, warum das, schrieb Daniela Strigl in einer der Rezensionen, der sich jetzt am Burgtheater erprobt, gab es auch Probleme, denn Edmund hat von seinem Sohn immer Männlichkeit und Bewehren verlangt, so daß Karl zu trinken anfing und seine Freundin Margit, eine Turnusärztin in der Rudolfstiftung mit der Schauspielerin Astrid von Gehlen, mit der in „Macbeth“ spielt, betrog.
Erinnern wir uns, ab 1986 war Claus Peymann Burgtheaterdirektor, der angeblich „Chance“ nicht Wienerisch aussprechen konnte, im Buch heißt er Schönn und wer das Vorbild für Edmund Fraul ist, habe ich nicht so genau herausbefunden, Simon Wiesenthal wird es nicht sein oder doch, vielleicht gibt es auch keines. Thomas Bernhard heißt Raimund Muthesius und wird von Direktor Schönn zu dem Stück „Vom Balkon“ beauftragt, das am 1. Oktober 1989, im sogenannten Bedenkjahr uraufgeführt und zu einem Skandal wurde, denn da regiert ja in der Hofburg Johann Wais und der tritt im Buch, nicht in Wirklichkeit am 23. Dezember 1989 zurück. Kurt Waldheim hat seine Amtszeit ausgestanden und ist danach nicht mehr zur Präsidentenwahl angetreten, ob er am 14. März 2003 gestorben ist, kann ich auf Anhieb jetzt nicht sagen, Robert Schindel läßt das Johann Wais so tun und ich habe die Zeit um die Waldheim-Kanditatur 1986, wo auch der Reaktorunfall von Tschernobyl war, wird in dem Buch nur kurz gestreift, sehr intensiv erlebt. 1987 bin ich ja von der HNO-Klinik weg und in die Freiberuflichkeit gegangen und habe sehr viel, auch Politisches geschrieben „Zwischen Hütteldorf und Heiligenstadt“ beispielsweise, das sich auch mit Präsidentschaftskanditatur beschäftigt, 1986 bin ich bei der GAV nicht aufgenommen worden, 1987 habe ich es dann geschafft und da gab es eine „Anti-Waldheimlesung“ im NIG im Hörsaal 1, wo noch Jutta oder war es schon Julian Schutting, den greisen Hans Weigel auf das Podium führte und ich ein Stück aus der Erzählung las, das dann Milo Dor in einer Anthologie veröffentlichte.
Die Gründung des „Republikanischen Clubs“ zu dieser Zeit und das „Andere Österreich“, die Demonstrationen am Stephansplatz, wo ich bei einigen war, mit dem hölzernen Pferd von Alfred Hrdlika bzw. Herbert Krieglach kommen auch in dem Buch vor.
Herbert Krieglach ist ein sehr chauvinistischer Künstler, der an seinem Mahnmal an der Albertina arbeitet und der Kulturstadträtin bzw. Bürgermeister Purr seine seine Entwürfe nicht zeigen will. Er geht sehr schlecht mit seinen Frauen um, die erste heißt Emmy, als die im Estherhazypark einen Schlaganfall erleidet, findet er sehr bald n Ersatz für sie, die in ihre Rolle schlüpft und die er genauso schlecht, wie sie behandelt.
Ich mag ja Schlüßelromane und probiere mich selber immer wieder an ihnen aus und es ist auch sehr spannend, die Zeit, die man erlebte, als Roman zu lesen. Wie das einem Norddeutschen oder jemand in hundert Jahren damit geht, weiß ich nicht. Für die gibts aber ein dickes Glossar im Anhang, wo alle Wienerischen Worte erklärt werden. Alle davon habe ich auch nicht verstanden und denke, daß man man sie im realen Wien von 2013 nicht zu hören bekommt, das Glossarlesen habe ich ausgelassen.
Edmund Fraul geht jedenfalls viel in Wien spazieren und erlebt in seinen Alpträumen, die schreckliche Zeit in Auschwitz immer wieder nach. Am Donaukanal trifft er dann einen schon verurteilten KZ-Mann, spielt mit ihm Schach, läßt sich das Essen von ihm bezahlen und sich „echten Auschwitz-Geschichten“ erzählen. Als der vor seiner Haustür einen Autounfall hat, wartet Fraul, den Begräbniszug ab, um dort nicht den F-lern, Jörg Heider wird im Buch Jupp Toplitzer genannt und ehemaligen SS-lern zu begegnen, geht allein ans Grab und fängt dort zu weinen.
Ob die Psychologie so richtig ist, weiß ich nicht, finde es aber spannend, daß es Robert Schindel auch von dieser Seite beleuchtet, denn natürlich gibt es Verdrängung und Gefühlsabspaltung, wenn man so etwas erlebt hat und natürlich war das Wien 1985-1989 noch mehr von ehemaligen und jüngeren Nazis als heute, wo die schon alle gestorben sind oder wahrscheinlich nicht mehr so leichtfüßig den Donaukanal hinuntermarschieren können, bevölkert und man hat manches auch nicht so, wie heute gewußt.
Ein spannender Roman über die Waldheim-Zeit, von dem ich inzwischen auch glaube, daß ihm wahrscheinlich ein bißchen unrecht getan wurde, obwohl ich mit gegen ihm demonstrierte, Thomas Bernhards „Heldenplatz“, das Peymann-Burgtheater etc.
Robert Schindel setzt es in einer Handlung an, so gibt es einen jungen Keyntz, das ist der Sohn eines berühmten Kammersängers, der gerade maturiert und dessen Freundin Dolly, als Waldheim die Wahl gewinnt, mit ihren Eltern nach Israel emigriert, seine Schwester ist jene Margit, die sich umbringt, als Karl Fraul sie betrügt.
Ob das realistische oder erfundene Handlungen sind, weiß ich nicht, das Buch ist aber spannend, wenn auch ein wenig langatmig zu lesen und ich denke, daß Paul Hirschfeld alias Robert Schindel, ein großartiger, wenn auch ein etwas derberer, als ich es beispielsweise tun würde, Roman über die zweite Republik und das Wien der Achtzigerjahren gelungen ist, den ich sehr gern und auch sehr lang gelesen habe, was meine Leseliste leider durcheinanderbringen wird.

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