Nach Joseph Roth und vor und nach Egon Erwin Kisch, geht es weiter mit Elisabeth Freundlichs Roman „Der Seelenvogel“, über ihren Großvater Heinrich Lanzer, der ihren Eltern gewidmet ist und den man heute wahrscheinlich „Memoir“ nennen würde und sie selbst als „Chronik“ bezeichnet.
1986 ist er erschienen und beginnt mit einem Prolog, beziehungsweise der Erklärung des Namens, ist der „Seelenvogel“ doch einer, der sich am Totenbett befindet und dessen Schnabel in die Richtung weißt, in welche Richtung die Seele heimkehren soll und es ist auch Verpflichtung der Juden ihre Vorfahren zu begraben. Elisabeth Freundlich konnte das nicht und so hat sie es mit diesem Buch versucht, das auch vom Bücherschrank stammt.
Ich bin nicht ganz sicher, ob ich nicht bei einer Lesung, der 1906 in Wien Geborenen, die 1938 emigrieren mußte und 1950 mit ihrem Mann Günter Anders nach Wien zurückkam, in der „Gesellschaft für Literatur“ war.
2001 ist sie gestorben, da war ich, glaube ich, bei einer Lesung, die, die „Kramer-Gesellschaft“ im Republikanischen Club“ organisierte und Ruth Aspöck, hat, glaube ich, vor zwei Jahren, eine „Lesetheater-Aufführung“ eines ihrer Stücke gemacht.
Im ersten Teil schildert sie auf eine, wie ich finde sehr humorvolle, ironische Art, die Erinnerungen des kleinen Mädchens an die Tante Romanca und den Onkel Ricardo, bei einem Sommeraufenthalt in Triest, schildert die kleine blonde Cousine Gemma, die nach „Gelati“ ruft und auch die Naivität des Bürgermädchens, die der Cousine erklärt, daß man nicht mit den Händen sprechen soll, weil man das nur die Juden tun.
Zwanzig Jahre später, 1934, besucht sie Tante Lotti, die Schwester ihres Großvaters, die fast hundert ist, immer noch von ihrem längst verstorbenen Gatten Anton spricht, die in ihrer Jugend Geigerin in einer Damenkapelle war und in dem Ort, wo sie ihr Ausgedinge hatte, alle verblüffte, als sie zu Allerseelen mit einem Sarg, einem Knecht und einem Handwagen am Friedhof auftauchte, um die Gebeine ihres Seeligen in den neuen Friedhof, wie vereinbart, zu verlegen.
Dann geht es in das vorvorige Jahrhundert, wo Heinricht Lanzer, der, weil mittellos, zwölf Jahre beim Militär dienen mußte, nach Wien zurückkehrt und seine Schwester sucht.Er ist Schloßer, will auch als solcher wieder arbeiten, die reichen Verwandten, vermitteln ihn aber eine Stelle beim Geschäftsmann Joseph Segal, wo er zuerst Gehilfe wird, dann dessen Schützling Rosalie heiratet, mit ihr ein kleines Fleischergeschäft in Simmering führt und es schließlich bis zum Prokuristen schafft.
So wird zuerst ein Dienstmädchen, später eine böhmische Köchin und als die Kinderschar, vier Mädchen und zwei Buben, neben einigen Fehlgeburten, zu groß wurde, auch eine Gouvernante angeschafft, denn die Mädchen sollten ja Franhzösisch sprechen und Klavier spielen können, um sich gut zu verheiraten, wenn schon keine große Mitgift vorhanden wäre, Heinrich fügt sich widerstrebend, auch daß Rosalie den jüdischen Glauben einzuführen versucht, nimmt er brummend hin, flieht auf Geschäftsreisen nach Pressburg, um dort mit der Choristin Piruska in Konditoreien zu gehen und vom großen Glück zu träumen.
Als dann in Ringtheater brennt, kehrt er von Schuldgefühlen geplagt nach Wien zurück, denn dort hat er mit Rasalie ja den zehnten Hochzeitstag feiern wollen, dann aus „geschäftlichen Gründen“ abgesagt, sie wird doch nicht verbrannt sein.
Nein, denn die sparsame Hausfrau, man durfte sich am Tisch nie böhmisch-jüdischen Speisen nachzuckern, hat die Karten zurückgegeben und so geht das Ehepaar in ein Restaurant essen, Mademoiselle speist mit den Kindern allein am Tisch und die dürfen dann mal auch nachzuckern und neun Montate später, wird das sechste Kind, Elisabeth Freundlichs Mutter geboren und die Famlie zieht in eine größere Wohnung.
Im dritten Teil „Die Kinder“ wachsen diese heran, mit Klavierspiel im „Eissalon“, denn man ist ja sehr sparsam und weiß auch nicht genau, wieviel Obst die Kinder essen soll. Aber der kleine Edi soll aufs Gymnasium, aufgeregt führt ihn der Vater dorthin, hat auch schon die Visitenkarten Stud.gym., obwohl es in der der sparsamen Familie ja keine Geschenke gibt, vorbereitet, aber der musische Edi freut sich auch gar nicht darüber, da’er aufgenommen wurde, er will lieber Klavier spielen und bringt Jahr für Jahr seinem enttäuschten Vater ein sehr schlechtes Zeugnis nach Haus, so daß die Familie mit den größeren Kindern, zu einer Landpartie nach Gänserndorf aufbricht, denn dort hat eine Verwandte die Bahngastwirtschaft und auch drei Buben, die alle Musterschüler sind, der Jakob, der verdeutscht nur „Tschagl“ genannt wird, ist sogar Primus, aber er hat radikale Ansichten. legt dem Vater und den Cousin ein utopiosches Buch vor, das vom vier Stunden Arbeitstag schwärmt, der Anton ist noch für den Kampf um den elf Stundentag eingesperrt und später anemstiert worden. Inzwischen hat manh den zehnten, soll später für den acht Stunden Tag kämpfen, die Familie geht nach Guttenbrunn auf Sommerfrisch, weil die kleine Camilla kränkelt und der jüdische Hausarzt, der fast der Schwager und der Freund des Heinrich ist, das empfiehlt.
Die Töchter müßen, der Edi hat seine Matura geschafft, studiert Jus und wird später im Feld des ersten Weltkriegs fallen, verheiratet werden, die Lina, die nächtelang Liebesroman liest, die Roncza, Heinrichs Lieblingstochter, die ihn an seine Schwester erinnert und die ihm in der früheren Wohnung aus dem Gasthaus immer das Bier und das Viertel holen mußte, bis Mademoiselle das unschicklich nennt, heute ist das, glaube ich, verboten und das Buch geht in das Finale, als Valerie, Elisabeth Freundlichs Mutter, die demr Widmung zu entnehmen offenbar in Wahrheit Olga hieß, dieSängerin werden wollte, hetzt verspätet in die Schule, hat ihr doch das Fräulein noch den Kakao aufgezwungen, hoffentlich versäumt sie nicht das Morgenlied?
Keine Sorge, denn „Guten Morgen, liebe Kinder, heute beten wir das Vater unser“, begrüßt das Fräulein Lehrerin die dreißig stramm stehenden Mädchen.
„Es müssen nur die christlichen Kinder mitbeten!“ und dafür werden sie auch von den mosaischen getrennt. Lueger hat die Wahl gewonnen und auf den letzten Seiten will Heinrich zu seinen Stammtisch ins Kaffeehaus gehen, resumiert dabei sein Leben und als er beim Maronibrater um einen Gulden solche verlangt, bricht er tot zusammen und hat sowohl den ersten als auch den zweiten Weltkrieg und einen Tod in Auschwitz verpasst.
Mit sehr eindringlichen dichten Worten erzählt elisabeth Freundlich ihre Familiengeschichte und es steht einem dabei das Wien der letzten Jahrzehnte des Neunzehntenjahrhunderts sehr deutlich vor den Augen. Die Lavendlfrauen und die Scherenschleifer tauchen auf und noch vieles andere und so kann ich das Buch, jeden der es bekommen kann, ich weiß nicht ob es vergriffen ist, wirklich nur empfehlen.
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