Literaturgefluester

Ich bin Linus

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„Wie ich der Mann wurde, der ich immer schon war“, steht auf dem „Rowohlt-Polaris-Bach“ und auf dem Cover ist ein Kaffeeebecher mit diesen Namenszug zu sehen und das ist wohl der Ausgangspunkt für Linus Gieses-, dessen Blog „Buzzaldrin“ ich seit Jahren verfolge und noch immer gern hineinschaue, dadurch auch zum Buchpreisbloggen kam und einmal eine Schachtel Bücher gewonnen habe, von denen ich, glaube ich, immer noch drei lesen muß, – Coming-out, denn am 4. Oktober 2017 ist er in Frankfurt zu Starbucks gegangen und hat den Barmann auf die Frage welchen Namen er auf den Becher schreiben soll, „Linus“ geantwortet.

Das Bild wurde dann auch auf dem Facebook-Profil gezeigt und 2018 glaube ich, als ich das letzte mal in Leipzig war, gab es dort auch einen Bloggertag, wo er seine Geschichte erzählte.

Es gab einige Fachartikeln und nun das Buch zu dem Coming-out, das ich nicht nur, weil ich ja viel auf dem Blog kommentierte, lesen wollte. Ich habe mich ja auch mit dem Thema in „Paul und Paula“ auseinandergesetzt, Bücher darüber gelesen und Videos gesehen, weil es ja auch ein Thema ist, das derzeit viele beschäftigt.

Die Frage wieviele Geschlechter und, daß es es mehr, als zwei, was viele nicht glauben wollen, gibt und wie man beispielsweise mit den Gendern und den neuen Toilettenformen umgeht?

Diesbezüglich ist das Buch sehr informativ, offen manchmal fast ein wenig aggressiv, denn Giese fordert viel von den sogenannten cis-Menschen und ich muß gestehen, daß mir dieser Ausdruck fremd war und ich vielleicht auch nicht unbedingt in eine Schublade gesteckt werden möchte, in der man sich ich so und so verhalten muß.

Mit dem Starbucks Erlebnis fängt es jedenfalls an, dann erzählt Linus Giese, daß er sich, als er vor jetzt schon fünfunddreißig Jahren geboren wurde, sich nie in seinen Körper wohl gefühlt hatte, sich lange für eine lesbische Frau hielt und sich auch lang nicht zu outen traute.

Dann, im Oktober 2017 begann die Transition. Er ließ sich von einer Künstlerin malen, die sich mit trans Menschen beschäftigt. Es wird auch erklärt, warum man „trans“ nicht groß schreiben darf und, daß es verletzend ist, trans Menschen nach ihren früheren, den sogenannten „Deadname“ zu fragen.

Das fällt mir zugegebnermaßen wahrscheinlich genauso schwer, wie jemanden nicht zu fragen woher er kommt?

Es werden aber auch, wie schon erwähnt, einige mir bisher nicht so bekannte Begriffe, wie „Mikrodysphorie“ oder „Mikroaggressionen“ erklärt und, daß man mit Sprache sehr vorsichtig umgehen soll, um nicht die Gefühle anderer zu verletzen.

Das erscheint mir, die ich ja auch im Internet wegen meiner Schreibweise manchmal beschimpft werde, sehr verständlich, will ich ja auch so angenommen werden, wie ich bin.

Sprache ist aber etwas, was sich sehr verändern kann und ich habe, das gebe ich ebenfalls zu, auch in anderen Bereichen oft ein Problem mit den vielen englischen Ausdrücken, die da plötzlich auf eine hinüberschwappen und frage mich oft, warum man das nicht auch Deutsch ausdrücken kann? Linus Giese, der gern geblümten Jacken trägt und sich einen Bart wachsen läßt, schildert dann seinen Weg der Namensänderung, erklärt, was ein Penisaufbau und eine Mastektomie ist, daß er einen Binder benützt, wie wichtig die Testoststeronbhandlung für ihn ist, welche Schwierigkeiten es dabei gibt und warum er eigentlich gar nicht so viel erklären will und man lieber im Internet nachschauen sollte, wenn man etwas über trans Menschen wissen möchte, weil die nicht zu Erklärungen verpflichtet sind.

Es werden, die Gefühlen beschrieben, wie es war, das erste Mal in einer Herrenabteilung zu stehen, aber auch der Weg, den eigenen Kleidungsgungsstil, beispielsweise die bunten Jacken und die eigene Sexualität zu finden, sich nicht benützen zu lassen, nein zu sagen, etcetera.

Sehr spannend fand ich die Stelle, wo von „Brad“ geschrieben wird, mit dem er sehr viel Spaß hat, mit dem er seit zwei Monaten zusammenlebt und ihn in einen Onlineaktionshaus gefunden hat, weil Brad ein Vibrator ist.

Linus Giese, der Germanistik studierte und als Buchhändler arbeitete, berichtet von der Freude, als ihm eine Chefin, als er noch nicht seinen neuen Namen offiziell trug, fragte, ob er schon als „Linus“ angestellt werden wolle, während es mit einer anderen Buchhandlung Schwierigkeiten gab und es sogar zu einer Kündigung kam, weil sich die Buchhändlerin dadurch bedroht fühlte, weil Linus Giese gestalkt wurde und sie durch ihn zu schlechten Bewertungen kam.

Es gab einige Verfolgungen und Bedrohungen, die große Angst auslösten, zum Beispiel sind Erdbeeren, was ich auch nicht wußte, ein Bedrohungsssymbol „Wir sind hier und wissen, wo du bist!“ und eines Tages stand am Kassenpult, eine Erdbeerschachtel, die eine Kundin vergessen hatte und sehr beeindruckend war für mich auch das letzte Kapitel.

Da war es schon März 2020, die Pandemie ist ausgebrochen, Linus Giese sitzt am Fenster, kann wegen des Lockdown nicht hinaus, Operationen, Behandlungen, Therapien wurden abgesagt und spannend für mich war zu lesen, daß dadurch, daß Betten für Menschen, die, wie wir inzwischen wissen, ohnehin leergestanden sind, freigehalten wurden, nicht nur Herzinfarkte und Krebskranke, sondern auch trans Menschen ihre Behandlungen nicht bekommen haben und, wie Linus Giese schreibt, offenbar auch ein größereres Risiko haben, an Corona zu erkranken.

Ein interessantes Buch, das zum Nachdenken anregt und sehr zu empfehlen ist, auch wenn man nachher, wie beispielsweise ich, mit Fragen zurückbleibt und ich mir auch einige Fragezeichen in das Buch hineingeschrieben habe und auch nicht sicher bin, ob ein Mann wirklich schwanger werden oder eine Vagina haben kann und möchte das auch nicht glauben oder sagen müssen.

Aber natürlich ist Solidarität und das gegenseitiges Verständnis, das sich Linus Giese wünscht, um seinen Weg zu gehen, sehr wichtig und auch das Wissen darüber, daß man sich in seinen Körper, sowohl wohl als auch unwohl fühlen kann und das Ziel ist sicher auch, daß jeder so leben kann, wie er oder sie es möchte.

Ob man dazu unbedingt Testosteron oder Ops braucht, die ja schwere körperliche Eingriff sind, glaube ich auch nicht wirklich.

Aber Kinder sollten natürlich, die Art von Kleidern tragen und mit den Spielzeugen spielen dürfen, die sie wollen und nicht in ein Geschlecht hingetrimmt werden und finde es auch spannend, daß Linus Giese sehr oft das Wort „entscheiden“ verwendet.

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