Zögern tut der Schönheit immer gut
Donald Richie beschreibt westlichen Lesern einen „Versuch über die japanische Ästhetik“
Von Kai Sammet
Hinterm berch wohnat ach leit, meinte, glaube ich, Sepp Herberger. Schon. Aber was machen die? Was denken die? Die angenehme Fremdheit, die ich beim Lesen japanischer Literatur empfinde, enthält ein Moment von Unruhe, Unbehagen. Zumindest mich in meinem Fremdheitsgefühl würde ich gerne besser verstehen. Am Ende der Lektüre von Donald Richies Versuch, westlichen Lesern das Spezifische der japanischen Ästhetik zu vermitteln, hatte ich zumindest einen Einfall. Ich muss mehr japanische Autoren, falsch: Autorinnen, lesen, denn dann, gaaanz sicher, verstehe ich das alles besser. Nur so ne Ahnung.
Richies Buch fängt eigentlich gut an, er ist durch seine Biographie prädestiniert, uns Westlern einen zu verklickern: Geboren 1924 in Ohio, kam er 1946 als GI nach Japan, wo er mit Unterbrechungen den Rest seines Lebens verbrachte.
Die Konventionen des westlichen Denkens – „Gliederung, logisches Fortschreiten, Argumentation, Symmetrie“ – drängten einem Thema „etwas auf, das ihm nicht eigen ist“. Die östliche Ästhetik gehe „davon aus, dass jede gegliederte Struktur forciert, dass eine logische Erörterung verfälscht und dass lineare, konsekutive Argumente nur einschränken“. Man könne die japanische Ästhetik am ehesten mittels eines
Assoziationsnetzes definieren, das sich zusammenfügt aus intuitiv verknüpften Auflistungen und Notizen, das einen Hintergrund erschafft, vor dem das Thema überhaupt erst sichtbar wird. Daher der japanische Gebrauch von Gegenüberstellungen, Montagen und Bricolagen
Aber ist das denn in der europäischen Moderne nicht ähnlich? Und: Schaut man logisch-analytisch auf ein Kunstwerk?
Japanische Autoren schätzten „das Zögerliche“ (und das kann für das Erkennen von Schönheit nur gut sein, es braucht Zeit), er, Richie, wolle einen Zuihitsu, in etwa: einen „Essay“ schreiben. Genau heißt das: „dem Pinsel folgen, ihm zu führen erlauben“. Aber folgt das automatische Schreiben der Surrealisten nicht dem Pinsel im Hirn? Und sagt nicht Michael Hamburger, der deutsch-britische Lyriker: Poems know better? Sicher mag es im Westen striktere Grenzen und Dichotomien (Schönheit vs. Wahrheit; Körper vs. Geist, Selbst vs Gruppe) geben – aber schätzt man bei uns eher das Resultat als den Prozess? Was ist mit dem Faible der Romantik für das Fragment? Was mit dem Faszinosum, das von Benjamins großem Steinbruch, dem Passagenwerk, ausgeht?
Anschließend umschreibt Richie die Besonderheit der japanischen Ästhetik. Schönheit ist nicht – Kant – interesseloses Wohlgefallen, vielmehr führt ein gesunder Verstand zu einem gesunden Geschmack, es geht oft um nützliche, alltägliche Dinge, die einfache Schönheit der Natur, die aber nicht mimetisch abgebildet, sondern in ihrem Sosein angedeutet wird. In der westlichen Ästhetik gehe es um Theorien der Kunst, in der japanischen um Theorien des Geschmacks. Was schön ist, hänge vom sozialen Konsens ab. Kunst und Ästhetik wurden in Japan von der Aristokratie entwickelt: Distinktionsgewinne – war das im Westen anders?
Es folgt die Um- und Beschreibung einiger wichtiger Begrifflichkeiten für Schönheit. Furyu, das sind zuerst „gute Manieren“, später ästhetisch aufgeladen: „vornehme Umgangsformen als Ausdruck von gutem Geschmack und Eleganz“, aber bitte zurückhaltend, sonst wäre es protzig.
Ein weiterer wichtiger Ausdruck ist shibui, ursprünglich „herb, trocken“ (Gegensatz: amai: süß), eine herbe Eleganz, auch das Verwenden „dezenter Farben, einfacher Muster“. Shibui kann auch ein Baseballspieler sein, der nicht spektakulär agiert, sondern unauffällig zum Spiel beiträgt.
Bei sabi geht es um die Zeit, deren Auswirkungen. Der Begriff geht zurück auf „erblassen“, auch auf ein Nomen, das „Ödnis“ bedeutet, „rostig“ oder „alt werden“. Sabi bezieht sich auf „Szenen, die trostlos und einsam waren“, Schönheit in trister Einsamkeit. Die Liste der Wörter und Richies Umkreisen ließen sich fortsetzen. Hier hilft das vom Übersetzer und Herausgeber beigefügte Glossar.
Hat mir Richie geholfen, die japanische Ästhetik besser zu verstehen? Ja und nein. Ich ahne einiges, verstehe aber nicht wirklich.
Ein Ausdruck allerdings könnte ein Ariadnefaden werden. Schön kann sein: yasashi, ehedem: „angenehm schüchtern“, das meinte „später eine weiche (und feminine) Schönheit“. Frauen sind also schüchtern und weich? Diese Stereotype sind EuropäerInnen nicht fremd. Und jetzt sind wir bei den Autorinnen. Wenn mir beim Lesen japanischer Romane etwas auffiel (neben einem diffusen Gefühl von etwas mir schwer Zugänglichem, so zum Beispiel in Takashi Hiraides Roman Der Gast im Garten, in Natsume Sosekis Bergmann oder bei Ryonosuke Agutagawa), dann das für mich noch unverständlichere Verhältnis zwischen Männern und Frauen – yasashi könnte da ein Zipfel sein, den ich mir schnappe, um über die Interaktion von Menschen hinterm berch irgendwie besser verstehen zu lernen.
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