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Wiglaf Drostes letzter Gedichtband

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 15. Mai des vergangenen Jahres starb Wiglaf Droste. Wirklich überraschend war das nicht, denn wer den 1961 Geborenen in den letzten Jahren erlebte, traf nicht mehr auf den lebensprallen, „singenden Hammerhai“, wie ihn der auch viel zu früh gestorbene Harry Rowohlt nannte, sondern einen dürr und klapprig gewordenen Mann, krank und vor der Zeit gealtert. Drostes Bühnenperformance wirkte nur noch matt, ja erloschen. Der Schärfe dessen, was er schrieb, tat das keinen Abbruch. Drostes Tod war ein echter Verlust für die deutsche Literatur. Mit seinen sprachkritischen Kolumnen und seinen kompromisslosen Polemiken musste man nicht einverstanden sein. Tatsächlich liebte er die Provokation, gerade auch unter Linken, weshalb er sich nicht weniger als dreimal mit der Redaktion der taz überwarf, für die er schrieb. Unumstritten waren dagegen seine sprachliche Virtuosität und sein Gespür für Pointen.

Weniger Resonanz haben Drostes Gedichte gefunden, die er immer mal wieder in seine Prosabände einstreute und in eigenen Sammlungen zusammenfasste. Nach nutzt gar nichts, es ist liebe (2005) und Wasabi dir nur getan? (2015) ist nun Tisch und Bett im Münchner Kunstmann Verlag erschienen, die dritte und umfangreichste Sammlung von Drostes Lyrik, an deren Zusammenstellung er selbst noch mitgearbeitet hat. Wie auch in den beiden vorigen Bänden beeindruckt die enorme thematische Bandbreite. Der Übersichtlichkeit halber ist das Buch in elf Kapitel geteilt, die für sich locker geordnete Themenkreise bilden. Da gibt es Gedichte über die Liebe, die Politik, die Gärtnerei, Medizin und Tod. Auch Lobgesänge und Nachrufe auf zu früh Verstorbene wie Peter Hacks und eben Harry Rowohlt sind dabei.

Formal ist das alles andere als experimentell: Droste liebt den Reim, ist geschult nicht an der Gegenwartslyrik, sondern an Kästner, Tucholsky, Hacks und vielleicht noch F.W. Bernstein; auf die letzteren beiden gibt es folgerichtig eigene Hymnen. Drostes Gedichte leben von Formbeherrschung und Witz, wie sein Poem über einen typischen „Ort der deutschen Sehnsucht“: „Was ich noch zu sagen hätte, / das heißt Autobahnraststätte / und ein ‚Sanifair‘ im Stehn…“ Einzelnes grenzt auch an Kitsch, wie die Hymne auf seine Heimat Ostwestfalen, „wo ich wechkomm“, geschrieben auf die Melodie und als Kontrafaktur zu Tom Pettys Southern Accents. Bei Lichte besehen ist das aber auch nicht sentimentaler als das Original. Oder als Gerhard Gundermann, der die Bagger der Lausitz besingt. Umso gelungener und aktueller seine Abrechnung mit dem Gesundheitssystem: „Und das Personal, gehetzt, / Wiegelt ab: ‚Nicht jetzt, nicht jetzt!‘ / Sklavenarbeit, medizinisch, / Kann nicht klappen, das ist zynisch.“ Und sein Selbstverständnis bringt Droste vielleicht nirgendwo schöner auf den Punkt als hier: „Dem HERRn, wer der auch immer sei, / sei gern die Dings, ääh … Rache. / Ich bin nicht ganz so anspruchsfrei / und sag: Mein ist die Sprache.“

Neu ist der existenzielle Ton, der sich in manche Texte mischt. Das zeigt eines der gelungensten Gedichte im Band, das lange und anfangs ungewohnt ernste Im Freudhaus, Berggasse 19, Wien, in dem Droste beschreibt, wie er mit seinem Sohn durch das Museum geht, unerwartet Ton Steine Scherben zitierend: „eine sensationelle Zivilisierungserfahrung / und auf einmal, intuitiv, verstehst du die Botschaft: / Ich bin über zehntausend Jahre alt und mein Name ist Mensch. / Alle Neurosen verwandeln sich in die Rosen, die sie sind, / und siehe: was für ein prachtvoll knospender Strauß.“ Oder im anrührenden Mein Freund Hein, in dem das lyrische Ich schon seinen Frieden mit dem Tod gemacht hat. Unmöglich, das nicht autobiographisch zu lesen:

Hast du’s auch schon auf der Pumpe, mein Freund Hein?
Ach, das ist doch schnurz und wumpe, lieber Hein!
Was die Leute sich erzählen,
wenn wir beide uns vermählen,
ist mir so egal, wie’s dir ist, mein Freund Hein.

Ja, das ist uns beiden gleich, mein Freund Hein.
Ob lebendig oder Leich, mein Freund Hein.
Macht es uns auch kreidebleich,
so macht’s uns doch beide gleich,
gleich und frei und brüderlich, mein lieber Hein!

Tisch und Bett ist ein würdiger Abschluss für Drostes Lyrik. Wie wünschte man sich, der Mann würde ein Spottgedicht auf Corona schreiben und das Virus feierlich „vertschüssen“. Wiglaf Droste fehlt. Echt jetzt.

Titelbild

Wiglaf Droste: Tisch und Bett. Gedichte.
Verlag Antje Kunstmann, München 2020.
240 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783956143564

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