Wo ist das Leben?
Amy Homes verpackt in „Deine Mutter war ein Fisch“ unsere schöne neue Welt in lauter nette Horrorgeschichten
Von Nora Eckert
Schon 1990 hätte sich mit ihrem ersten Erzählband Die Verlässlichkeit der Dinge die Gelegenheit geboten, die in New York lebende Schriftstellerin Amy Homes als grandiose Erzählerin kennenzulernen. Oder 2006, als ihr Roman Dieses Buch wird Ihr Leben retten erschien, der ihr einen großen Publikumserfolg bescherte. Mit dem neuesten Erzählband hat es endlich geklappt. Was jetzt noch kommt, werde ich wohl nicht mehr versäumen. Obschon ich jenen Menschen, über die Homes sonderbare Geschichten weiß, im Alltag lieber nicht begegnen möchte, üben sie eine unheimliche Anziehungskraft aus, unheimlich deshalb, weil es eben alles andere als sympathische Charaktere sind. Aber sind das überhaupt Charaktere oder vielleicht eher menschliche Hohlformen, vollgestopft mit lauter Lifestyle-Ideologie, die Individualität nur behauptet? Hinzu kommt, wie die Autorin erzählt, also ihr Stil. Ihre Geschichten sind Vivisektionen. Homes seziert im emotionslosen Tonfall eines feinsäuberlich registrierenden Protokolls.
Im Original heißt der Band mit Erzählungen Days of Awe. Mit Blick auf den Inhalt der Erzählungen dürfte er besser gewählt sein als der deutsche Titel. In beiden Fällen handelt es sich um Überschriften von Erzählungen, wobei Deine Mutter war ein Fisch einen ausgesprochen surrealen Plot enthält, was auf die übrigen Geschichten weniger zutrifft. Dennoch genießt Surreales bei Homes ein literarisches Heimatrecht und ist insofern als Wegweiser auch nicht ganz verkehrt. Wahrscheinlich dürfte die Anspielung des Originaltitels auf die für das jüdische Leben bedeutsamen „Zehn Tage der Buße“ bei uns eher ins Leere gehen. Sie heißen auch „Tage der Ehrfurcht“ und geben den Gläubigen Gelegenheit, für verübtes Unrecht um Vergebung zu bitten, sich zu bessern, verbunden mit der Hoffnung, das göttliche Urteil über einen möge sich dadurch korrigieren lassen. Die Figuren, die bei Homes auftreten, haben alle mehr oder weniger Grund, bußfertig und ehrfürchtig zu sein. Doch sieht es nicht so aus, als käme für sie eine Umkehr wirklich in Frage, denn dafür brauchten sie erst einmal einen Begriff von der Idiotie ihres Alltags. Das klingt hoffnungslos. Aber brauchen Solipsisten überhaupt Hoffnung, da sie ohnehin in sich kreisen als Zentrum ihrer eigenen Welt? Verstörend wirkt, wie leicht und zugleich verbissen sie ihre Fiktionen als Realität in Szene setzen.
Bei Homes beginnen Horrorgeschichten beispielsweise so: Ein Mann und eine Frau liegen im Bett und die Frau fragt: „Du willst mir doch irgendwas nicht sagen“, worauf der Mann schweigt und sie nachhakt. „Ich bin ja nicht blöd […] Du willst, dass ich es sage.“ Ehegeschichten sind oft Anleitungen zum Psychoterror, und während sonst die Sprache dem Menschen als Mittel der Verständigung dient, ist sie in Beziehungskisten nicht selten der Antrieb, sich in immer abenteuerlichere Spiralen des Missverstehens hochzuschrauben. Sie ist davon überzeugt, er wolle ihr nicht sagen, dass er sie nie geliebt habe. Weil ja Männer doch nur Typen seien, „die zwar einen hoch-, aber kein Wort rauskrieg[en]“. Die Nacht vergeht, das Frühstück kommt und die Vorwürfe gehen weiter, die nächste Nacht kommt. Er, von Beruf Psychiater, antwortet auf „Du willst mich doch bloß loswerden“ lapidar „Ich versuche zu schlafen“. Sie schlägt vor, sich auf der Straße überfahren zu lassen, damit er sie loswerde. „Leb einfach“ ist seine Antwort. Sie entgegnet: „Du hast die schrecklichsten Ideen und bist so scheißoptimistisch.“ Und so geht das immer weiter, um am Ende das sinnlose Geplapper in einer hübschen Pointe verschwinden zu lassen. Klar, Ehegeschichten sind vorzugsweise Horrorgeschichten, daran hat sich seit August Strindberg nichts geändert, aber Komödien stecken ebenso in ihnen. So unerbittlich die Autorin gegenüber ihren Figuren ist, den Leser*innen gönnt sie jedenfalls das Lachen.
Oder die Geschichte von Tom und Sandy in „Bruder am Sonntag“. Er ist Schönheitschirurg und hat gut zu tun. Er interessiert sich überhaupt nur für Körper, fotografiert sie unentwegt. Bei einem Strandpicknick sieht er den in der Hitze enthüllten Körpern all die Anstrengung und den Einsatz an, der es gekostet hat, sie so perfekt oder zumindest annähernd perfekt aussehen zu lassen, wie sie sind. Ein regelrechter Zwang steckt in ihm, Echtes vom Unechten unterscheiden, es sehen zu müssen, weshalb das Starren bei ihm zur Standardeinstellung geworden ist. „Er hat nicht die beste Sozialkompetenz“, erklärt Sandy das Verhalten ihres Mannes. Aber es sind auch die Menschen, die ihn ständig beiseitenehmen, ihm irgendwas zeigen wollen. Und dann gibt es da plötzlich diese Frau, die aus dem Wasser kommt und der ihre Zellulitis und Krampfadern völlig gleichgültig sind. Seine Patient*innen würden das nie wagen. „Sie kommen mit einer Liste in meine Praxis, was sie alles korrigiert haben wollen – als wären wir eine Autowerkstatt.“
Dass Sinnleere ein Lebensinhalt sein kann, das vermittelt das mit wohlhabenden Menschen besetzte bizarre Gesellschaftspanorama in „Hallo zusammen“. Grotesk die Szene im Restaurant: „Haben Sie eine Karte, auf der die Kalorien aufgeführt sind?“ Nein, die gebe es nicht, aber der Kellner will das Kalorienlimit gerne an den Koch weitergeben. Die Antwort: „Zehn Kalorien.“ „Insgesamt oder pro Portion?“ „Pro Portion.“ Und so werden Teller mit ein paar kunstvoll drapierten Schäumchen serviert, während das dazugehörige Essen am Ende in Tüten verpackt den Gästen überreicht wird, die es dann an Obdachlose weitergeben – „Gut essen ohne Wohnsitz“ lautet das soziale Projekt. Zum Schluss sitzt das junge Paar wieder am Pool. „Ich habe immer noch Hunger“, sagt sie, während sie sich das Blut von einem Kratzer am Arm ableckt. „Willst du auch was?“ Er nimmt sie am Arm und springt mit ihr in den Pool. „Egal, was irgendwer sagt, das hier ist es.“ „Hier, wo wir sind.“ „Das ist das Leben.“
Manche von Homes Geschichten haben mich an einen meiner literarischen Favoriten erinnert. Aber man lobt Schriftsteller*innen ja nicht, indem man sie mit Größen des Fachs vergleicht. Wer will wirklich schon wie ein zweiter Proust oder eine zweite Woolf schreiben, um so mal eben in den Schatten gestellt, zur Kopie degradiert zu werden?! Nein, Amy Homes schreibt wie Amy Homes. Aber ihren Blick auf unsere Welt, ihr Wahrnehmungsvermögen für eine Art subkutan verborgenen Irrsinn unseres modernen Lebens, das perfekt in Hochglanz verpackt, vor allem von Sinnleere und Leerlauf gekennzeichnet ist, dieser Blick bedeutete dann doch ein Déjà-vu. Auch David Foster Wallace hatte den American Dream skelettiert und landete jedes Mal in einer Geisterwelt. Das ist auch bei Homes so, nur klingt das bei ihr seltsam abgekühlt und irgendwie abgeklärter. Ihre Sprache ist messerscharf, wo Wallace sich in wahre Sprachexzesse hineinwühlt. Wir sehen hier wie dort bekannte Gesichter in wiederkehrenden Milieus und Landschaften. Man könnte es beim Lesen mit der Angst zu tun bekommen, doch am Ende überwiegt die Faszination.
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