Real existierende Idiotie
Stefan Heyms Roman "Die Architekten" überzeugt
Von Oliver Georgi
Arnold Sundstrom ist Stararchitekt in der noch jungen DDR kurz nach dem Tode Stalins. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere, wird mit der Planung einer Verlängerung der "Straße des Weltfriedens" betraut und soll diese nach staatlichen Maßgaben zu einem "Symbol des sozialistischen Wiederaufbaus" formen. Sundstrom ist mit der jungen Julia verheiratet, deren Eltern während des Krieges mit den Nazis zusammengearbeitet haben sollen und deshalb hingerichtet worden sind. Sundstrom hatte Julias Vater versprochen, sich um sie zu kümmern; aus Fürsorge war Liebe geworden. Das Familienglück im Sozialismus scheint perfekt. Doch der plötzliche Besuch des alten Freundes und Architekten Daniel Tieck stört die Idylle: Tieck wurde vor Jahren in ein Straflager nach Sibirien geschickt. Jetzt gerät er mit Sundstrom aufgrund seiner obrigkeitstreuer Bauweise aneinander; Julia beginnt eine Affäre mit einem Kollegen ihres Mannes; erfährt, dass ihr eigener Mann Arnold es war, der ihre unschuldigen Eltern denunuziert und damit praktisch zum Tode verurteilt hat. Es kommt endgültig zum Bruch mit dem System: die maßlos enttäuschte und in den Grundfesten ihres Glaubens erschütterte Frau eines Mörders flieht mit Tieck und versucht ein neues Leben zu beginnen. Sundstrom jedoch strauchelt nur kurz und baut weiterhin farblose Architektur mit sozialistischer Trübung.
Der Sozialismus ist wie "eine Pest, die über uns gekommen ist. [Er] schafft Menschen, deren Rückgrat sich verformt hat, weil sie dauernd über die Schulter blicken müssen, und deren Geist gespalten ist, weil sie stets das eine denken und das andere zu sagen gezwungen sind. [Er] verkrüppelt das Herz und hemmt das Gehirn [...] und macht elende Heuchler aus Menschen wie mir, die einst davon träumten, aufrecht zu gehen und stolz".
Dieses Zitat ist symptomatisch für Stefan Heyms Roman. Heym zeichnet die Geschichte Arnold Sundstroms und seiner Verstrickung in ein Netz von Verleumdungen, Intrigen und blind-fanatischer Ideologie nach - er reißt das glattpolierte Gebäude Sozialismus nicht auf einen Schlag mit dem Hammer ein, sondern demontiert dessen Fassade Stück für Stück und legt so die Fehler und strukturellen Schwächen frei. An der Figur Arnold Sundstrom wird deutlich, wie die Ideologie Menschen so sehr durchdringen kann, dass sie im Glauben, für das System zu handeln, ihre eigenen Freunde verraten; dass sie "stets das eine denken und das andere zu sagen gezwungen sind". Nicht umsonst hat der Architekt Sundstrom am Ende des Romans wieder seine alte, mächtige Position im Staat inne: die Diktatur schützt ihre Kader.
Heym legt das Scheitern einer Utopie und damit gleichzeitig die Gefahr offen, die von ihrem generellen Wesen ausgeht: ihre Nähe zum Totalitarismus. Wenn Menschen für ein allgemeines "Wohl des Kollektivs" ermordet werden, weil sie die Utopie in ihrer Ausformung kritisieren, dann kann keine notwendige Korrektur mehr durchgeführt werden; das System wird starr, unbeweglich und damit gezwungenermaßen unmenschlich.
Heyms Roman ist deshalb so eindrucksvoll, weil er seine Systemkritik aus den Menschen heraus begründet. Er zeigt am Beispiel des Architekten Sundstrom, wie sich die Menschen in ihren ideologischen Gefängnissen oft wider besseren Wissens einrichten. Erschreckend klar wird in "Die Architekten", wie Karrieregier oder auch nur der simple Wunsch nach einem halbwegs unbehelligten Leben Ethik und soziale Bindungen zur Nebensache degradieren können. Gleichzeitig wird deutlich, wie schwer es Menschen fallen muss, mit der selbst oder auch historisch gewonnenen Erkenntnis zu leben: "Dies darf nicht sein, erkläre ich... Ich glaube zutiefst, dass Wahrheit und Gerechtigkeit triumphieren werden. Ich glaube. Ich glaube". Menschen, deren gesamte Sozialisation, deren Weltbild sich jahrelang auf ein System wie den Sozialismus berief, können die Ungeheuerlichkeiten dieses Systems oft nicht fassen und halten sie für einen schlechten Scherz oder einen bösen Traum. Der Bezug auf die Menschen im System ist die eigentliche Leistung des Romans. Ihre Darstellung erklärt, wie ein schon lange marodes Regime wie das der DDR sich so lange hat halten können: An der Amoralität des Regimes drohten viele zu zerbrechen; der Wunsch nach Normalität machte wohl viele zu stillen, oft viel zu stillen Teilhabern: "Das kann nicht dauern bis in alle Ewigkeit, sagst du dir. Dies ist immer noch ein sozialistisches Land ".
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