Verpflichtendes Fürstenlob

Wielands aufklärerische Huldigungspoesie an den Weimarer Hof

Von Wolfgang AlbrechtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Albrecht

Der Vorgang ist wohl kein Einzelfall, aber auch im Zeitalter der Aufklärung gewiss kein Regelfall gewesen: dass ein Schriftsteller nach einer Buchveröffentlichung zum Prinzenerzieher berufen wird. So geschehen im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Christoph Martin Wieland legte zum Frühjahr 1772 seinen vierbändigen Roman „Der goldne Spiegel oder Die Könige von Scheschian“ vor. Darin lässt er, an einen fiktiven orientalischen Schauplatz verlegt und mit ironisch gebrochenem Handlungsgeschehen, den weise-gütigen Philosophen Danischmend aufklärerische Vorstellungen über monarchische Herrschaft und Staatslenkung entwickeln. Zu den besonders interessierten Erstlesern des Romans gehörte die regierende Weimarer Herzogin Anna Amalia. Nicht zuletzt unter ihrem starken Lektüreeindruck machte sie wenig später den Autor zum Erzieher des 15-jährigen Erbprinzen Carl August. Wie sehr auch dieser das Werk schätzte, zeigt sich daran, dass er seinen zukünftigen Lehrer brieflich als sehr erwünschten Danischmend ansprach: „Es erfreuet mich sehr wenn der Antrag meiner Frau Mutter bey uns als Philosoph, u. Leib Danischmende zu kommen, Ihnen gefällig gewesen ist. (Diese letztere Stelle wünschte ich ganz besonders daß Sie diese bey mir in eterna tempora bekleiden möchten)“.[1] Die Gleichsetzung von Autor und überragender Hauptgestalt legt nahe, auf Vertrauen und Wertschätzung zurückzuschließen.

Es ergab sich folgerichtig eine mannigfache Wechselbeziehung zwischen der Herzogsfamilie und Wieland. Vor und (ab 1775) neben Goethe spielte er lebenslang eine geachtete Rolle im kulturellen Alltag des durch ihn mitgeprägten aufklärerisch-klassischen Weimarer Musenhofes.[2] Vielfältig bereicherte er mit literarischen Beiträgen höfische Feste, Geselligkeiten, Aufführungen. Dazu gehörten nach altüberliefertem Brauchtum auch Huldigungen an die Herrscher. Wie er nun Traditionen vorwiegend schmeichlerischen Fürstenlobs von seiner aufklärerischen Warte her erneuerte und perspektivreich abwandelte, zeigen exemplarisch ein an Carl August gerichtetes Herkules-Stück und Anna Amalia gewidmete Gedichte „An Olympia“. All diese Dichtungen hat Wieland, ihren Stellenwert sinnfällig hervorhebend, in seine „Sämmtlichen Werke“ (Leipzig 1794-1811) aufgenommen, die sein späthin selbst noch für gültig erachtetes Schaffen vereinen.

Offenbar wohlüberlegt war gleich der 16. Geburtstag des Erbprinzen am 3. September 1773 Wieland ein willkommener Anlass für ein (durch den Weimarer Kapellmeister Anton Schweitzer vertontes) kleines Singspiel, „Die Wahl des Herkules. Ein lyrisches Drama“. Gemäß seiner Grundabsicht, kurzweilig und nicht etwa trocken zu belehren, bearbeitete er das antike, zuerst im 5. Jahrhundert v. Chr. ausgestaltete Sujet von „Herkules am Scheidewege“, wonach der große Mythenheld und Halbgott allen Verlockungen der Göttin der Wollust widersteht und sich einem Tätigkeits- und Kampfesethos der Göttin der Tugend verpflichtet.

Wielands noch sehr jugendlichem Herkules eignet angeborener und durch Erziehung bestärkter Tatendrang. Zudem ist ihm – erster Anklang an ein aufklärerisches Bezugsgefüge – selbständiges Denken und Wollen beigebracht worden. Aber noch sucht er nach einem klaren Lebensziel: „Wer bin ich? – Diese Gluth / In meinem Busen, diese Ungeduld / Nach Thaten, dieses unaufhaltbare Streben, / Nach einem unbekannten Ziel […].“[3] In einen inneren Zwiespalt hat ihn die Liebe gestürzt, die er mit seinem Drang nicht zu vereinbaren vermag: „Ich sollte Amors Ketten tragen? / Die Thorheit schleppte mich an ihrem Siegeswagen? / Ein feiger Sklave sollt’ ich seyn? / Beym Himmel! Nein!“

So steht er den Göttinnen der Wollust und der Tugend als ein zwar unentschiedenes, jedoch nicht willenloses Wesen gegenüber und ist kein bloßes Objekt ihres Streites um ihn. Schmeichlerisch und verführerisch tritt jene erste Göttin auf, eitel Freude und erfülltes Liebesglück verheißend. Sie vermittelt ein einseitig geschöntes Trugbild von einer wollüstig genießenden Götterwelt, das bei Herkules Zweifel weckt: „Du sagst mir, Göttin, nur, was Deine Freunde / Genießen; sage mir auch, was sie thun! / Womit verdienen sie, so schön belohnt zu werden?“ Anwort hierauf erhält er erst am Schluss und durch die Tugendgöttin, die sich jeglicher Verlockungen enthält. Ungeschönt spricht sie von der Mühsal gemeinnütziger irdischer Existenz, die die eigentliche göttliche oder gottgewollte Bestimmung des Menschen sei:

Nichts Gutes geben
Den Sterblichen die Götter ohne Mühe.
Soll dir die Erde ihre Schätze zollen,
Du mußt sie bauen! Soll
Dein Vaterland dich ehren,
Arbeit’ für sein Glück, für seinen Ruhm.
Soll Fama deinen Namen
Den Völkern und der Nachwelt nennen,
Verdien’s um sie! Sey ein Wohlthäter
Der Menschheit, lebe, schwitze, blute
In ihrem Dienst.

Herkules scheut solch wohltätige Anstrengung keineswegs, nur zögert er, der in Aussicht stehenden Liebeslust zu entsagen. Doch die Tugendgöttin (mit untergründiger Rücksicht auf den minderjährigen Hauptadressaten des Stückes sittenstreng moralisch argumentierend) „leidet keine Nebenbuhlerin“ und gewinnt ihn endgültig für sich.

Was hier als Menschenbestimmung umrissen wird, zielt über den antikisierenden und mythologisierenden Fiktionszusammenhang des Dramoletts hinaus. Angesprochen sind alle Zuschauer der höfischen Bühnenvorstellung, insbesondere die Mitglieder der Herzogsfamilie und ganz zuvörderst natürlich der Erbprinz Carl August. Ihnen allen vermittelt der Autor Anregungen, die bereits zu jenem Zeitpunkt weithin theoretisch akzeptierte Grundprinzipien aufklärerischen Wirkens und Leitsätze für ein Regieren im Sinne der Aufklärungsbewegung waren: Gemeinsinnigkeit, demgemäße Tätigkeit und praktizierte Humanität, Verbesserungsbestreben, Menschenglück oder (wie man es nannte) „Glückseligkeit“. Zu Recht verehrenswert erscheinen die Götter und zeitgenössischen Herrscher, die dementsprechend denken und handeln. Als ihre Repräsentantin und zugleich als entschiedenste Gegenspielerin der personifizierten „wollüstigen Untätigkeit“ erklärt die Tugendgöttin Herkules resümierend:

Sie lebten einst, wie du, in irdischer Gestalt,
Doch nicht sich selbst,
Sie lebten bloß der Erde wohl zu thun.

[…]

Der goldne Friede, mit der ganzen Schaar
Der Künste, die er nährt, der Überfluß
Mit seinem Füllhorn, alles, was
Das Leben adelt, schmückt, beseliget,
Es war ihr Werk!

Von dieser Warte her parallelisiert Wieland seinen Zögling Carl August mit dem Halbgott Herkules. Aus aufklärerischer Sicht wandelt sich das überkommene Gottesgnadentum irdischer Fürsten und Monarchen zu einer göttlich hohen Verpflichtung, für das Allgemeinwohl zu wirken. Statt dem Erbprinzen zeremoniös zu huldigen, zeichnet Wieland ihm poetisch komprimiert eine Lebensaufgabe vor, mit der er ihm aufrichtig höchstes Vertrauen und Wertschätzen bezeugt. Es klingt nach in einer viel konventionelleren Kantate auf den Regierungsantritt am 3. September 1775, bejubelt als Heil und Segen bringender Freudentag[4]:

O Du, zu segnen, zu beglücken
Dies Land, dies Volk, von Gott erkohren,
Amalia, Dir danken wir
Den großen Wonnetag, die allgemeine Lust!
Du hast den Göttersohn gebohren!
Gebohren unsern Carl August!

[…]

Ja, bester Fürst, Du wirst, indem Du uns beglückest,
Der Glücklichste von Allen seyn!

Carl August hat die in ihn gesetzten Erwartungen auf seine Weise (bei der Genuss und Liebesfreuden übrigens nicht zu kurz kamen) gerechtfertigt. Im Lichte der neuesten Aufklärungsforschung wird er als ein – von seiner Mutter unterstützter – aufgeklärter Reformer eingeschätzt.[5]

Die Herzoginmutter Anna Amalia wurde von Wieland stets als seine Muse verehrt. Wiederholt hat er der – von ihm auch „Schutzgöttin meines Musenspiels“ genannten[6] – Begründerin des Weimarer Musenhofes poetisch antiksierend als einer Halbgöttin gehuldigt, der er (gleich anderen Zeitgenossen) den Ehrennamen Olympia gab, anspielend auf die altüberlieferte Benennung der Erdgöttin Gaia und der Göttermutter Hera. Zwischen 1777 und 1791 widmete er seiner Gönnerin mehrere „Gedichte an Olympia“, eine Folge von Geburtstagsversen, aus denen „Zweyerley Götterglück. Am 24. Oktober 1777“[7] herausragt.

In diesem dreiteiligen Gedicht werden zwei gelangweilte Götter einander kontrastiert; Zeus, der Vergnügen suchend sich in Schwanengestalt zu Leda verfügt, und Apollo, der sich nach Thessalien begibt, wo er menschliche Freuden kennenlernt und die Menschen seinerseits auf eine höhere, harmonische Daseinsstufe leitet:

Und wer war glücklicher als er!
Wie lieben alle nun den Schöpfer ihrer Freuden!

[…]

Apoll behielt in seinem Hirtenstande
Vom Gott allein des Wohlthuns edle Macht.

[…]

Der holde Geist der Eintracht schlingt
Sein goldnes Band um alle, stimmt die Herzen
Zu sanften Freuden, süßen Schmerzen […]

Derart beschwingte Verse lassen eine Schäferidylle entstehen, in der sich antike Bukolik und modisches Rokoko mischen. Hinter aller Unbeschwertheit und Idealisierung der Verhältnisse bleibt jedoch der im Herkules-Stück näher ausgeführte Kerngedanke der Menschenbeglückung und Humanisierung erkennbar, der im Schlußteil direkt auf Anna Amalias Tiefurter Hof übertragen wird, wo nach Überzeugung des Dichters eine berufene Nachfolge der Taten Apollos besteht:

Der Ruhm dieß Wunder zu erneu’n,
Olympia, der seltne Ruhm, sey Dein!
Der schönste aller Deiner Preise!
Wohl Dir, die in dem Weihrauchkreise
Der Erdengötter nicht den hohen Sinn verlor
Für Freyheit und Natur […].
O Fürstin, fahre fort aus Deinem schönen Hain
Dir ein Elysium zu schaffen!
Was hold den Musen ist soll da willkommen seyn!

Mit der Huldigung der in eine Naturidylle hineinversetzten Musenschützerin und Kunstförderin verengt sich denn doch merklich die auf eine größere Gemeinschaft, auf ein Volk bezogen gewesene Perspektive von Apollos Handeln. Das durch ihn vollbrachte – von Wieland ohnehin schon idealisierte – „Wunder“ erneuert sich trotz aller Lobsprüche kaum außerhalb eines kleinen Hofkreises. Die Tendenz, Ruhm und Ehre der geschätzten Gönnerin literarisch zu mehren, wächst in den weiteren Gedichten „An Olympia“. Dennoch hat Wieland insgesamt gesehen – und erst recht mit seinen Vorläufern verglichen[8] – höfische Konventionalität und Unverbindlichkeit mittels Sinnvertiefung und poetischer Überhöhung nicht unbeträchtlich hinter sich gelassen, so wie auch Goethe und Schiller in ihren Huldigungsdichtungen.[9] Beharrlich hat Wieland der Herzoginmutter und dem regierenden Herzog immer wieder nahegelegt, beispielgebendes Humanitätsdenken zu verwirklichen.

Als Carl August 1775 seine Regierung antrat, setzte er Wieland eine lebenslange Pension aus; sieben Jahre später ließ Anna Amalia Wielands Büste im Tiefurter Park aufstellen. Auch dies keine alltäglichen Formen öffentlicher Achtung, Ehrung und Huldigung in der höfischen Sphäre des Aufklärungszeitalters. Lessing beispielsweise, um nur den berühmtesten Gegenfall zu erinnern, sind sie nicht zuteil geworden.

[1] Wielands Briefwechsel. Bd. 4. Berlin 1979, S. 582.

[2] Es ist eine zählebige verengende Charakterisierung, hinsichtlich des späten 18. Jahrhunderts vom „klassischen Weimar“ zu sprechen.Wieland gehört, wie übrigens auch Herder, zu den herausragenden Repräsentanten der deutschen Aufklärungsbewegung; vgl. Wolfgang Albrecht: Wielands Vorstellungen von Aufklärung und seine Beiträge zur Aufklärungsdebatte am Ende des 18. Jahrhunderts. In: Impulse. Folge 11. Berlin und Weimar 1988, S. 25-60.

[3] Das Stück wird zitiert nach: Wielands gesammelte Schriften. Bd. 9. Berlin 1913, S. 415-434.

[4] Cantate auf den neunzehnten [eigentlich: achtzehnten] Geburtstag und Regierungs-Antritt des Herzogs von Sachsen-Weimar und Eisenach. In: Wielands Gesammelte Schriften. Bd. 12, 1935, S. 21-22.

[5] Vgl. u. a.: Ereignis Weimar. Anna Amalia, Carl August und das Entstehen der Klassik 1757-1807. Katalog zur Ausstellung im Schlossmuseum Weimar. Weimar 2007, S. 91-99: Aufgeklärte Reformpolitik. Carl Augusts erste Regierungsjahre.

[6] So in den Eingangsversen zur Sammlung der „Gedichte an Olympa“ innerhalb seiner selbst veranstalteten letzten Werkausgabe; hier zitiert nach: Wielands Gesammelte Schriften. Bd. 12, 1935, S. 279.

[7] Ebenda, S. 279-285.

[8] Werner Schubert: „Ein edles Beispiel macht die schweren Taten leicht“. Huldigungsschriften auf die Weimarer Herzogin Anna Amalia. In: „… einen Stein für den großen Bau behauen“. Studien zur deutschen Literatur. Wrocław 1993, S. 51-61. Resümierend wird festgestellt (S. 59): „Die […] Huldigungen sind sozusagen genormt, nach einer Schablone produziert, […]. Barocke […] Tradition wird künstlich am Leben erhalten, […] eine Märchenwelt, die nichts gemein hat mit der unmittelbaren Wirklichkeit. […] Kein Wort, kein Begriff und keine sprachlichen Bilder sind  vorhanden, die wirklich treffen.“

[9] Zum Kontext vgl. Bianca Weinhold: Gelegenheitsdichtung. Gebrauchslyrik in Jena und Weimar um 1800. Saarbrücken 2008.