Wagner der Deutsche

Sven Oliver Müller rekonstruiert das Verhältnis von Komponisten, Werk und Rezeption

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Immer wieder hat sich Richard Wagner als betont deutscher Komponist inszeniert. Dabei wusste er seine Äußerungen durchaus abzustufen. Auf der einen Seite ist die Schlussansprache des Hans Sachs in „Die Meistersinger von Nürnberg“, der zumindest an dieser Stelle als Sprachrohr des Dichter-Komponisten Wagner gelten kann. Sachs fordert, man solle die deutschen Meister ehren, die allen „welschen Dunst mit welschem Tand“ abzuwehren vermögen. Auf der anderen Seite stellt Wagner in der ambitionierten Studie „Oper und Drama“ seine neue musikdramatische Konzeption in die Tradition der griechischen Tragödie. Kruder Nationalismus und ein Universalismus, der aufs Höchste zielt – Wagner setzte unterschiedliche Argumentationen zielgerichtet ein.

Die Deutschen – und sogar die Opernbesucher unter ihnen – folgten ihm dabei nur zögerlich. Zu ungewohnt und anspruchsvoll waren Wagners Bühnenwerke. Der „welsche Tand“ lockte mit den überschaubareren Formen und den einprägsameren Melodien. Wagner brauchte Jahrzehnte, damit sein Werk unumstritten zu jenem Kulturgut gerechnet wurde, das hochwertig und zu pflegen sei. Abgesehen von einzelnen Passagen wie dem „Walkürenritt“ wurde das Werk nie wirklich populär. Als Wagner unter den Nazis zum Vorzeigekomponisten avanciert war (bei gegenüber der Weimarer Republik sinkenden Aufführungsziffern), da wurden die Nürnberger Parteitage der NSDAP von „Meistersinger“-Aufführungen begleitet; und es hatte seine liebe Not, die SA-Männer nicht nur zum Opernbesuch zu überreden, sondern sie auch nach den Bierpausen wieder ins Parkett zu treiben. Hans Sachsens Ansprache dürften viele unter ihnen nicht mehr gehört haben.

Eine Sache des Volkes, wie sie die attische Tragödie war, ist das Musikdrama Wagners nie geworden. Wenn der Historiker Sven Oliver Müller über „Richard Wagner und die Deutschen“ schreibt, so begibt er sich also in ein Spannungsfeld von Anziehung und Abstoßung, von Gleichgültigkeit und Parteinahme, von intellektuellem Streit, faschistischer Aneignung und Protest: Protest gegen diese Aneignung oder gegen Wagner, der durch Volksbegriff, pathetischen Gestus und fanatischen Antisemitismus Hitler vorgearbeitet habe.

Müller will, so sein Untertitel, eine „Geschichte von Hass und Hingabe“ erzählen und bleibt doch harmlos. Dabei hat das Buch seine Qualitäten. Es ist gut lesbar geschrieben, verrät große Sachkenntnis und bringt zahlreiche erhellende Details. Nur zerfällt leider die Geschichte in eine Vielzahl von Geschichten, und diese erfassen nur einen Ausschnitt dessen, was zu untersuchen wäre. Am ergiebigsten sind die Kapitel zur Zeit vor 1918, die mit der Vermittlungsfunktion des bayrischen Königs Ludwig II. und des Kaisers Wilhelm II. wesentliche Personen für die Verbreitung des Werks in den Mittelpunkt stellen. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg hat Müller fast ausschließlich als Geschichte der Bayreuther Festspiele geschrieben – mit vielen interessanten Einzelheiten, doch ohne Rücksicht auf andere Entwicklungen. Der Osten Deutschlands kommt kaum vor – Müller erwähnt nur ganz frühe Versuche in der sowjetisch besetzten Zone und den allerersten Jahren der DDR, Wagner wieder zu spielen, sowie Joachim Herz’ Leipziger „Ring“-Inszenierung von 1973-76.

Der Nachwendezeit sind, glaubt man dem Inhaltsverzeichnis, vierzig Seiten gewidmet, von denen allerdings der Großteil für eine Geschichte der Wagner-Vereine verwendet wird, die zeitlich weit zurückgreift. Was die Selbstinszenierung einer vorgeblichen politisch-kulturellen Elite angeht, die sich zum Auftakt der Bayreuther Festspiele präsentiert, so wird das Neue nicht deutlich. Und wo, wie beim Übergang von inhaltlicher Auseinandersetzung zur Produktion eines „Events“ Müller das Neue von Bayreuther Inszenierungen und Publikumserwartungen benennt, so stellt dies nichts Besonderes von Wagner oder Deutschland dar, sondern markiert es die allgemeine postmoderne Verblödung. Im Rückblick wünscht man sich noch den dümmsten Publikumsprotest gegen Bayreuther Neuerungen der Nachkriegszeit zurück, denn dieser war noch ein Streit um Inhalte und die Wahrheit, während es aktuell nur noch um die Frage geht, welchen Mummenschanz das Publikum für den originellsten hält.

Ein wenig kokettiert Müller mit diesem Niedergang. Die Frage, weshalb Wagners Musikdramen sich auf der Opernbühne völlig unterschiedlichen Ideologien fügten, kann man tatsächlich mit ihrer relativen Offenheit beantworten. Müller vermeidet in Hinblick auf die so vielfältige wie deutschnational und rassistisch problematische Rezeptionsgeschichte eine komplette Relativierung und meint, dass Wagners Musikdramen weder inhaltlich festgelegt noch völlig beliebig sind. In dieser Allgemeinheit stimmt das wohl auch. Nur hätte Müller an einzelnen Stationen der Rezeptionsgeschichte schärfer benennen können, welche Auffassungen noch vom Werk und seiner Struktur legitimiert sind.

So aber entsteht der Eindruck eines schnell geschriebenen Buches, das allzu eilig zum Wagner-Jahr fertig sein sollte. Mehrere Ungenauigkeiten ärgern. Müller bestimmt überzeugend die propagandistische Funktion deutscher Konzerte in den besetzten Ländern. Aber kann eine Pariser Konzertstatistik der Spielzeit 1939/40 diese Funktion illustrieren, wenn doch die deutschen Truppen Paris erst im Juni 1940 besetzten? Der Pressestreit über Wieland Wagners Bayreuther „Meistersinger“-Inszenierung von 1956 und ihre Veränderungen in den folgenden Jahren ist derart bunt wiedergegeben, dass eine Rekonstruktion der zeitlichen Abfolge schwerfällt. Insgesamt erscheint ein wichtiges Thema vereinfacht und vertan.

Titelbild

Sven Oliver Müller: Richard Wagner und die Deutschen. Eine Geschichte von Hass und Hingabe.
Verlag C. H. Beck, München 2013.
351 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783406644559

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