Die dunkle Seite romantischer Kunst
Der Katalog zur Städel-Ausstellung „Schwarze Romantik“ ist ebenso gelungen wie diese selbst
Von Rolf Löchel
Gemeinhin wird die Romantik nur selten mit schwarzer Kunst in Verbindung gebracht. Ganz anders hingegen in einer Ausstellung, die 2012 im Frankfurter Städel Museums zu sehen war und unter dem Thema „Schwarze Romantik“ stand. Selbstverständlich versuchte sie jedoch nicht etwa, die Romantik in die Nähe zur Magie und sonstigen Zaubereien zu rücken, sondern stellte vielmehr anhand von mehr als 200 Werken aus den bildenden Künsten von der Malerei über Skulptur und Fotografie bis hin zu den flüchtigen Filmbildern ihre dunkle Seite ins rechte Licht.
Der dazugehörige Katalog bietet seinerseits mehr als 350, oft farbige Abbildungen. Eröffnet und beschlossen wird er von jeweils drei Essays zum Thema. Ersteren sind das in solchen Fällen übliche Grußwort eines lokalen Kulturpolitikers und ein Vorwort des Städel-Direktors Max Hollein vorangestellt, in dem er die Ausstellung als erstes groß angelegtes Projekt vorstellt, das der „dunklen Seite der romantischen Bewegung“ gilt und ihren „von Einsamkeit und Melancholie, von Leidenschaft und Tod“ erzählenden „Bildern des Erhabenen und des Schrecklichen, des Wunderbaren, Fantastischen und Grotesken“.
Sodann unternimmt der Herausgeber des Katalogs Felix Krämer eine „Annäherung“ an die schwarze Romantik, in der er die Besucher und Lesenden an das Thema der Ausstellung beziehungsweise des Katalogs heranführt und etwa darlegt, wieso sich die Namen Francisco de Goya und Max Ernst im Untertitel von Ausstellung und Katalog finden, obwohl sie ihre Werke doch vor beziehungsweise nach der ‚Epoche der Romantik‘ schufen. Krämer klärt nämlich darüber auf, dass sich die (schwarze) Romantik keineswegs „auf eine bestimmte Epoche reduzieren“ lässt, sondern der Begriff vielmehr durch „seine Charakteristika“ erläutert werden muss. Daher, so legt er überzeugend dar, präsentieren Ausstellung und Katalog die Romantik „nicht als abgeschlossene Epoche, sondern als eine Geisteshaltung“.
Da der Katalog „Verbindungslinien“ der schwarzen Romantik – eben von Goya bis zu Max Ernst – „aufdecken“ möchte, verzichtet er auf „einzelne Werkanalysen“. Statt ihrer bietet er Einführungen zu den insgesamt sieben ‚Bild-Kapiteln‘. Mag der Verzicht auf Werk-Analysen im Falle einiger Kunstwerke zu bedauern sein, so überzeugt die Konzeption doch und erreicht ihr Anliegen, dazu beizutragen – auch ästhetisch – zu verstehen, was es mit der Schwarzen Romantik auf sich hat. Ein Manko besteht allenfalls in einigen Redundanzen, die sich zwischen einzelnen Beiträgen ergeben.
Die Einführungen in die Kapitel eröffnet Manuela B. Mena Marques, die sich mit „Goya und der dunklen Schönheit“ befasst. Ihr folgt Franziska Lentzschs Text über „Füssli und das Schwarzromantische in der englischen Kunst“. Bereits zuvor hatte Hubertus Kohle in einem der einführenden Essays konstatiert, dass der Schweizer Maler „dem Geschlechterkampf auf das Innigste verpflichtet“ gewesen sei. Doch nicht nur Füssli führte diesen Kampf. Wie Kohle weiter vermerkt, „bestimmte das Thema der fatalen Frau einen gewichtigen Teil der dekadenten Ikonographie des Symbolismus“ und wurde von Alfred Kubin „zu perverser Eindringlichkeit gesteigert“. Als – ein tatsächlich kaum zu überbietendes – Beispiel weist er auf Alfred Kubins Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenes Werk „Der Todessprung“ hin, das zwar in den Katalog aufgenommen wurde, in der Ausstellung selbst aber nicht zu sehen war. Gustave Moreau wiederum inszeniert in seinem Bild „Die enträtselte Sphinx“ Ödipus „gleichsam“ als „siegreichen Rächer im Geschlechterkampf“. Andererseits kann Claudia Wagner darauf aufmerksam machen, dass Max Klinger die biblische Eva in seiner dreigliedrigen Blatt-Sammlung „Eva und die Zukunft“ nicht als den Mann verderbendes „Teufelsweib“ zeigt, sondern als Melancholikerin.
Nerina Santorius wiederum zeigt in ihrem Beitrag „Vermächtnis der Unvernunft in der französischen Romantik“, dass die „Konjunktur“ der „bösen Mutter und des Kindsmords“ in der Romantik „nicht von ungefähr zeitlich mit den Anfängen der Frauenbewegung in Frankreich“ zusammenfällt. Dabei statteten die Künstler die dargestellten „säkularisierten weiblichen Negativfiguren“ mit Merkmalen aus, die bis dahin „mit der Gestalt der Hexe verbunden“ gewesen waren.
Gilt Santorius' Interesse der französischen Romantik, so wendet sich Mareike Hennig der „schwarzen Romantik in der deutschen Malerei bis 1850“ zu. Dorothe Gerkens und Claudia Wagner stellen „französischen und belgischen Symbolismus“ beziehungsweise den „schwarzromantischen Symbolismus in einer aufgeklärten Zeit“ vor. Wagner stellt die Romantik um 1800 und den Symbolismus um 1900 nebeneinander und legt dar, warum es „zu einfach“ wäre, würde man „die romantische Sehnsucht, dem Licht der Aufklärung das Numinose oder parallel dem Materialismus und der Wissenschaftsgläubigkeit um 1900 die Mächte des Irrationalen und das Okkulte entgegensetzen.“ Es hätten ganz im Gegenteil „gerade das aufgeklärte ‚sapere aude‘, der Mut, sich seines Verstandes zu bedienen, beziehungsweise die vermeintlich unendlichen Chancen naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinns“ ermöglicht, „hinter die Wirklichkeit zu blicken“, in der Romantik wie auch im Symbolismus „Aspekte des Unheimlichen, des Traumatischen und des Exzentrischen gebar.“
Ingo Borges beschließt die Kapiteleinführungen mit einem kleinen Text über „Romantik und Surrealismus“. Die anschließenden Essays blicken über die in den Kapitel-Einführungen behandelte ‚Leinwandkunst‘ hinaus. Roland Borgards ist hier mit einem Text „zur Literatur der Romantik“ vertreten, Alexander Meier-Dörzenbach stellt „die schwarze Romantik in der Oper“ vor und Claudia Dillmann wendet sich der schwarzen Romantik im Medium Film zu.
Insgesamt ist festzuhalten, dass der Katalog als ebenso gelungen angesehen werden darf wie die Ausstellung. Abschließend sei noch auf eine originelle Idee des Herausgebers hingewiesen. Unter Bezugnahme auf den heute vergessenen, aber wie Krämer versichert, zu seiner Zeit recht einträglichen Beruf des Quatorzième verzichtet die Paginierung des Buches auf die Seite dreizehn. Sodass es sich bei der vorliegenden Publikation von der vierzehnten Seite an um eine der wenigen linksbündigen Bücher handeln dürfte, in der die geraden Seitenzahlen rechts vor den ungeraden stehen. Das ist den ausgestellten respektiven abgebildeten Kunstwerken fast schon kongenial.
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