25 Jahre deutsche Einheit
Vorbemerkungen zum Themenschwerpunkt
Von Stefan Jäger
„Es war wirklich wie Silvester. Als es so weit war, wurde alles kurz ein bisschen lauter, tatsächlich sah man in der Ferne ein paar Raketen, und dann war alles wie vorher, und wir waren, ohne uns vom Fleck bewegt zu haben, in einem anderen Land“, heißt es über die Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 in Peter Richters Roman 89/90, der die Wendeereignisse aus der Sicht eines Jugendlichen in Dresden erzählt. Was hier jedoch recht unspektakulär daherkommt, war in der Realität mit einschneidenden Veränderungen vor allem für die Bürger in Ostdeutschland verbunden: Tatsächlich sollte dort kaum etwas so bleiben, wie es zuvor gewesen war. Die Auswirkungen der Wende und der kaum ein Jahr später folgenden Wiedervereinigung sind so umfassend gewesen, dass sie auch heute, 25 Jahre danach, noch zu spüren sind.
Doch nicht nur im alltäglichen Leben der Menschen zeitigten die Ereignisse von 1989/90 große Veränderungen, sondern vor allem auch im Bereich der Literatur. Bereits einige Monate vor der Deutschen Einheit kam es zu einer teils heftig geführten Debatte über Christa Wolfs Erzählung Was bleibt in den westdeutschen Feuilletons, die als deutsch-deutscher Literaturstreit in die Literaturgeschichte eingegangen ist. In der Auseinandersetzung ging es, neben vielem anderen, letztlich auch darum, den Wert der „DDR-Literatur“ zu bestimmen. Fakt ist, dass auch nach dem Verschwinden des Staates von der politischen Weltkarte weiterhin über die DDR geschrieben wurde. In der Folgezeit setzte man sich in der Literatur immer häufiger mit den Themen Wende und Wiedervereinigung auseinander, ja im Feuilleton wartete man in den 1990er-Jahren geradezu sehnsüchtig auf den Wende- beziehungsweise Einheitsroman. Was darunter jedoch genau zu verstehen sein sollte, konnte kaum jemand erklären.
Abgerissen ist der Strom an Literatur, in der es um die Auseinandersetzung mit dem Ende der DDR geht, bis heute nicht. Das zeigen zahlreiche Neuerscheinungen dazu auch in diesem Jahr. Neben dem 25-jährigen Bestehen des geeinten Deutschlands war dies Grund genug, einen entsprechenden Schwerpunkt in der vorliegenden Ausgabe von literaturkritik.de zu initiieren. Neben den Besprechungen zu aktuellen Büchern über das Thema finden sich darin mehrere Essays, die in Form von Überblicken das Verhältnis von Wiedervereinigungsthematik und Literatur aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. In einem weiteren Beitrag geht es um die Solidarność-Bewegung in Polen, die in einem Teil der DDR-Bevölkerung Hoffnung auf politische Veränderungen schürte und damit zur Vorgeschichte der Wende respektive Wiedervereinigung gehört.