Asche-Posen

Frieda Hughes zweisprachiger Gedichtband "Wooroloo"

Von Robert HabeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Robert Habeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 11. Februar 1963 stellt die amerikanische Lyrikerin Sylvia Plath ihren beiden schlafenden Kindern kurz vorm Morgengrauen warme Milch neben das Bett, dann schließt sie die Zimmertür, verstopft die Ritzen mit einer Decke, öffnet den Gashahn und begeht Selbstmord. Ihre Tochter, Frieda Rebecca, ist noch keine drei Jahre alt, ihr Sohn, Nicholas Farrar, gerade ein Jahr alt geworden. Es wird Frieda sein, die Sylvias Leiche entdeckt.

Nach dem Tod der Mutter wuchsen die Kinder bei ihrem Vater auf. Sylvia Plath, die in ihrem Roman die "Glasglocke" und vor allen Dingen in ihren Gedichten in bis dahin ungehörter Radikalität einer weiblichen literarischen Stimme Ausdruck zu geben versucht hatte, war mit dem Star der Englischen Literatur, Ted Hughes, verheiratet gewesen. Das Paar hatte sich nach einer so intensiven wie schwierigen mehrjährigen Beziehung vier Monate vor dem Selbstmord Sylvia Plaths getrennt. Und Ted Hughes, der wie kein zweiter in seinen Texten die Leidenschaft der Natur und Tierwelt in vitalistische Metaphern fasste, war über Jahre hinweg bei Feministinnen als kaltherziger Mörder und Faschist verschrien, weil er die Depression seiner Frau nicht erkannt hatte. Erst 35 Jahre und kurz vor seinem eigenen Tod brach Ted Hughes sein Schweigen und veröffentlichte mit "Birthday Letters" einen Gedichtband, der sich ausschließlich mit seinem Verhältnis zu Sylvia Plath auseinander setzt. Nun ist von Frieda Hughes ein Gedichtband erschienen, der sich augenfällig in den Fußstapfen der "Birthday Letters" bewegt.

Nach Ted Hughes literarischer Deutung, übertrug seine Frau den Verlustschmerz über den frühen Tod ihres Vaters auf ihn, und beide Männer fielen in der literarischen Rolle eines "Daddys" zusammen, der einerseits tot war, andererseits als deutschstämmiger Amerikaner für Plath zum Nazi wurde. Nach dieser Faschismusmetapher für die Männer- und Väterwelt insgesamt, deutete Plath insbesondere auch die Beziehung zu ihrem Mann.

Tochter Frieda findet dagegen drastischerer Worte:

Die Tochter ist Frieda selbst, das Ich, das spricht. Und man liest es mit einer Gänsehaut, wenn sich Frieda Hughes selbst als das Übel bezeichnet, mit dem ihre Mutter ihren Vater vergewaltigte und knechtete.

"Ich halle wider in meiner eigenen Leere, wie die Zunge in einem Vogelschnabel", kommentiert sie ihr Leben im Eröffnungsgedicht "Wooroloo" und lässt keinen Zweifel, darüber aufkommen, dass sie auf der Seite ihres Vaters steht, dem ihr Buch gewidmet ist: "Mutter hielt ihre Arbeit für getan./ Ihren Leib hatte sie gebraucht wie eine Waffe. Nun schlugen ihre Worte/ Ihn nieder, er wurde abgeerntet auf seinen eigenen Feldern".

Überraschend ist, dass Frieda Hughes nach den "Birthday Letters" überhaupt noch von zwei Seiten ausgeht, unversöhnt schreibt und in das Karussell der Schuldvorwürfe einsteigt, ja sich zu seinem Motor macht. Immerhin kennt sie den Mythos, in den sie sich nun einzuschreiben anschickt, auch nur aus den Berichten ihres Vaters und der Literatur. An ihre Mutter dürfte sie selbst keine Erinnerung haben.

"Als das Kind mit kleinen Händen/ In diese Löcher langte, fand es nichts/ Hinter den Geräuschen vom Mund her, nur die flatternde Zunge.// "Komm, leb mir!" rief es/.../ Als es einsah, dass seine Mutter ein tauber Schatten war/ Und keinen Vater vorfand,/ Der gewusst hätte/ dass seine Tochter verschwand,/ Da wurde das Kind leer, blankgewischt wie ein bleicher Stein aus der See."

Die englische Ausgabe der "Birthday Letters" verwendete als Cover ein Gemälde von Frieda Hughes, auf dem sich eine Feuerwand über den Buchdeckel fraß, ein Feuer, das Sylvia schürte und das sie vernichtete.

Die Beschwörungen der Leere, des Blanken, Weißen, Ausradierten ist im Gedichtband allgegenwärtig und Metapher der Seelenwelt seiner Autorin. "Wooroloo" heißt Frieda Hughes' Farm in Australien, die jenes Buschfeuer einmal zerstörte. So wird der Ort der Leere aus dem Eröffnungsgedicht nicht nur zur Metapher ihres Ichs, weil er abgeschieden und einsam ist, sondern auch, weil das Feuer ihn vernichtete, wie ihre Mutter, wie ihren Vater.

In solchen Übertragungen hält sich Frieda Hughes auffällig in poetischer Nähe zu ihrem Vater. Duktus, Vitalismus, die vielen Vogelbilder und Naturbeschreibungen zehren von der kraftvollen Diktion Ted Hughes. Aber als Mikrokosmos lebt auch die Lyrik ihrer Mutter in Frieda Hughes Gedichten fort, unter die Oberfläche verdrängt. Würde die Tochter nur ihren Vater nachäffen, wäre "Wooroloo" auf eine autobiographische Seelenstudie eines verletzten Kindes zu reduzieren. Aber Frieda Hughes Stimme bietet mehr. Tatsächlich fällt "Wooroloo" aus der starken angelsächsischen lyrischen Produktion von Frauen wie von Männern aufgrund seiner archaischen Wildheit heraus. Kaum artifizielles Beobachten von Situationen und deren doppeldeutiges Ausleuchten in der Sprache wie bei den anderen Poeten ihrer Generation, sondern der Versuch, die Gefühle in die Sprache zu nehmen und diese daran zerspringen zu lassen, machen Frieda Hughes Gedichte aus und rücken sie damit in die poetische Nähe ihrer Mutter.

"Voll Wut", schreibt sie wieder über ein Feuer, "Brach seine Stimme fett unter der Baumrinde aus,/ Und die Beutelratten erstarrten in ihren kleinen Asche-Posen." Wie ihre Mutter sich oft als leblos zwischen Blumen imaginiert hat, schreibt Frieda über Sylvia: "Während ihre Mütter in stillen Gräbern lagen,/ Rechtwinklig markiert durch grünen, zugeschnittenen Kiesel,/ Und Blumen in einem Einmachglas, gruben sie meine aus."

Und schließlich wird auch ihr Vater, in einer vielleicht unfreiwilligen negativen Dialektik, indem sie ihm ihr Buch widmet und ihn wie ihre Mutter in Nazimetapher als "Daddy" anredet, nicht reingewaschen durch die Worte der Tochter, sondern wieder in das Hin und Her aus Schuldzuweisungen und Verfehlungen einbezogen.

Unter der Hand formuliert in Frieda Hughes Lyrik eine zweite Stimme mit, die der ihrer Mutter nicht unähnlich ist. So versöhnt die Tochter dann doch die Literatur ihrer beiden Eltern - vielleicht gegen ihren Willen. Die letzten Zeilen des Buches schlagen einen Bogen zurück zu dem Anfangsgedicht und mit ihm zu der Geschichte ihrer Eltern. "Mein Geliebter hatte keine Stimme. Nur/ Einen Körper, mich darin zu begraben./ Wär er nicht zuerst gestorben." Bezieht man das auf das Bild in der poetischen Logik ihrer Mutter auf Ted Hughes, der als geliebter Leichnam seine Tochter in den Tod ziehen will, so hat Frieda Hughes das Totenreich ihrer Eltern überwunden. Für ihren nächsten Gedichtband steht zu wünschen, dass sie die Verstorben in Frieden ruhen lässt.

Titelbild

Frieda Hughes: Wooroloo. Gedichte.
Übersetzt aus dem Englischen von Jutta Kaußen.
DuMont Buchverlag, Köln 2002.
125 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3832158979

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch