Kunstfehler

Willy Sanders' Stilkunde "Gutes Deutsch - Stil nach allen Regeln der Kunst"

Von Julia-Charlotte BrauchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia-Charlotte Brauch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn sich das Tempo der Außenwelt beschleunigt, dann leiden die Feinheiten. Zumindest teilweise könnte man diese allgemeine Weisheit auch auf den alltäglichen Gebrauch von Sprache übertragen. Tatsächlich stolpern wir in rasch getippten E-Mails des öfteren über Stilfehler. In den Schulen werden Übersetzungen, die wesentlich zur Stilbildung junger Menschen beitragen, zunehmend aus den Lehrplänen genommen, und Lehrer sind meist schon froh, wenn sie ihren Schülern die Grundregeln der Rechtschreibung und Grammatik beibringen können. Selbst in Deutschseminaren an den Universitäten wundert man sich zuweilen über Schlampigkeiten und Heuler.

Andererseits fragen notorische Literaturwissenschaftler immer wieder mit einer gewissen Chuzpe, wozu die Sprachwissenschaft gut sei. Willy Sanders, emeritierter Professor für Deutsche Sprache und Germanistische Linguistik, hätte diesen Nörglern einen praktischen Beweis für die "Nützlichkeit" seiner Zunft entgegensetzen können und damit einen Punktsieg im Grabenkrieg innerhalb der Germanistik für sich gewinnen können. Seine Stilkunde, verfasst als Ratgeber aus der Beck'schen Reihe, hätte, was Umfang und Format anbelangt, ein handliches Kompendium werden können. Doch wer bei Sanders nachschlägt, findet zunächst seitenweise Rechtfertigungen des Themas vor. Umständlich erörtert er, wie eine wirksame Stilkunde vorzugehen habe. Dabei weiß doch jeder, der von selbst zu einem solchen Buch greift, bereits vorab um die Bedeutung guten Stils.

Immer wieder führt Sanders linguistische Fachbegriffe ein, allerdings nur, um seinen Lesern im nächsten Moment zu beteuern, dass sich hinter diesen Termini "eigentlich" ein ganz schlichter Sachverhalt verstecke. Fraglich ist, was der Autor damit bezwecken will - schließlich weckt er damit weder bei Nicht-Germanisten Interesse für das eigene Fach, noch wird er dafür Anerkennung aus den eigenen Reihen bekommen. Überhaupt ist unklar, an welche Leserschaft sich der Ratgeber wendet.

Kapitel für Kapitel arbeitet Sanders Themen wie den Zusammenhang von persönlichem Stil und Sein, den Text als "Gewebe", Syntax, Stilebenen und Sprachreiz ab, ohne dem Leser dabei konkrete Ratschläge zu geben. Dass das "persönliche Stilgefühl", wie der Klappentext nochmals nachträglich betont, das oberste Ziel bei einer Stilschulung ist, dazu braucht es wahrlich keinen professoralen Rat. Noch viel überflüssiger sind jedoch Sanders' in den Sachtext eingestreute Anekdoten, seine rhetorischen Fragen und vermeintlich witzigen Sprachspielereien. Der Autor hinterlässt den dringenden Eindruck, dass er mit seinen sperrigen Bildungszitaten und Sprachtrümpfen sein eigenes Können auf besagtem Gebiet gleich potenziert unter Beweis stellen wollen. Da sollte der Ratsuchende sich doch besser gleich auf das eigene Sprachgefühl verlassen und sich durch eigene Beobachtungen und Übungen in Stilfragen schulen.

Titelbild

Willy Sanders: Gutes Deutsch. Stil nach allen Regeln der Kunst.
Verlag C. H. Beck, München 2002.
190 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3406476317

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch