Der Weg ist das Ziel
Warum in den "Taxi Geschichten" absolute Orientierungslosigkeit zum Ort der Bestimmung führen kann
Von Julia Ortkemper
Es gibt viele Fortbewegungsmöglichkeiten, die den Reisenden in unserer heutigen Gesellschaft von A nach B bringen: die Bahn, der Bus, das Flugzeug oder das Schiff. Doch in keinem der genannten mobilen "Frachtträger" ist die Privatsphäre so gesichert wie in einem Taxi. Taxifahren ist schnell, unkompliziert, und meist legt der Fahrgast sein Schicksal - ohne sich dessen bewusst zu sein - in die Hände des Fahrers.
So ergeht es auch den Protagonisten der achtzehn "Taxi Geschichten", die eine Art Sammlung von Erfahrungen der unterschiedlichsten Fahrgäste in Ländern der ganzen Welt sind. Das Buch ist eine Mischung aus ironischen Erzählungen, kitschigen Erlebnissen oder einfach mysteriösen Geschehnissen. Einige der achtzehn Autoren karikieren die typisch belanglosen Gespräche oder einfach den Smalltalk, indem sie die Dialoge zwischen Fahrgast und Fahrer beispielsweise als "modernen Schwank" wiedergeben.
So mischen sich hier die unterschiedlichsten Erzählstile, die vom Theaterstück bis zur "empirischen Studie" reichen. Das reizvolle Moment liegt in der Spannungung von ironischen, mysteriösen, provokanten, überraschenden, absurden, romantischen und sogar moralisch-ethischen Aspekten der einzelnen Geschichten. Hinzu kommt eine exotische Komponente, die größtenteils vom Ort des Geschehens, wie zum Beispiel Indien oder Liberia, herrührt.
Zumeist wird nicht nur die Sichtweise des Fahrgastes wiedergegeben, sondern auch die Perspektive des Fahrers mit einbezogen.
Klaus Bittermann versetzt sich in "Der Taxifahrer. Eine empirische Studie" in den Fahrgast und zeichnet ein durchgängig negatives Bild des Taxifahrers. Bittermann nutzt das allgemeine Vorurteil, dem zufolge Taxifahrer bierbäuchig und schlecht gelaunt sind, um in der Pointierung seiner "Studie" die Ironie wirken zu lassen: "Auch wenn es so aussieht, als hegte ich Ressentiments gegen Taxifahrer: Ich persönlich habe nichts gegen sie. Einige meiner besten Freunde sind Taxifahrer."
Die Autoren der "Taxi Geschichten" wollen aber nicht alle bloß unterhalten oder belustigen, einigen kommt es auf die Provokation an, wie beispielsweise Iva Pekárková in "Ineinanderfließen": "Die Fahrer der gelben Taxis wissen, dass man in Manhattan [...] nur mit dem Heben des Arms ('Sieg-Heil-Geste') das Taxi anhält." So sind in einige Geschichten sicherlich auch Erfahrungswerte miteingeflossen, die die Geschichten um so realistischer wirken lassen.
Doch die bloße Wiedergabe der Realität scheint keinesfalls der Hauptanspruch der Bündelung dieser so unterschiedlichen Geschichten zu sein. Es lassen sich neben den "Studien" auch mysteriöse, von wilder Phantasie geprägte Erzählungen finden. Diese Geschichten entfalten ihre Wirkung erst, wenn ein bestimmtes Klischee, wie beispielsweise der illegal in Amerika lebende Taxifahrer oder die stämmige deutsche Taxifahrerin, Opfer der Fast Food-Ketten, bedient ist. Erst dann, wenn sich der Leser "in Sicherheit wiegt", wird er durch eine überraschende Wendung in den Erzählungen wieder wachgerüttelt. Der illegal in Amerika Taxi fahrende Pole befördert nämlich zwei Zauberer, die Gedanken lesen können, und die deutsche übergewichtige Taxifahrerin weiß nicht, dass sie den Tod befördert, der sie ans "Ziel" geleiten möchte.
Auch in den romantisch geprägten Geschichten in diesem Buch offenbart sich das Unerwartete. In "Night on Earth - die sechste Stadt", einer Hommage an Jim Jarmusch, erscheint es in Gestalt eines Transsexuellen. Kurios ist nur, dass der männliche Part, der der Anziehungskraft der "Scheinfrau" neben sich auf dem Rücksitzt zu erliegen scheint, nichts von der "Andersartigkeit" ahnt.
Es sind diese Momente in den "Taxi Geschichten", die für einen Augenblick eine bestimmte Vorstellung aufblitzen lassen. Auch wenn man sich noch kein Taxi mit einem Transsexuellen geteilt hat, noch nie in einem Taxi "verzaubert" wurde, geschweige denn das Vergnügen hatte, einer Fahrt mit dem Tod beiwohnen zu dürfen, gibt es trotzdem Momente der Identifikation. Vielleicht macht das den Reiz der "Taxi Geschichten" aus, vielleicht ist es aber auch die schlichte und einfache Volkweisheit, die dieses Buch beinhaltet: "Wer nichts wird, wird Taxifahrer!".
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