Jetzt regiert das Geld!

Karl Klostermann, der sich zu Ehren seiner tschechischen Leser Karel Klostermann nannte, hat dem Böhmerwald dutzende Romane und Erzählungen abgetrotzt

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der deutschsprachigen Prager Zeitung "Politik" hatte Karl Klostermann in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts sukzessiv seine "Böhmerwaldskizzen" veröffentlicht. Die Bündelung jener Texte zu einem Buch brachte jedoch keinen nennenswerten Erfolg. Enttäuscht vom deutschen Publikum verfasste der 1923 verstorbene Klostermann seine Erzählungen und Romane nunmehr in tschechischer Sprache und erzielte umfassende Ehrungen und Erfolge. Entsprechend wandelte sich sein Vorname in die tschechische Variante "Karel". Unter zeitweiligen Anfeindungen stramm deutschnationaler Ausrichtung hat er gelitten, von seiner Überzeugung eines friedlichen Miteinanders beider Nationen abhalten konnten sie ihn zu keiner Zeit. Der Übersetzer und Klostermann-Experte Gerold Dvorak, der im Jahr 2002 überraschend verstarb, präsentiert in seinem Nachwort längst verschüttete, aber nicht minder aktuelle Äußerungen Klostermanns zur Problematik des deutsch-tschechischen Zusammenlebens. Dem kleinen Passauer Verleger Karl Stutz gereicht es zur Ehre, den mittlererweile sechsten Band einer Klostermann-Edition erstmals in deutscher Übersetzung vorgelegt zu haben.

Die landschaftliche Prägung durch den Böhmerwald wirkt sich auch auf deren Bewohner aus, unterwirft das menschliche Schicksal in besonderer Weise. Das zähe Ringen mit der Natur wird im Roman "Das Böhmerwaldparadies" mit einer neuen Herausforderung konfrontiert: dem schnell verdienten Geld! Ein gewaltiger Orkan hatte im Jahr 1870 in nie dagewesener Weise große Teile des Böhmerwaldes entwurzelt. Da es an Straßen und Zugangswegen genauso fehlte wie an genügend Fuhrwerken und Gespannen, um das vom Wind gebrochene Holz aus den Urwäldern zu bergen, traten in kürzester Zeit ganze Schwärme von Borkenkäfern auf, die dem angegriffenen Wald gnadenlos zusetzten. Die staatlichen wie privaten Waldbesitzer wetteiferten gegenüber den Holzknechten und Fuhrunternehmen mit den Löhnen, um sich möglichst schnell von dem Käferbefall zu befreien. Auch für die 'kleinen Leute' waren somit goldene Jahre eingekehrt. Sehr zum Missfallen traditionsbewusster Zeitgenossen wie dem legendären Rankl Sepp, der mit seiner Körpergröße von über zwei Metern als "Riese des Böhmerwaldes" weithin bekannt war. Er warnte seinen Lieblingsenkel Wenzel vor diesen Veränderungen: "Die Leute haben sich Bedürfnisse angewöhnt, die sie früher nicht gehabt, ja, nicht einmal gekannt haben - aber die Zeit wird kommen, wo's ihnen schwer fallen wird, sich das abzugewöhnen, wenn der Verdienst schwindet".

Vor Selbstbewusstsein hingegen strotzt eine Figur wie der reiche Hammerbauer. Die goldenen Käferjahre haben ihm einen ungeheueren Reichtum verschafft, den er nicht zuletzt unter eigener Handanlegung im Holztransport erworben hat. Die Zeit drängt, und Arbeitskräfte sind rar - da kann ein selbstsicherer Geschäftsmann wie der Hammerbauer die Preise diktieren.

Kunstvoll verflochten präsentiert Klostermann den Böhmerwald seiner Zeit und lässt den Leser am Werdegang des Schicksals verschiedener Persönlichkeiten teilnehmen. Neben dem Hammerbauern und dem Rankl Sepp sind da die selbstbewussten Töchter des Hammerbauern. Vor allem die strahlend schöne Resl, die hinter dem braven Wenzel her ist, was ihr gegen Ende des Romans beinahe zu gelingen scheint. Eine heftige Leidenschaft setzt ein, die in das Dämonische überkippt, zumal der Jüngling seine innere Kontrolle verloren hat. Er vermeinte, deutlich die eindringlich mahnende Stimme des Rankl Sepp zu hören und war sich dann doch über Herkunft der Warnung nicht schlüssig: "Nachts schallen Stimmen aus den Tiefen der Wälder, aus den unergründlichen Mooren, sonderbare Töne, deren Ursprung niemand kennt und begreift. Sie erschallen und verstummen, wiederholen sich nicht - und wer sie hört, schaudert vor Entsetzen über etwas Unbekanntes".

Vordergründig erfüllt das Tableau von Personen und Konstellationen die Erwartungen eines ländlichen Raums. Dörfler und Holzarbeiter in ständig überheizten, dunsterfüllten Wohnstuben, unsichere Moore und finstere Wälder sowie die Arbeit der Menschen in der Abfolge der Jahreszeiten. Doch die Figuren beherbergen eine eigentümliche Dynamik, die erzählten Begebenheiten beginnen unter ihrer Spannung zu bersten. Idyllische Momente erliegen einer permanenten Bedrohung durch die unzähmbaren Kräfte der Natur einerseits und der verfremdenden Kultur andererseits. Das "Böhmerwaldparadies" entfaltet sich vor den Augen des Lesers in eine Landschaft voller Faszination, in der sich menschliche Hoffnungen und vor allem Schrecken wiederfinden und somit ein zeitloses Bild wiedergeben.


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Karel Klostermann: Im Böhmerwaldparadies. Roman.
Übersetzt aus dem Tschechischen und mit einem Nachwort von Gerold Dvorak.
Verlag Karl Stutz, Passau 2005.
310 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3888490545

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