29.8.-1.9.2017 – Zweimal Tabakski
29.8.2017
Am Freitag ist Tabaski und Timbuktu voller Schafe.
Ich habe Idrissa 50 € geschickt. Warum nicht 100 €? Weil ich mich daran erinnere, wie er umso mehr wollte, je mehr er bekam. Mit mehr Geld gab es mehr Unzufriedenheit.
So freut er sich, jauchzt ins Telefon und kauft sich – wahrscheinlich – ein Schaf für ein richtiges Tabaski.
30.8.2017
Spinnen haben zu weben angefangen. Der Tau macht es sichtbar.
Es soll der letzte große Sommertag werden. Morgen wird alles anders, sagen sie. Ich pflücke die letzten Blaubeeren schon um sieben und gehe dann mit dem Hund den Berg zur Heide hinauf und komme mit Holunder zurück. Ich stelle ihn zum Entsaften auf, daneben summt der Trockner für die Birnen. Solange die Maschinen für mich arbeiten, komme ich nicht weiter mit diesem Text. So mache ich erst alles andere fertig.
Höre dabei in den Nachrichten, dass wieder ein afrikanischer Asylbewerber in einem deutschen See ertrunken ist. Er war siebzehn und konnte nicht schwimmen.
„Unsere Kinder sind wie Vögel, sie kennen das Wasser nicht.“ So sagte es Mano, als er erzählte, dass im neuen Lac Gaddafi im ersten Sommer 13 Kinder wie Steine versunken sind.
Gaddafi hat vor seinem Hotel einen See angelegt. Es ist das letzte Ende eines kleinen Seitenarms des Niger, der bis Timbuktu reicht.
Timbuktu liegt also wieder am Fluss. Gaddafi hat ihn zurückgebracht. Was man mit Geld alles machen kann. Jetzt kann man mit einer Piroge bis Timbuktu staken. Das würden aber nur die Touristen tun, die schwimmen können, aber nicht mehr kommen.

Ich werde mich wieder in den Fluss legen, auf den Rücken und mich strömen lassen. Wie selbstverständlich das Getragenwerden für mich ist. Ich könnte ein Fisch sein.
Und Brecht. Er ist immer da, wenn der Sommer zu Ende geht und ich fast jeden Tag einmal in einen Fluss, einen See oder ins Meer getaucht bin:
Vom Schwimmen in Seen und Flüssen.
Im bleichen Sommer, wenn die Winde oben
Nur in dem Laub der grossen Bäume sausen
Muss man in Flüssen liegen oder Teichen
Wie die Gewächse, worin Hechte hausen.
Der Leib wird leicht im Wasser. Wenn der Arm
Leicht aus dem Wasser in den Himmel fällt
Wiegt ihn der kleine Wind vergessen
Weil er ihn wohl für braunes Astwerk hält.Der Himmel bietet mittags große Stille.
Man macht die Augen zu, wenn Schwalben kommen.
Der Schlamm ist warm. Wenn kühle Blasen quellen
Weiß man: Ein Fisch ist jetzt durch uns geschwommen.
Mein Leib, die Schenkel und der stille Arm
Wir liegen still im Wasser, ganz geeint
Nur wenn die kühlen Fische durch uns schwimmen
Fühl ich, daß Sonne überm Tümpel scheint.
…
1.9.2017
2008 bin ich mit dem großen Schiff, GENERAL A. SOUMARE, gekommen. Gerade rechtzeitig.
4.12.2008Da warten am Abend zwei junge Frauen singend aufs Aussteigen.
Tabaski steht bevor und der Hammeltourismus ist in vollem Gange.
Die Schafe toben, es rumpelt von ihrem Rempeln an die Schiffsseiten. Ein Bock hat angefangen, ist mit dem Kopf auf einen anderen losgegangen, dann hat er ein Schaf besprungen. Jetzt wollen das alle Böcke, sind wild hinter den Weibern her, jagen sie im Kreis herum, bis es sie aus der Kurve trägt. Dann rumpelt es wieder, der Bug ist klein. Es muss ansteckend sein, wenn einer an dem Schaf etwas riecht, geht es los. Bis wieder eines abgeholt wird.
Ein Mann lädt es auf den Hals oder auf die Schultern und trägt es vom Schiff. So kommt er wenigstens vorwärts mit dem Tier. Sie können auch störrisch wie Esel sein oder wollen davonrennen. Von Schafsgeduld keine Spur.7.12.2008Tabaski in Tombouctou
Morgen war Tabaski. (fast geklaut bei Thomas Mann: Morgen war Weihnachten)
Dann ist die große Schafswanderung vorbei. Was nicht verkauft und fortgezogen wurde, bleibt erst mal am Leben und wandert wieder nach Hause.
Und es ist Ruhe in der Stadt. Und was für eine Ruhe! Im allerschönsten Gewand bewegt man sich nur, um Besuche zu machen.
Ich habe mir für das Fest einen weiten Boubou mit Hose nähen lassen und damit gehöre ich dazu. Als ich durch die Stadt gehe, kommt mir ein großer, älterer Herr entgegen, langer weißer Boubou und weißes besticktes Käppchen auf dem Kopf, ich kenne ihn nicht, er schaut mich an und sagt: „Madame – comme vous êtes belle! (wie schön Sie sind?)“ – „Merci, Monsieur!“ sag ich, und mein Lächeln bleibt mir noch lange im Gesicht.8.12.2008Bei Mamadou haben alle fast zwei Stunden auf den Schlachter gewartet. Der geht durchs Viertel und schneidet einem Schaf nach dem anderen die Gurgel durch. Ein paar Männer in strahlendem Weiß oder Himmelblau sind inzwischen vorbeigekommen, haben in den kleinen Hof hereingeschaut, manche sind geblieben. Zum Schlachten waren die gewiss nicht unterwegs. Bei dem, der fast ohne zu klopfen plötzlich in der Tür steht, gibt es keinen Zweifel: in einer Hand ein Messer, in der anderen ein Beil. Braune Mütze, braune Hosen, braunes T-Shirt, auf dem ein grauer Löwe sein Maul aufreißt. Er geht ohne Zögern geradewegs auf das Schaf zu, und es ist bestimmt keine Minute vergangen, da spritzt das Blut im hohen Bogen über den Sand und läuft glucksend in das vorbereitete Loch. Alai, Mamadou Sohn, er ist vier, schreit laut, er brüllt und fängt immer wieder von neuem an zu brüllen, natürlich. Man achtet nicht darauf.
Das Messer des Schlachters ist scharf. Der weiß, wo er durch das Fell ziehen muss, bis er unter die Haut greifen und es ganz abziehen kann. Dann wird der Bauch aufgeschnitten, sein Inhalt fällt in eine Blechwanne. Die Männer übernehmen, sortieren, waschen die Därme, trennen Herz, Nieren, Magen, Lunge. Als der Boucher die Beine abgehackt, den Rücken zerteilt und die Hälften noch einmal halbiert hat, ist seine Arbeit getan. Er nimmt das Fell, 1000 CFA und geht.
Er hatte ein Gesicht, dem konnte ich (?) ansehen, dass es mit Töten beschäftigt ist. Natürlich denke ich an meinen Vater, den Schlachter. So muss er es auch gemacht haben nach dem Krieg, wenn er die Tiere vom Bauern holte. Was für ein Handwerk!
Aminata sitzt für das Zerteilen der Stücke zum Verschenken den ganzen Nachmittag in ihrer Küche. Die Arbeit ist schwer für sie. Sie hat weder ein scharfes Messer noch ein Beil. Dann kocht das Fleisch in den großen schweren Alutöpfen.
Schließlich werden viele Portionen in kleinen Schüsseln fortgetragen – zu denen, die kein Schaf haben?
Und ich esse wie immer mit den Männern aus einer Schüssel, die Frauen bleiben in der Küche.9.12.2008Tabaski in Techeq
Warum draußen bei den Tuareg in Techeq der Mond erst einen Tag später klein genug ist, um das Fest zu feiern, wurde mir mehrfach erklärt, trotzdem habe ich es nicht verstanden. Konnte es nicht glauben, bis ich zweimal feiern durfte.
Und bei Idrissa ist es ganz anders.
Nur einmal im Jahr schlachtet er ein Schaf.
Das erste am Morgen aber ist das Gebet, zu dem alle sich festlich gekleidet in den Dünen versammeln. Dort knien sie und tauchen die Stirn in den Sand.
Ich bleibe vorsichtig auf Abstand, bin froh, dass ich als Idrissas langjähriger Gast dabei sein und sogar fotografieren darf. Idrissa hat die Erlaubnis eingeholt.
Inzwischen braten schon Schafe in den Sandlöchern bei den Zelten.
Bei Idrissa beginnt die Prozedur, als wir vom Gebet zurückkommen.
Das Tier ist schon tot und nackt.© H. TarnowskiAidia und Idrissa hocken im Sand und haben das Schaf zwischen sich. Aidia hält es fest und Idrissa legt sein stumpfes Messer an. Es sieht wie ein Opfer aus, bei dem sich Idrissa sehr anstrengen muss.
Diese Arbeit nimmt einen halben Tag in Anspruch. Aidia gräbt ein Loch in den Sand und holt Holz für das Feuer. Das brennt schon, während Idrissa sich noch mit seinem Messer abmüht. Aber auch er hat schließlich ein Fell in der Hand, er lässt es in den Sand fallen. Aidia spannt es sofort glatt auseinander und bedeckt es mit Sand, damit es gleichmäßig trocknet. Die Innereien werden auf der Glut gebraten, dann wird noch einmal Holz nachgelegt und darauf ein halbes Schaf, alles wird dick mit Sand zugedeckt. Darauf brennt bald ein neues großes Feuer. Nach einer Stunde bekomme ich zwei Rippen in die Hand. Idrissa: „Das ist die Medizin der Tuareg!“ Wenn ich sie nur besser beißen könnte. Nur ich scheine das Problem zu haben.
Dann ist Aidia noch lange mit dem Sortieren und Zubereiten beschäftigt, bis schließlich alles im Topf ist.Am Nachmittag kommt das ganze Dorf wieder zusammen und es wird gefeiert.
Die Männer tanzen, die Frauen klatschen und trillern und auf den Kamelen wird gekämpft.
© H. TarnowskiWenn Kamele rennen, schlenkern sie ihre langen dünnen Beine weit nach den Seiten – da kann ich immer nur lachen und lachen und lachen.
Bei Sonnenuntergang etwa um 18 Uhr geht man auseinander, in einer halben Stunde wird es dunkel sein.
© H. Tarnowski
Aus Heide Tarnowski: überallundnirgends. 2017 mit 74 – Ein Tagebuchroman. Sonderausgabe von literaturkritik.de im Verlag LiteraturWissenschaft.de