19.-23.9.2017 – krank

19.9.2017

Ich bin krank. Der Hals, wo er noch niemals weh getan hat, der Kiefer, der Kopf – alles tut weh. Der Zahn? Der eigentlich gar nicht, aber wie soll ich das unterscheiden. Das muss der Zahnarzt nachher machen.

20.9.2017

Der Zahn wäre erst mal gerettet, hat er gesagt. Mit dem könne ich jetzt noch lange leben. – Was meint er mit „lange“? – Die Entscheidung zwischen Implantat oder Prothese kann ich nach hinten schieben. Alhamdulillah! Ich kann mich darauf vorbereiten, was ich tun werde, wenn ich 80 bin, im Fall dass…
Für den Hals soll ich zum HNO. Wenn ich weiß, was es ist, mache ich es selber.

Ich höre was,  – weit weg eine große Maschine. Das kann der Mais sein, den die Bauern jetzt holen. Eigentlich sehr früh – umso besser! Dann müssen wir nicht mehr zwischen hohen Wänden laufen und ich kann die Sonne untergehen sehen, ohne auf mein Dach zu klettern.
Die Mauersegler haben sich an manchem Abend in den Baumkronen versammelt. Das war eine Aufregung! Sie blieben eine Weile, dann schwirrten sie wieder weiter.
Die Stare sind ruhiger verschwunden. Irgendwann habe ich sie nicht mehr gehört und gesehen.

21.9.2017

Mäuse sterben mit offenen Augen. Auch wenn es keine Falle war, die den Tod gebracht hat. Aus den Augen des winzigen Mäuschens, das auf meiner Holzterrasse liegt, strahlt staunende Verwunderung. Wie sollte es anders sein – so klein wie es ist, kannte es das Leben noch nicht.
Aber der Schmetterling, ein Tagpfauenauge. Als ich lesend auf meinem Bett lag, ist er gekommen, hat sich unterm linken Schlüsselbein hingesetzt und ist da sitzen geblieben. Spannt die Flügel aus und zeigt seine wunderschöne Zeichnung, legt sie zusammen, um sie bald wieder auszubreiten. Ich bin ganz stolz, dass er das so lange macht. Als das Telefon klingelt, stehe ich auf, er flattert fort – und kommt wieder, als ich weiterlese! Sitzt wieder da. Ich traue mich kaum, mich zu bewegen. Nur die Augen, um diese Zärtlichkeit zu sehen.

23.9.2017

Überstanden! Die Schmerzen, die Angst, die Penicillinglocke. Keine Schweißausbrüche mehr beim Klavierspielen. Ich schaffe es sogar wieder den Berg hinauf. Dankbar und glücklich laufe ich mit Yalla eine große Runde durch den Wald.
Überstanden auch noch ein Besuch. Zwei Menschen, zwei Tage, zwei Nächte. Freunde, die von dem, was ich mache und was mir wichtig geworden ist, nichts wissen wollen. Gar nichts. Vielleicht war das schon immer so, nur war mir da nichts so wichtig wie jetzt ohnesinn. Für meine Tage, für mein Leben. Was mache ich mit Freunden, die davon nichts wissen wollen?
Wird ohnesinn die Klinge, über die sie springen müssen? Wer davon nichts wissen will, der will auch von mir nichts wissen. Ich bin ohnesinn geworden.

Warum mein Handy nach einem Sturz von 30 cm auf Holzboden nicht mehr funktioniert, verstehe ich nicht. Sonst hat ihm das doch auch nichts ausgemacht. Aber jetzt ist es so.
Ich will nicht wegen eines Handys in die Stadt fahren, also mache ich die Rolle rückwärts: da waren doch noch…drei Nokiamodelle, die ich immer von meiner Tochter übernommen habe, wenn die wieder einen Fortschritt gemacht hat.
Das letzte, das noch funktioniert, kann die SIM-Karte bis Mai 2005 lesen. Erinnerungswerte.

Es gibt Tage, die sind dazu da, sie hinter sich zu lassen. Ohne warum und weshalb.
Eine Erleichterung, dieser Gedanke. Er ist nicht neu. Ich muss ihn nur mal wieder vergessen haben.


Aus Heide Tarnowski: überallundnirgends. 2017 mit 74 – Ein Tagebuchroman. Sonderausgabe von literaturkritik.de im Verlag LiteraturWissenschaft.de