Leserbriefe zur Rezension

Lühl-Wieses peinliche Kafka-Poesie


Dr. Brigitte Lühl Wiese schrieb uns am 22.09.2000
Thema: Thomas Anz: Lühl-Wieses peinliche Kafka-Poesie

In den Nachbemerkungen zu den "Sagen der Juden" (it 420, 1. Aufl.
1980 S. 281) schreibt Emanuel bin Gorion, eingedenk des großen Erforschers
des Judentums und Klassikers der neuhebräischen Literatur, Micha Josef bin
Gorion (1865 - 1921), welcher die "Sagen der Juden" gefolgt von "Der Born
Judas" als erster herausgab:

Die Sagen der Juden begleiten auslegend, ausschmückend und zugleich
ergänzend, gelegentlich auch berichtigend oder sogar widersprechend, die
Geschichten der hebräischen Bibel, als auf welcher im Grunde das ganze
nachbiblische Schrifttum der Juden beruht und um die es immer wieder kreist.
In ihnen hat auch der in der Bibel nur unterschwellig spürbare und von dem
strengen Monotheismus bekämpfte altjüdische Mythos Zuflucht gefunden. Es ist
ein Mosaik von Fragmenten, deren Definition als "Sagen" eine Vielfalt
poetischer und gedanklicher Ausdrucksformen umfaßt, an denen der Glaube und
die Spekulation, einfältige Aussage wie ausschweifende Phantasie
gleicherweise ihren Anteil haben.

In der Einleitung zu "Die Sagen der Juden" (Parkland, Köln, 1997, hersg. von
Micha Josef bin Gorion und Emanuel und Rahel bin Gorion) schreiben die
Herausgeber (S.5):

Die Sage folge dem Gang der Geschichte und dem Gang der Schrift. Sie erzählt
von dem Entstehen und Werden der Welt und von den Geschichten Israels, des
Gottesvolkes.

Der Ursprung der jüdischen Sage liegt nicht allein in einem freien Drang zu
fabulieren. Der Zweck ist weniger, zu erzählen, als vielmehr die
menschlichen Geschicke und die Geschicke der Welt auslegen.

Die kritischen Bemerkungen zu dem Buch "Franz Kafka - Der Schacht von Babel"
richten sich n i c h t gegen den Stil der Autorin, sondern in dem Bergriff
der "peinlichen Pseudopoesie" bzw. des "sprachlichen Kitsches" a l l e i n
gegen die Poesie der "Sagen der Juden".

Einziger Beleg für die Behauptung einer "peinlichen Kafka-Poesie" ist für
die Kritik der letzte Satz des Buches - einem kurzen Ausruf vorangestellt -
sowie der zweite Satz des zweiten Abschnittes aus dem kurzen "Schlußwort".
In beiden Seiten sind, z.B. durch Kursiv-Druck eines Wortes oder
Anführungszeichen, Hinweise darauf deutlich gemacht, daß es sich, wie am
Endes eines Buches, zumal im Schlußwort üblich, um zusammenfassende bzw.
rezitierende Bemerkungen handelt. Sie verweisen u.a. auf das halbseitige
Zitat auf der Seite 20 des Buches aus den jüdischen Sagen, welches die
Kritik hätte lesen können, bzw. auf die Seiten 80/82 des Buches -
Anmerkungen - anhand derer die Referenzen hätten nachgeprüft werden können,
dortselbst, oder in den Originaltexten (die Sagen der Juden, S. 15, 35,
42/43, 53, 94, 189, 306, 514, 1038, 1040 und Sagen der Juden S 12, 14, 209,
220).

Es ist bedauerlich, daß die Oberflächlichkeit einer Kritik, die sich
offensichtlich im "Nicht-Lesen" und "Doch-Reden" erschöpft - und das ist
wirklich "peinlich" - ausschließlich Schriften der jüdischen mystischen
Überlieferung trifft, und diese, in textkritisch unverantwortlicher Weise,
mißachtet und ihrer Würde . nicht nur ihres literarischen Ranges - beraubt.
Über die Thematik des Buches bzw. den Stil der Autorin erfährt man hingegen
so gut wie nichts.

Last not least beweisen die Bemerkungen zu den biographischen Daten der
Autorin, laut Rezension dem Klappentext des Buches entnommen, nocheinmal daß
auch diese n i c h t g e l e s e n  wurden; sie sind f a l s c h.
In ihrer Nachlässigkeit grenzen sie an Rufschädigung.



Dr. Brigitte Lühl-Wiese