Leserbriefe zur Rezension

Ein gar garstig politisch Lied

Wenig Rühmliches zum 250. Geburtstag des Geheimrats Goethe

Von Bernhard Setzwein


Gabi Heintz schrieb uns am 08.07.2005
Thema: Bernhard Setzwein: Ein gar garstig politisch Lied

Den Artikel über Wilson's Taschenbuch, das sich mit dem angeblich tabuisierten politischen Aspekt von Goethes Charakter und Verhalten beschäftigt, fand ich interessant.

Die Kritik, die Wilson in seinem Taschenbuch an Goethe und dem Weimarer "Musenhof" übt, geht allerdings in meinen Augen daneben, da sie völlig ahistorisch unsere heutigen Maßstäbe und Einstellungen als (für alle Zeiten und allgemein-) gültig voraussetzt.

Hier nur noch ein paar kleinere Anmerkungen zu Details:

In Schillers "Kabale und Liebe" wurde die Praxis angeklagt, daß völlig unbescholtene Söhne von Bauern, die bei der Feldarbeit dann natürlich schmerzlich vermißt wurden, als Söldner ins Ausland "verkauft" wurden.
Straffällig gewordene Untertanen erfuhren zu Goethes Zeiten und noch lange danach überall eine ziemlich mitleidlose Behandlung, z.B. auch die Verschickung nach Australien - da fällt diese Art der Bestrafung durchaus nicht aus dem Rahmen.

Auch die Verhängung der Todesstrafe für Kindesmörderinnen verdient eine differenziertere Betrachtung, als die ungeheuerliche Bezeichnung Goethes als "Schreibtischtäter".
In der heutigen Zeit ist allerdings - entgegen der  eindeutigen Forderung des Verfassungsgerichts - durch die gängige Praxis das Gefühl weit verbreitet, ein Schwangerschaftsabbruch sei "rechtens". Tatsache ist, daß er auch heute ein Tötungsdelikt darstellt, von dessen Strafverfolgung lediglich abgesehen werden darf, wenn er unter bestimmten Voraussetzungen erfolgt.

Da zu Goethes Zeiten, wie auch heute noch in vielen durchaus zivilisierten Ländern, die Todesstrafe gang und gäbe war, ist es nicht verwunderlich, daß sie auch bei Mord und Totschlag verhängt wurde. Sicher hat man damals auch befürchtet, daß bei weniger starker Abschreckung die Zahl der Fälle stark ansteigen könnte.

Zu Goethes jahrelangem unverheirateten Zusammenleben mit Christiane Vulpius:

Selbstverständlich konnten Regeln und Gesetze nur stillschweigend und im Ausnahmefall, nicht aber grundsätzlich für alle aufgehoben werden.
Es ist lächerlich und weltfremd zu fordern, der Grundsatz "quod licet Iovi non licet bovi" hätte damals nicht existieren dürfen. Natürlich gab es das. Viel skandalöser finde ich, daß es das noch immer gibt(siehe aktuell u.a. das Verhalten des VW-Betriebsrats und speziell des Duz-Freundes unseres hochgeschätzten Kanzlers, Volkerts).

Insgesamt finde ich es unwissenschaftlich und grotesk, Goethe vorzuwerfen, daß er nicht die Ideale und Einstellungen späterer Jahrhunderte vorwegnehmend verkörpert und gelebt hat.

Die Stichelei der Goethe-Gesellschaft, Wilson nach  dem Umgang der Amerikaner mit den Indianern zu fragen, finde ich in diesem Zusammenhang gar nicht so weit weggeholt. Menschenrechte wurden diesen jedenfalls nicht zugebilligt.

Gabi Heintz