Leserbriefe zur Rezension

Kurt Tucholsky heute

Eine sorgfältige Neuedition und eine irritierende Resteverwertung

Von Beate Schmeichel-Falkenberg


Kathrin Hampf schrieb uns am 10.03.2001
Thema: Beate Schmeichel-Falkenberg: Kurt Tucholsky heute

[...] Jedoch: Gerhard Zwerenz war nicht - wie Frau Schmeichel-Falkenberg in der
Februarausgabe von www.literaturkritik. schreibt - "einer der ersten, der
den Spuren Tucholskys in Schweden nachging und Gertrude Meyer...
ausführlich interviewte", sondern der erste, der das über die letzte Gefährtin
Tucholskys verhängte Tabu brach und mehrere Tage lang mit ihr sprach.
Diese Tatsache wurde von Frau Meyer mehrfach bestätigt.
Eine Stellungnahme von Gerhard Zwerenz füge ich bei. Ich hoffe, Ihre
Kritik/erin kann Kritik vertragen und würde mich freuen, wenn Sie diese
ebenfalls in Literaturkritik.de veröffentlichen würden!
Mit freundlichen Grüßen, Kathrin Hampf (KRANICHSTEINER LITERATURVERLAG)
Stellungnahme von Gerhard Zwerenz
Unverändert radikal und antifaschistisch
- Antwort aus gegebenem Anlaß -
Für die Reprint-Ausgabe meines Romans von 1980 im Jahr 2000 gab es drei Gründe: Die Verlegerin des Kranichsteiner Literaturverlages schlug es vor. Leser fragten nach dem vergriffenen Buch. Ich wurde gerade mal 75 Jahre alt, was im Leben nur einmal passiert.  
Reprint-Ausgaben verändert man im Text nicht, selbst wenn Schmeichel-Falkenberg das wünscht. In der "Nachbemerkung vom Jahr 2000" betone ich unübersehbar auf Seite 187: "Nun sind seit dem Erstdruck des Buches zwei Jahrzehnte vergangen und einige neue Details über Tucholskys Tod bekannt geworden. Sie ändern nichts am erzählenden Text sowie der melancholischen Psychologie der Geschichte und ihrer Personen."  Wenn Schmeichel-Falkenberg  das nicht zur Kenntnis nimmt, ist es nicht mir anzulasten.
Um welche fehlerhaften Details geht es? Gertrude Meyer erinnerte das Datum falsch, an dem sie Tucholsky bewußtlos auffand. Es war nicht der 19.12. 1935, sondern der 21.12., wie Michael Hepp es 1993 in seiner empfehlenswerten Tucholsky-Biographie klarstellte. Würde meine Tucholsky-Biographie von 1989 neu aufgelegt, korrigierte ich selbstverständlich diese Zeitangabe. Im Tucholsky-Roman wird hingegen von den letzten Lebensjahren des Satirikers erzählt, gesehen mit den Augen seiner schwedischen Freundin, die sich gewiß 43 Jahre nach Tucholskys Tod im Datum irren durfte. Hätte ich sie nicht anno 1978 endlich aufgesucht, würde sie auch heute noch emsig verschwiegen.
Schmeichel-Falkenberg schreibt: "Auch der neue Untertitel stimmt nicht: Die 'letzten Jahre' des Kurt Tucholsky spielten sich nicht nur in Schweden ab." Mein Untertitel lautet: "Exil. Lieben. Tod. Die letzten Jahre Tucholskys." Von Schweden steht da kein Wort. Kann Frau Schmeichel-Falkenberg nicht lesen?
Die sonstigen Einwände sind von gleicher Inkompetenz. Und daß Tucholsky mehrfach auf Reisen ging, berichte ich aus der Sicht eben jener Gertrude Meyer, deren Stimme und Erinnerungen Jahrzehnte hindurch mißachtet worden sind. Sie war eine schwedische Jüdin, die einen verhaßten deutschen Exilanten liebte.
Jetzt an diese Konstellation zu erinnern, da der Nazismus überall auflebt und der human-militante Antifaschismus eines Kurt Tucholsky vergessen gemacht, wo nicht diskriminiert wird, ist wohl ein Verstoß gegen den Zeitgeist.
Eben das veranlaßte mich nicht nur zur Reprintausgabe des Romans 'Gute Witwen weinen nicht', sondern auch dazu,  bei  Lesungen aus dem Roman meine ARD-tv-Sendung von 1978  'Tucholsky im Gedächtnis'  vorzuführen:  Buch wie Film sind unverändert radikal antifaschistisch und antirassistisch, wie es einer Kultur entspricht, die, weil bedroht, verteidigungswert ist und bleibt.