Bücher, die Mütter schenken, müssen gar nicht immer fad sein. In meinem Fall hatte die werte Frau Mama stets ein gutes Händchen. Angefangen bei Stevensons „Schatzinsel“ über Beecher-Stowes „Onkel Toms Hütte“ bis zu Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“ waren das während meiner Jugendtage ein Haufen Klassiker, an die ich mich noch heute gerne erinnere. Irgendwann hat sich der literarische Empfehlungsweg umgekehrt und ich legte meiner Mutter AutorInnen wie Haruki Murakami, Daniel Kehlmann oder, jüngst, Emma Donoghue ans Herz. Mit Ausnahme von Coelhos „Der Alchimist“, das mir Mama vor etwa zwölf Jahren geschenkt hat, fand sich unter den wechselseitigen Buchgeschenken eigentlich kaum irgend etwas wirklich ödes, da sind wir uns einig. Vor einer Woche überraschte sie mich mit einer Postsendung aus der alten Heimat, in der sich das Buch „Yofi“ von Oliver Bantle befand. Untertitel: „Die Kunst des Verzeihens“. Klarer Fall von Eso-Literatur, schloss ich aus dem Kurztext auf der Rückseite des nur knapp über 100 Seiten umfassenden Werks; hätte ich also um ein Haar in die Coelho-Ecke gepfeffert – so alle zwei Jahrzehnte einmal ist so etwas verkraftbar. Wäre allerdings ein großer Fehler gewesen und hätte mich um einen dreistündigen Leseabend voller Kopfabenteuer und Vergnügen gebracht.
Titelheld Yofi jedenfalls ist ein richtig übel gelauntes Nashorn, dessen Lebensinhalt in erster Linie sein Zorn auf einen Artgenossen ist: Seinen ehemals besten Freund Antros, mit dem er sich vor Jahren im Wettstreit, wer als erster einen großen Berg bestiege, in einem echten Streit verloren hat. Seither hat zumindest Yofi kaum mehr echte Freude am Leben und verbringt seine Tage damit, sein Wasserloch vor Eindringlingen – also jedem außer sich selbst – zu schützen.
Eines Tages macht er sich aufgrund einer Falschmeldung auf den Weg, den nie erklommenen Gipfel endlich doch – und noch vor Antros! – für sich zu erobern. Bald schon kommt ihm ein anderes Nashorn – ein stattlicher alter Bulle – in die Quere, der sich als Yofis Großvater ausgibt und ihn auffordert, seinen einstigen Kindheitstraum wahr zu machen: Yofi soll die Steppe verlassen und das Meer suchen.
Wie so oft stellt sich im Lauf der Geschichte heraus, dass weniger das Meer als der Weg dorthin das Ziel ist. Geduldig, mit schönen Gleichnissen und flotten Sprüchen, aber auch mit Erzählungen über Yofis Ahnen bringt ihn der Großvater dazu, wieder auf sein Herz zu hören – und dieses vor allem nicht mit dem Jahre alten Gram auf Antros zu belasten.
„Mein Leben ist ganz anders verlaufen, als ich mir früher vorgestellt habe“, gibt Yofi zu bedenken, worauf Großvater Meru nur knapp zurück gibt, dass das „oft so“ sei: „Meistens liegt es an den Vorstellungen.“ Und neue davon zu bekommen, daran arbeitet er mit seinem Enkel auf dem gemeinsamen Marsch ans Meer. Wie er denn seinen eigenen Weg finden solle, fragt Yofi an einer anderen Stelle. „Indem du ihn gehst“, lautet die logische Antwort, denn: „Vorher gibt es ihn ja nicht.“
Oliver Bantles Buch, das erstmals 2007 publiziert, laut Verlagsinfo in zwei Auflagen komplett verkauft und auch als Hörbuch ein Erfolg wurde, ist ein Plädoyer dafür, weniger kopflastig zu leben und Herzensentscheidungen zuzulassen. Besinnungs- und Meditationsübungen können dabei hilfreich sein, lässt Meru den Sturkopf Yofi erkennen – der irgendwann auch feststellt, dass der Großvater vor Jahren dieselben Erfahrungen gemacht haben musste, um diese überhaupt weitergeben zu können.
Die 2012 neu aufgelegt Geschichte des miesepetrigen Nashorns lässt die LeserInnen in bester Fabel-Manier über ihr Leben und vor allem ihre Lebensprobleme reflektieren. An manchen Stellen urkomisch, rührt es an anderen fast zu Tränen und erinnert wohl jedeN in irgendeiner Weise an die eigene Vergangenheit.
Kern des schriftstellerischen Anliegens bleibt aber wohl tatsächlich die bereits im Untertitel vorweg genommene Kunst des Verzeihens. So stellt der Großvater fest: „Verzeihen heißt: aufhören, sein eigenes Herz zu verletzen. Mehr nicht.“
Ja, so einfach wäre das wohl.
Wir sollten uns viel öfter von solchen Geschichten verzaubern lassen. Und sie uns zu Herzen nehmen.
Die hochwertig gestaltete Neuauflage ist im (vom Autor gegründeten) Tigerbaum Verlag erschienen und kostet 12,80 Euro. Die Originalausgabe wurde 2007 im Berlin Verlag (Bloomsbury) veröffentlicht.